URI: 
       # taz.de -- Kritik an G7-Gipfel: Viel relevanter als ihr Ruf
       
       > Kritik an der G7 gibt es mehr als genug. Doch die kleine Gruppe ist
       > effektiv und ihre Legitimität höher einzustufen als die anderer Clubs.
       
   IMG Bild: Suchen nach Lösungen: der G7-Gipfel in Borgo Egnazia, Italien, am Donnerstag, den 13. Juni 2024
       
       Kritik an der G7 ist hartnäckig und macht sich an drei Punkten fest.
       Erstens an ihrem Gestaltungsanspruch: In einer globalisierten Welt mit
       annähernd 200 Ländern mutet der Anspruch einer Splittergruppe von gerade
       mal sieben Staaten seltsam unzeitgemäß an. Daran schließt der zweite
       Kritikpunkt an: Die G7 sei gar nicht so bedeutsam, stattdessen liege
       Gestaltungsmacht zunehmend bei repräsentativeren, ergo legitimeren Gruppen
       wie der G20. Schließlich wird moniert, dass die G7 zur Spaltung der
       internationalen Gemeinschaft beiträgt und Gegenmachtbildung provoziert, die
       sich etwa in der BRICS-Gruppe um China und Russland sammelt.
       
       Die Kritikpunkte beziehen sich also auf mangelnde Legitimität wie auch
       Effektivität sowie das Polarisierungspotenzial der G7. Diese Vorwürfe gehen
       jedoch fehl, misst man sie daran, wie andere Staatengruppierungen die
       genannten Kriterien erfüllen.
       
       Fast 50 Jahre nach ihrem ersten Gipfeltreffen ist die G7 bedeutsamer denn
       je für die politische Abstimmung von sieben führenden Industrienationen.
       Maßgeblich dafür sind drei Merkmale internationaler Politik. Erstens gibt
       es mehr wichtige Mitspieler auf globaler Ebene. Staaten wie China oder
       [1][Indien] sind viel relevanter als vor 50 Jahren. Aber auch Unternehmen
       und gesellschaftliche Kräfte wie die Umweltbewegung haben an Bedeutung
       gewonnen. Parallel zur wachsenden Komplexität internationaler Politik
       steigt der Konsultations- und Koordinierungsbedarf.
       
       Zweitens treten globale Herausforderungen immer deutlicher hervor. Dazu
       zählen Klimawandel und Artensterben genauso wie politische
       Herausforderungen durch Migration, soziale Ungleichheit oder bewaffnete
       Konflikte und Terrorismus. Drittens schließlich ist die Globalisierung in
       eine tiefe Krise geraten, die sich anhand der Stichworte Coronapandemie,
       Russlands Aggressionskrieg und Trump illustrieren lässt. Corona
       demonstrierte, wie anfällig internationale Produktions- und
       [2][Lieferketten] sind, wenn unvermittelt Grenzen geschlossen werden.
       Russlands Aggressionskrieg hat gezeigt, dass die Hoffnung auf politische
       Annäherung durch wirtschaftliche Verflechtung trügen kann. Trump
       schließlich steht exemplarisch für Nationalismus statt internationaler
       Kooperation.
       
       ## G7 hat bessere, weil freiere Beratung
       
       In diesem geopolitischen Umfeld, das von ideologischer Deglobalisierung
       geprägt ist, gewinnt die G7 an Bedeutung als wichtiges Forum, in dem sich
       demokratische Staats- und Regierungschefs aus Asien, Amerika und Europa
       über politische Maßnahmen von internationaler Relevanz abstimmen können.
       Dabei unterscheidet sich die Art und Weise, wie die G7 arbeitet, von
       alternativen Club-Formaten wie G20 und BRICS. So wird der Input von
       nichtstaatlichen Akteuren gesucht und gefördert. Die G7 ist mit einer
       Vielzahl von Engagementgruppen im Austausch, die dafür sorgen, dass
       Anliegen aus Gesellschaft und Wissenschaft, von Frauen und Jugendlichen,
       aber auch aus der Wirtschaft in die Beratungen einfließen.
       
       Diese Gruppen können sich frei von staatlicher Bevormundung organisieren.
       Das ist in etlichen G20-Mitgliedern wie China, Russland und Saudi-Arabien
       kaum möglich, genauso wenig in vielen BRICS-Staaten, zu denen etwa
       [3][Iran] und [4][die VAE] gehören.
       
       ## Sehr effektiv bei der Unterstützung der Ukraine
       
       Zudem legt die G7 erheblich offener Rechenschaft ab als die beiden
       Alternativen. So wird regelmäßig überprüft, inwieweit die
       Selbstverpflichtungen auch umgesetzt wurden. Das geschieht zwar durch
       Selbstberichte der Regierungen, wird also nicht durch eine unabhängige
       Instanz vorgenommen – allerdings national wie transnational durch die
       kritische Zivilgesellschaft begleitet. Und im demokratischen Rechtsstaat
       müssen Regierungen damit rechnen, zur Verantwortung gezogen zu werden,
       sofern sie selbstgesteckte Ziele verfehlen. Die Legitimität der G7 ist
       daher höher einzustufen als die der anderen Clubs.
       
       Die Effektivität der G7 zeigt sich im Vergleich zu zwei anderen
       Gruppierungen mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine. Während die
       [5][Nato] künftig den militärischen Beistand koordiniert, leistet die EU
       humanitäre Hilfe und fördert die politische Stabilität der Ukraine. Die G7
       konzentriert sich auf politische und wirtschaftliche Unterstützung, etwa
       durch die Verwendung der Erträge von eingefrorenem russischen Vermögen
       zugunsten der Absicherung von Krediten an die Ukraine. Nato, EU und G7
       stimmen sich untereinander ab. Die G7 zeichnet sich dabei seit Beginn der
       russischen Invasion durch hohe Geschlossenheit aus, was zu ihrer
       Effektivität beiträgt. So hat Ungarn in der EU die Aufnahme der
       Beitrittsverhandlungen verzögert, [6][die Türkei in der Nato lange
       Widerstand gegen den Beitritt Schwedens leistete].
       
       ## BRICS sind voll innerer Widersprüche
       
       Auch der Vorwurf, die G7 würde die internationale Gemeinschaft spalten,
       lässt sich kaum aufrechterhalten. Zwar hält die Kritik an der
       geopolitischen Dominanz der G7 die BRICS-Staaten zusammen. Dieser
       gemeinsame Nenner überdeckt jedoch Widersprüche zwischen den Mitgliedern.
       Der russische Präsident Putin konnte im letzten Jahr nicht am BRICS-Gipfel
       in Südafrika teilnehmen, weil ein Haftbefehl des Internationalen
       Strafgerichtshofs gegen ihn vorliegt. Südafrika unterstützt den
       Strafgerichtshof ebenso wie Brasilien, so dass offen ist, ob Putin dieses
       Jahr zum G20-Gipfel nach Rio de Janeiro reisen kann.
       
       Die Differenzen zwischen den demokratischen und den autokratischen Staaten
       werden durch den Beitritt autokratischer Staaten wie Ägypten, Äthiopien,
       Iran und der VAE zu BRICS+ eher noch deutlicher. Zudem sind die Beziehungen
       zwischen den Neumitgliedern Ägypten und Äthiopien wie auch unter
       Altmitgliedern wie China und Indien nicht ohne Spannungen. Ob die Forderung
       nach einer neuen globalen Ordnung ausreichend mit Substanz gefüllt werden
       kann, die den Kriterien Effektivität und Legitimität genügt, ohne die
       internationale Polarisierung zu befördern, ist fraglich.
       
       3 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Wahlen-in-Indien/!6010003
   DIR [2] /Zukunft-des-Lieferkettengesetzes/!6016987
   DIR [3] /Menschenrechtsverstoesse-im-Iran/!6020053
   DIR [4] /Leiter-der-UN-Klimakonferenz-al-Jaber/!5975116
   DIR [5] /Neuer-Nato-Generalsekretaer-Rutte/!6019935
   DIR [6] /Nato-Beitritt-von-Finnland-und-Schweden/!5864582
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lars Brozus
       
       ## TAGS
       
   DIR Ukraine
   DIR Nato
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR G7
   DIR Südafrika
   DIR G7-Gipfel
   DIR BRICS
   DIR Vereinigte Arabische Emirate
   DIR G20-Gipfel
   DIR Proteste in Iran
   DIR Nato
   DIR Scheich
   DIR Klimakonferenz in Dubai
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Stichwahl im Iran: Relativ egal
       
       Deutschland wird auch mit dem neuen iranischen Präsidenten
       zusammenarbeiten. Die Verbrechen des iranischen Regimes lohnen sich. Warum
       also aufhören?
       
   DIR Neuer Nato-Generalsekretär Rutte: Eingekeilt zwischen Putin und Trump
       
       Die Nato-Staaten ernennen Mark Rutte zum neuen Generalsekretär. Auf den
       Niederländer warten große Herausforderungen.
       
   DIR Übernahme des britischen Telegraph: Ölige Geschäfte
       
       Ein Scheich will die britische Zeitung Daily Telegraph kaufen. Die Politik
       legte jetzt einen Gesetzesentwurf vor, der das verhindern soll.
       
   DIR Leiter der UN-Klimakonferenz al-Jaber: Der Mann der fantastischen Chancen
       
       Sultan al-Jaber leitet den Ölkonzern der Emirate – und die
       Weltklimakonferenz. Schon vor deren Start kam raus: Die Gastgeber
       missbrauchten ihre Rolle.