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       # taz.de -- Neuer Verfassungsschutzbericht: Extreme nehmen zu
       
       > Der Verfassungsschutz sieht in seinem neuen Jahresbericht Gefahren in
       > allen Bereichen. Der neurechte Antaios-Verlag ist nun „gesichert
       > rechtsextrem“.
       
   IMG Bild: Innenministerin Faeser und Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts
       
       Berlin taz | Nancy Faesers Warnung ist deutlich. „Wir müssen unsere
       Demokratie aktiv verteidigen“, sagte die Bundesinnenministerin am Dienstag
       bei der Vorstellung des neuen Jahresberichts des Bundesamts für
       Verfassungsschutz (BfV). Die Demokratie stehe „unter erheblichem Druck“.
       Tatsächlich notiert der Geheimdienst einen Zuwachs von Extremisten in fast
       allen Bereichen.
       
       Die meisten Personen stellt, nach BfV-Zählung, weiter die rechtsextreme
       Szene: 40.600. Das bedeutet nochmal einen Anstieg von 1.800 Personen zum
       Vorjahr. 14.500 dieser Rechtsextremen gelten als gewaltorientiert. [1][Die
       Gewalttaten in der Szene seien weiter gestiegen], warnte
       Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang. Auch die Angriffe gegen
       Asylunterkünfte hätten wieder zugenommen. Rechtsextreme Demonstrationen
       hätten zugenommen, Musikveranstaltungen Höchststände erreicht, hier aber
       vor allem kleinere Liederabende. Kampfsportevents habe es fast keine mehr
       gegeben.
       
       Mit reingezählt in die rechtsextreme Szene werden auch 11.300
       AfD-Mitglieder. Haldenwang erklärte, sein Amt wolle zeitnah entscheiden,
       wie es weiter mit der AfD umgehe. Wahltermine seien für ihn dabei nicht
       entscheidend, hatte er zuletzt schon klargemacht. Abwarten will das Amt
       noch die schriftlichen Urteilsgründe des Oberverwaltungsgericht Münster,
       [2][das zuletzt die Einstufung der AfD als rechtsextremen Verdachtsfall für
       rechtmäßig erklärt hatte]. Möglich seien eine Hochstufung als gesichert
       rechtsextreme Bestrebung oder eine Beibehaltung als Verdachtsfall, so
       Haldenwang. Eine Runterstufung sei „nicht so wahrscheinlich“.
       
       Im Jahresbericht wird der AfD ein „vielfach völkisch-abstammungsmäßig
       geprägtes Volksverständnis“ vorgeworfen, das im Widerspruch zum Grundgesetz
       stehe. Auch im vergangenen Jahr habe es „zahlreiche fremden- und
       muslimfeindliche Positionen“ in AfD-Verlautbarungen gegeben. Viele
       Funktionäre und Abgeordnete pflegten zudem „gefestigte“ Verbindungen zu
       Rechtsextremen, es handele sich um ein „strategisch agierendes Netzwerk“.
       
       ## Neurechter Antaios-Verlag nun „gesichert rechtsextrem“
       
       Dieses Netzwerk knüpft die AfD vor allem mit der neurechten Szene, wo das
       BfV nun erneut Fakten schuf: Nach den Identitären, dem Thinktank „Institut
       für Staatspolitik“, dem Netzwerk „Ein Prozent“ und der AfD-Jugend ist nun
       auch [3][der Antaios-Verlag von Wortführer Götz Kubitschek als „gesichert
       rechtsextrem“ eingestuft]. Der Verfassungsschutz wirft dem Verlag vor, dass
       dort Werke wie die des Identitären Martin Sellner zu seinem
       „Remigration“-Plan vertrieben oder der Verschwörungsmythos eines „Großen
       Austausch“ verbreitet werde.
       
       Einen Zuwachs wird auch für die Reichsbürgerszene konstatiert, hier um
       2.000 auf 25.000 Personen. Zehn Prozent davon seien gewaltorientiert. Nur
       1.350 der 25.000 Reichsbürger aber zählt das BfV als rechtsextrem. Frauen
       machten inzwischen knapp die Hälfte der Szene aus, auch verjünge sich
       diese, so das Amt. 200 Reichsbürgern seien im vergangenen Jahr
       waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen worden – immer noch 400 aber seien im
       Besitz einer solchen.
       
       Als linksextrem sieht der Verfassungsschutz 37.000 Personen, davon 11.200
       als gewaltorientiert – ein leichter Anstieg. Auch hier hätten Gewalttaten
       zugenommen, es sei zu schweren Brandanschlägen wie auf einen Strommast beim
       Teslawerk in Grünheide gekommen, erinnerte Haldenwang. Sein Bericht warnt
       vor einer weiteren Radikalisierung der Szene: Bestehende Netzwerke
       verfestigten sich, die Gefahr schwerer Gewalttaten habe sich „nochmals
       erhöht“. Nur durch Zufall sei es bei jüngsten Angriffen auf Polizisten oder
       Rechtsextreme bisher zu keinen Toten gekommen.
       
       Verwiesen wird auch auf schwere Angriffe von Autonomen aus dem „Antifa
       Ost“-Kontext in Erfurt und Budapest im vergangenen Jahr, [4][nach denen
       mehrere Personen abtauchten, um einer Auslieferung nach Ungarn zu
       entgehen]. Eine Abkehr von der Gewalt sei bei diesen Personen nicht zu
       erwarten, so das BfV. Und: „Bei ungehindertem Fortgang der Radikalisierung
       einzelner Personen oder Strukturen könnte in Deutschland ein neuer
       Linksterrorismus entstehen.“
       
       Auch bei den Klimaprotesten sieht das BfV in Teilen eine Radikalisierung.
       Weiter nicht beobachtet wird die Letzte Generation, dafür ist nun aber
       [5][das Bündnis Ende Gelände als „linksextremer Verdachtsfall“ eingestuft],
       das mit Besetzungsaktionen in Tagebauen im Rheinland oder der Lausitz für
       Aufsehen sorgte. 70 Ortsgruppen zähle das Bündnis inzwischen, so das BfV.
       Es sei eine „zunehmend eigenständige Verschärfung zu Aktionsformen bis hin
       zu Sabotage erkennbar“. In Grundsatzpapieren werde ein „Kampf für einen
       Systemwandel“ propagiert. Auch an den Protesten gegen die Räumung von
       Lüzerath, bei der es zu „massiver“ Gewalt gekommen sei, habe sich Ende
       Gelände beteiligt. Als die Gruppe vor Jahren bereits vom Berliner
       Verfassungsschutz eingestuft wurde, hatte sie offensiv betont: „Natürlich
       wollen wir ein System beenden, das auf Ausbeutung, auf Klimazerstörung und
       Diskriminierung beruht.“
       
       Bei Islamismus schließlich zählt der Verfassungsschutz, recht konstant,
       27.200 Personen. Auch hier hätten Gewalttaten zugenommen, vor allem seit
       dem erneuten Aufflammen des Nahostkriegs, so Haldenwang. Die islamistische
       Anschlagsgefahr bleibe in Deutschland hoch, vor allem durch radikalisierte
       Einzeltäter. Aber auch vom IS orchestrierte Anschläge wie zuletzt in Moskau
       seien möglich, warnte der Geheimdienstchef. Auch [6][Gruppen mit Nähe zur
       verbotenen Hizb ut-Tahrir], die zuletzt mit Protesten für ein Kalifat
       auffielen, träten „zunehmend aggressiv und extremistisch“ auf.
       
       ## „Widerwärtiger Antisemitismus“
       
       Haldenwang wie Faeser sprachen auch von einem dramatischen Anstieg von
       Antisemitimus seit dem Hamas-Angriff auf Israel vom 7. Oktober 2023. Dieser
       sei „widerwärtig“ und müsse „unbedingt durchbrochen“ werden, so Faeser. Der
       Nahostkonflikt werde von allen extremistischen Bereichen aufgegriffen,
       ergänzte Haldenwang.
       
       Erstmals im BfV-Jahresbericht erwähnt wird nun auch die Bewegung „Boycott,
       Desinvestitionen und Sanktionen“ (BDS), die einen wirtschaftlichen Boykott
       Israels fordert. Der Verfassungsschutz führt auch diese Gruppe als
       „extremistischen Verdachtsfall“, attestiert ihr israelfeindliche
       Positionen. Auf Veranstaltungen werde immer wieder Existenzrechts Israels
       infrage gestellt.
       
       Zuletzt warnte Faeser auch vor äußeren Bedrohungen. Von Russland gehe eine
       „massive hybride Bedrohung“ aus, über Cyberangriffe oder Desinformation.
       Dies habe „eine neue Dimension erreicht“, es würden „Wut und Hass gesät“.
       Auch China oder der Iran seien in diesen Bereichen hierzulande aktiv.
       Faeser forderte daher mehr Befugnisse für die Abwehr von Cyberangriffen.
       
       18 Jun 2024
       
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