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       # taz.de -- Sachsens Linkenchef zur Krise der Linken: „Kräftig eins aufs Maul bekommen“
       
       > Seine Partei solle sich wieder an die 2. Feuerbachthese von Karl Marx
       > erinnern, fordert der sächsische Linkenvorsitzende Stefan Hartmann.
       
   IMG Bild: Bei der Landtagswahl dürfte es sehr knapp werden. Aber Sachsens Linkenchef Stefan Hartmann will die Hoffnung noch nicht aufgeben
       
       taz: Bei der Europawahl hat die Linkspartei bundesweit gerade mal noch 2,7
       Prozent der Stimmen erhalten. In Sachsen hat sie 131.348 Stimmen verloren,
       nur in NRW waren es noch mehr. Was für eine Erklärung haben Sie für dieses
       Desaster? 
       
       Stefan Hartmann: Keine Frage, wir haben [1][kräftig eins aufs Maul
       bekommen]. Die Partei ist offensichtlich in einer Verfassung, die den
       Wählerinnen und Wählern nicht attraktiv erscheint. Wenn wir in allen
       ostdeutschen Bundesländern trotz sehr unterschiedlicher Bedingungen von
       jeweils zweistelligen Wahlergebnissen auf Ergebnisse um die 5 Prozent
       gefallen sind, dann ist die einzig logische Schlussfolgerung, dass dies am
       Zustand der Gesamtpartei liegt.
       
       Der Parteivorstand in Berlin ist also schuld? 
       
       Mit Schuldfragen kann ich nicht viel anfangen. Was ich aber feststelle, ist
       eine augenfällige Differenz, die es zwischen unserem Abschneiden bei den
       Europa- und den parallelen Kommunalwahlen beispielsweise in [2][Leipzig],
       [3][Dresden] oder [4][Chemnitz] gibt. Da fanden zahlreiche Wählerinnen und
       Wähler das Angebot vor Ort offenkundig attraktiver. Wo es uns nicht
       ausreichend gelingt, mit den Füßen auf der Erde Antworten für die Fragen
       der Leute zu entwickeln, da haben wir es schwer. Die unterschiedlichen
       Ergebnisse weisen übrigens auch darauf hin, dass es sehr wohl noch
       ausreichend Menschen gibt, die bereit sind, uns zu wählen. Es muss aber das
       Angebot stimmen.
       
       [5][Auf Vorschlag Ihres Landesverbandes] wurde Carola Rackete neben
       Parteichef Martin Schirdewan an die [6][Spitze der Linkenliste für die
       EU-Wahl] gestellt. Hat die Kandidatur der jungen Klima- und
       Menschenrechtsaktivistin das eher fossile Wählerklientel der Linkspartei im
       Osten überfordert? 
       
       Also da bin ich eher puristisch. Das heißt, dass nach meiner Überzeugung
       die Menschen zunächst einmal auf die Inhalte schauen, die eine Partei
       insgesamt vertritt, und danach auf das Personal, mittels dessen sie die
       Inhalte zu transportieren versucht. Deshalb bin ich der Auffassung, dass
       wir ganz grundsätzlich ein Problem mit unserer inhaltlichen Substanz haben.
       Das scheint mir das Hauptproblem zu sein. Ich finde zwar, dass es nicht
       schlecht gewesen wäre, wenn Carola Rackete besser präsentiert worden wäre.
       Aber das ist für mich ein nachrangiges Thema.
       
       Nur in zwei Bundesländern, den Stadtstaaten [7][Hamburg] und [8][Bremen],
       hat es die Linkspartei noch geschafft, knapp vor dem Bündnis Sahra
       Wagenknecht zu landen. Haben Sie das erwartet? 
       
       Schon Anfang des Jahres gab es Potenzialanalysen, die aufgezeigt haben,
       dass das Potential des BSW bundesweit größer ist als das der Linkspartei.
       Auch die Umfragen der vergangenen Monate haben vermuten lassen, dass das
       BSW fast überall vor uns liegen wird. Von daher habe ich das schon für
       möglich gehalten. Aber wenn sowas dann tatsächlich Realität wird, ist das
       natürlich unerfreulich.
       
       Während die Linkspartei abgestürzt ist, hat das BSW überall im Osten
       zweistellige Ergebnisse eingefahren. Ist das BSW die neue PDS? 
       
       Nein, denn das muss ja inhaltlich bestimmt werden. Und dann kann das
       eindeutig verneint werden bei einer Partei, die sich nach der Definition
       ihrer sächsischen Landesvorsitzenden rechts von der SPD verortet. Eine
       Personenkultpartei zwischen rechter Sozialdemokratie, CDU und AfD hat
       wirklich nichts mit der alten PDS zu tun. Wie gesagt, ich bin Purist und
       schaue auf die Inhalte.
       
       Aber offenkundig zieht das BSW ein Protestpotenzial an, das früher im Osten
       die PDS gewählt hätte. 
       
       Ja, das ist möglich.
       
       Ist die Linkspartei vielleicht einfach zu brav geworden? 
       
       Unsere Orientierung darauf, eine von Konzepten untersetzte und daher
       machbare Politik anzubieten, mag tatsächlich in den heutigen Zeiten, in
       denen man einfach irgendwas möglichst laut sagen kann, dahingehend ein
       Hindernis sein, dass sie manchen nicht spektakulär genug erscheint. Das
       macht sie aber noch nicht falsch.
       
       Welche Rolle hat aus Ihrer Sicht der Ukraine-Krieg bei der Wahlentscheidung
       gespielt? 
       
       Gerade in Ostdeutschland ist das Thema Frieden weiter ein zentrales. Das
       gilt insbesondere für jenen Teil der Bevölkerung, der für die Linke
       generell ansprechbar erscheint. Doch wir haben als Partei dieses Thema nur
       sehr nachrangig benannt. Unsere klassischen Friedenstauben-Plakate wären
       schon gut gewesen.
       
       Die hätten Sie dann neben die Friedenstauben-Plakate der DKP und der AfD
       kleben können. 
       
       Nichtsdestotrotz haben wir die Möglichkeit, das Thema Frieden im
       Europawahlkampf prominenter zu vertreten, nicht genutzt. Das war nicht
       besonders klug, [9][weil es viele Menschen zurecht bewegt].
       
       Mit ihrer Haltung, einerseits Russlands Überfall scharf zu verurteilen und
       Putin zum Rückzug aus der Ukraine aufzufordern, andererseits jedoch
       militärische Hilfen für das angegriffene Land abzulehnen, scheint die
       Linkspartei weder die einen noch die anderen Wähler:innen überzeugen zu
       können. Befindet sich Ihre Partei da nicht in einem Dilemma? 
       
       Es geht hier um Fragen, die nicht ganz so einfach zu beantworten sind. Nach
       der verlorenen Bundestagswahl hätte auf Bundesebene eine Programmdebatte
       begonnen werden müssen, wie wir das von Sachsen aus auch erbeten hatten. So
       hat es übrigens die PDS gehalten, nachdem sie 2002 aus dem Bundestag
       geflogen ist. Damals haben wir eine sehr intensive Diskussion darüber
       geführt, wer wir sind und wo wir stehen. Das war enorm wichtig. Diesmal ist
       das leider anders. Das rächt sich. Wenn die Weltlage sich ändert, müssen
       alte Antworten überprüft und möglicherweise neue kollektive Antworten
       gefunden werden. Wenn das nicht geschieht, wird das Problem, das man hat,
       halt größer und nicht kleiner.
       
       Was bedeutet das in der Konsequenz für den für Oktober geplanten
       Bundesparteitag? 
       
       Erstmal müssen wir die Landtagswahlen im September bestehen. Auf dem
       Parteitag wird es dann darum gehen, wie die Partei inhaltlich und personell
       neu aufgestellt werden kann.
       
       Bis auf Thüringen liegt Ihre Partei selbst im Osten überall unter der
       5-Prozent-Schwelle, [10][in Sachsen bei 4,9 Prozent]. Lohnt es sich da
       überhaupt noch, zur Landtagswahl anzutreten? 
       
       Auf jeden Fall. Ob das 1989 war oder 2002: Wir sind schon öfter totgesagt
       worden. Die Europawahl hat doch nur gezeigt, dass wir um jede Stimme
       kämpfen müssen. Zwei Dinge sind dabei entscheidend: Erstens müssen wir
       wieder lernen, die immer noch vorhandene Breite unserer Partei nicht als
       etwas Störendes, sondern als Stärke zu begreifen. Leipzig, wo wir mit 17,5
       Prozent stark abgeschnitten haben und weit vor dem BSW lagen, ist dafür ein
       gutes Beispiel: Unsere Stimmkönigin war dort Jule Nagel, dicht gefolgt von
       Sören Pellmann. Die decken ein ziemlich breites Spektrum ab, stellen jedoch
       nicht ihre Differenzen in den Vordergrund, sondern ihre Gemeinsamkeiten.
       Beide sind für uns sehr wichtig. Der konstruktive Umgang mit Unterschieden
       ist entscheidend.
       
       Und der zweite Punkt? 
       
       Wir sollten uns wieder stärker an die 2. [11][Feuerbachthese von Karl Marx]
       erinnern.
       
       Wie bitte? 
       
       Nun ja,wir müssen uns darauf besinnen, Politik wieder mehr aus der
       Wirklichkeit heraus als aus dem Kopf zu machen. Und darum geht es genau in
       der 2. Feuerbachthese: das Denken nicht von der Wirklichkeit zu isolieren,
       was eben keine Frage der Theorie, sondern der Praxis ist.
       
       23 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Abschneiden-von-BSW-und-Linkspartei/!6015450
   DIR [2] https://www.wahlen.sachsen.de/gemeinderatswahlen-2024-wahlergebnisse.php?landkreis=14713
   DIR [3] https://www.wahlen.sachsen.de/gemeinderatswahlen-2024-wahlergebnisse.php?landkreis=14612&_ptabs=%7B%22%23tab-stimmenverteilung%22%3A1%7D
   DIR [4] https://www.wahlen.sachsen.de/gemeinderatswahlen-2024-wahlergebnisse.php?landkreis=14511
   DIR [5] /Parteitag-der-Linkspartei/!5971110
   DIR [6] /Linke-Spitzenkandidaten-ueber-Europawahl/!6008719
   DIR [7] https://www.bundeswahlleiterin.de/europawahlen/2024/ergebnisse/bund-99/land-2.html
   DIR [8] https://www.bundeswahlleiterin.de/europawahlen/2024/ergebnisse/bund-99/land-4.html
   DIR [9] /Loetzsch-kandidiert-nicht-mehr/!6018532
   DIR [10] https://www.bundeswahlleiterin.de/europawahlen/2024/ergebnisse/bund-99/land-14.html
   DIR [11] http://www.mlwerke.de/me/me03/me03_005.htm
       
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