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       # taz.de -- Greise Männer, Hetze bei der EM und UK: Eine unmögliche Kunst
       
       > Unser Autor blickt in die Woche zurück und sieht greise alte Männer,
       > zerstrittene Kolleg:innen, Hetze bei der EM, aber auch einen britischen
       > Silberstreif.
       
   IMG Bild: Joe Biden: Ist es wirklich schon so spät?
       
       Wenn’s am schönsten ist, soll man aufhören. Das wird gern gesagt, das
       klingt gut und ist doch so schwer, wie in dieser Woche wieder besonders
       deutlich wurde. Außer Jürgen Klopp weiß offensichtlich niemand mehr, wann
       der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um einen Job unter Applaus zu beenden.
       Am allerwenigsten wusste es leider ausgerechnet [1][der mächtigste Mensch
       der Welt].
       
       Dass Joe Biden den geeigneten Moment verpasst hat, um beifallumrauscht die
       Bühne zu verlassen, wurde nicht nur mir, sondern der ganzen Welt spätestens
       im TV-Duell mit Donald Trump bewusst, als der US-Alterspräsident bei den
       Fragen zum Thema Migration ins Stottern geriet und kaum noch einen Faden
       fand, [2][geschweige denn einen roten]. Damit offenbarte Biden nicht nur
       seine persönliche Schwäche, sondern auch noch das größte Problem aller
       halbwegs Liberalen, die sich gegen den weltweiten Rechtsruck stemmen.
       
       Beim Thema Migration einfach in das grassierende Abschottungsgerede
       einzustimmen, ist fatal. Liberale können keine Mauern bauen, sonst sind sie
       keine Liberalen mehr. Einfach ganz offen für offene Grenzen werben können
       sie realpolitisch aber auch nicht. Carola Rackete und die Linke kamen damit
       auf 2,7 Prozent.
       
       Zwischen diesen Polen wird es kompliziert. Wer da nicht ins Stottern gerät
       oder wie Katrin Göring-Eckardt missverständlich über weiße und nichtweiße
       Fußballspieler twittert, muss topfit sein und möglichst charmant wie Robert
       Habeck um den heißen Brei herumreden können.
       
       ## Das legendäre Gruppenselfie
       
       Der einzige wirklich schöne Moment der Ampel, also [3][das legendäre
       Gruppenselfie], ist schon lange her. Nach der goldenen Regel hätten sie
       damals gleich wieder aufhören sollen. Aber das sagt sich halt so leicht.
       Wer auf die Mächtigen schimpft, die von der Macht nicht lassen können,
       sollte sich an die eigene, vielleicht gerade leicht verkokste Nase fassen.
       
       Macht ist auch nur eine Droge. Und wer will schon nach dem dritten Bier
       nach Hause gehen, wenn es gerade lustig wird? Oder nach der Pizza auf das
       leckere Tiramisu verzichten? Den Fernseher ausschalten, obwohl die Staffel
       noch nicht ganz zu Ende ist? Ich nicht.
       
       Manchmal ist durchhalten auch besser als aufhören und wird belohnt. Zum
       Beispiel mit der Einigung der Ampeltroika auf den neuen Haushalt. Aber wir
       wissen alle: Nach der Einigung ist vor dem Streit. Vielleicht wäre daher
       jetzt ein super Moment, um endlich …
       
       Auch die US-Demokraten hatten letztens vor allem Krisen, aber immerhin
       halbwegs erfolgreiche Zwischenwahlen 2022. Vielleicht wäre das eine
       Gelegenheit gewesen, um Bidens Nachfolge einzuleiten. Leider verpasst. Weil
       Biden nur an sich dachte und seiner prädestinierten Nachfolgerin Kamala
       Harris gleich am Anfang den unangenehmsten, weil unlösbaren Auftrag gab, ja
       genau: die Migration zu regeln. Damit konnte sie nur scheitern.
       
       Ich bin trotz allem fest entschlossen, den Optimismus niemals aufzugeben
       und darauf zu setzen, dass Harris oder eine andere aus dem Hut gezauberte
       Person den größten Moment noch vor sich hat, also einen Wahlsieg und die
       Verhinderung der Trump-Rückkehr ins Weiße Haus. Was seit Montag mit dem
       Freibrief des Supreme Court für kriminelle Handlungen von US-Präsidenten
       noch wichtiger geworden ist.
       
       Die schöne Ablenkung EM funktioniert nur noch eingeschränkt. Leider hat
       das Team, auf das ich gesetzt hatte, Österreich, schon aufgehört und der
       Türkei die Bühne überlassen. Doppeltorschütze Merih Demiral nutzte sie auch
       noch für einen doppelt depperten Wolfsgruß und Präsident Erdoğan für einen
       Besuch im Berliner Olympiastadion. Der Fußball als „Pille gegen Rassismus“
       wirkt zwar immer noch bei vielen divers aufgestellten Teams, aber leider
       nicht ganz so länderübergreifend, wie wir es auf dem wochentaz-Titel zum
       EM-Start hofften.
       
       Ich könnte jetzt zum Trost noch lange vom klaren [4][Labour-Wahlsieg] in
       Großbritannien schwärmen und über den Beweis jubeln, dass der Trend
       keineswegs automatisch überall nach rechts geht. Und dass ein Erdrutsch
       auch sehr erfreulich sein kann. Aber wenn es am schönsten ist, soll man ja
       aufhören.
       
       6 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Joe-Biden-im-US-Wahlkampf/!6018330
   DIR [2] /Joe-Bidens-TV-Performance/!6018313
   DIR [3] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2022-03/bundesregierung-ampel-koalition-ukraine-krieg
   DIR [4] /Labour-Wahlsieg-in-Grossbritannien/!6021726
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lukas Wallraff
       
       ## TAGS
       
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