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       # taz.de -- Neuer britischer Außenminister: Gesicht der Schwarzen Arbeiterklasse
       
       > David Lammy ist der erste Außenminister aus der Karibik mit
       > Sklavenvergangenheit. Die Biografie des Labour-Politikers ist eine
       > Aufstiegsgeschichte.
       
   IMG Bild: Will seine Vergangenheit nicht verleugnen: Der neue britische Außenminister David Lammy
       
       Berlin taz | Noch bevor David Lammy am Samstag zu seiner ersten Dienstreise
       als britischer Außenminister nach Berlin aufbrach, verkündete er [1][eine
       erste Entscheidung]: Grenada und andere Karibik-Inselstaaten erhalten eine
       halbe Million Pfund Nothilfe zur Bewältigung der jüngsten Hurrikanschäden.
       Die Karibik zuerst – das passt zu diesem Politiker, der seit Freitag das
       Außenministerium in London führt. „Ein Nachkomme von Versklavten; ein
       schwarzer Mann der Arbeiterklasse aus Tottenham; eine Gemeinschaft, die
       noch nie einen Außenminister hervorgebracht hat“ – so bezeichnete der
       Labour-Politiker sich in seiner [2][Antrittsrede].
       
       Lammy ist nicht Großbritanniens erster schwarzer Außenminister, aber der
       erste aus der Karibik mit Sklavenvergangenheit. Seine Eltern kamen einst
       aus Guyana als Teil der [3][„Windrush Generation“], die erste schwarze
       Einwanderergeneration direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Geboren wurde er
       1972 in London. Mit zehn Jahren gewann er ein Stipendium für die
       [4][Chorschule der Kathedrale von Peterborough].
       
       Damit betrat der kleine David aus dem Armenviertel eine andere Welt, wie
       Harry Potter in Hogwarts: der einzige Schwarze in einem Schlafsaal für 15
       Jungs, der als Einziger sein Besteck nicht korrekt zu halten wusste, wie er
       mal in einem Interview erzählte. Wie alle anderen bekam er vom Rektor
       regelmäßig Prügel, lernte als einziger Nichtweißer im Chor täglich in der
       prächtigen Kathedrale Singen. Viele wären daran zerbrochen. Er boxte sich
       durch: 1989 wurde er sogar Schulsprecher.
       
       Die entsprechend steile Karriere folgte: Jurastudium in London und in
       Harvard, Anwaltsarbeit in den USA, Einzug ins britische Unterhaus für
       seinen heimatlichen Nordlondoner Wahlbezirk Tottenham bei einer Nachwahl
       2000. Da war Lammy erst 27, der Jüngste im Parlament. Es ist eine
       Aufstiegsgeschichte, die bei den Konservativen häufiger auftritt als bei
       Labour, zuletzt mit Rishi Sunak – nun hat Lammy die Chance, daraus
       Außenpolitik zu machen.
       
       Als [5][Abgeordneter für Tottenham] wurde David Lammy jetzt zum siebten Mal
       wiedergewählt, allerdings nur noch mit 57 Prozent der Stimmen, nach 76
       Prozent vor fünf Jahren. Labours Schwäche bei diesem Wahlsieg hat auch ihn
       nicht verschont. Regierungserfahrung sammelte David Lammy noch unter Tony
       Blair, von 2005 bis 2007 war er sogar Kulturminister.
       
       Kontroverse Positionen 
       
       Die schweren Unruhen, die Tottenham nach einem tödlichen Polizeieinsatz im
       Sommer 2011 erschütterten, machten Lammy erneut bekannt. Sein Buch [6][„Out
       Of The Ashes: Britain After The Riots“] von 2012 beschrieb eine
       nihilistische schwarze Jugend, die ohne Vaterfiguren aufwächst, keine Werte
       vermittelt bekommt, bezahlte Arbeit verachtet und weder Chancen geboten
       bekommt noch Verantwortung übernimmt – Kritik, die keine Seite verschonte.
       
       Solche Positionen sind kontrovers, und David Lammy ist vorgeworfen worden,
       sein Mäntelchen nach dem Wind zu hängen. Er unterstützte früher Jeremy
       Corbyn, mittlerweile hat er Margaret Thatcher als „visionär“ gepriesen. Er
       hat einst Donald Trump als Nazi bezeichnet und sagt jetzt, er könne mit ihm
       zusammenarbeiten. Er war ein Gegner des Brexit, heute steht er zum
       EU-Austritt.
       
       „Früher war ich Hinterbänkler und konnte sagen, was ich fühlte; heute
       befinden wir uns an einem anderen Ort“, sagte er dazu in einem
       [7][Wahlkampfinterview]. Aber seine Vergangenheit verleugnet er nicht. „Man
       kann nicht in diesem Raum sitzen und nicht geschichtsbewusst sein“, sagte
       er in seinem [8][ersten Interview im Ministerbüro]. „Es gibt eine
       Geschichte, die hier zu Hause über die Welt erzählt werden muss.“
       
       7 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.gov.uk/government/news/uk-government-announces-hurricane-beryl-support-package-for-caribbean
   DIR [2] https://www.gov.uk/government/speeches/reconnecting-britain-for-our-security-and-prosperity-foreign-secretary-david-lammys-statement
   DIR [3] /Koloniale-Vergangenheit-des-Empire/!5938958
   DIR [4] https://www.kings.peterborough.sch.uk/
   DIR [5] https://en.wikipedia.org/wiki/Tottenham_(UK_Parliament_constituency)
   DIR [6] https://www.telegraph.co.uk/culture/books/bookreviews/8935828/Out-of-the-Ashes-Britain-After-the-Riots-by-David-Lammy-review.html
   DIR [7] https://www.thetimes.com/life-style/celebrity/article/david-lammy-interview-labour-election-z53pdfh0c
   DIR [8] https://www.theguardian.com/politics/article/2024/jul/06/david-lammy-britain-reconnecting-world-new-foreign-secretary
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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