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       # taz.de -- Nach den Wahlen in Großbritannien: Volldampf in Downing Street
       
       > Die Regierung von Labour-Premier Keir Starmer hat die Arbeit aufgenommen.
       > Auch Politiker aus der Ära Tony Blair sind mit dabei.
       
   IMG Bild: Frauenpower: die Justizministerin Shabana Mahmood (Mitte) sowie Bildungsstaatsministerin Bridget Phillipson am Samstag in London
       
       London taz | „Es ist mir recht, als Keir oder Premierminister angesprochen
       zu werden“, sagte Keir Starmer am Samstag bei seiner ersten
       [1][Pressekonferenz in 10 Downing Street]. Erst einen Tag vorher war er
       Premierminister geworden, nach dem Labour-Wahlsieg am Donnerstag. Die
       legere Bemerkung verbarg nur schlecht Starmers ernstes Gesicht, mit dem er
       hinzufügte, dass Angestellte des Staatsapparats ihn als „Prime Minister“
       anzusprechen hätten. Kein „Call me Tony“ mehr wie unter Tony Blair.
       
       Starmers neue Labour-Regierung hat eine ähnliche Dominanz im Parlament wie
       einst Blair, und binnen der ersten 48 Stunden an der Macht scheint sie
       bereits mit Volldampf losgelegt zu haben. Seine Kabinettsbesetzungen am
       Freitagnachmittag liefen im Mordstempo über die Bühne. Die erste
       Kabinettssitzung folgte am Samstagmorgen.
       
       Während [2][Starmer] danach seine besagte Pressekonferenz gab und noch
       einmal versprach, für Wirtschaftswachstum, Gesundheitsreform, saubere
       Energie, bessere Chancen für junge Menschen und bessere
       Verbrechensbekämpfung zu sorgen, reiste der neue Außenminister [3][David
       Lammy] bereits nach Berlin, um dort die deutsche Außenministerin Annalena
       Baerbock zu treffen. Danach sollte er nach Polen und Schweden weiterreisen.
       Starmer begann parallel dazu am Sonntag eine Schnelltour durch Schottland,
       Wales und Nordirland, um von Anfang an die Zusammenarbeit zwischen den
       verschiedenen Regionalregierungen zu verbessern.
       
       Schon am Dienstag reisen Starmer und Lammy dann gemeinsam mit dem neuen
       Verteidigungsminister John Healey zum Nato-Gipfel nach Washington.
       Hauptanliegen der britischen Außenpolitik unter der neuen Regierung sind
       bessere Beziehungen mit der EU, vor allem in der gegenseitigen Anerkennung
       von Regeln, darunter im Agrar- und Lebensmittelbereich. Auch sollen sich
       die Reisefreiheiten für Künstler:innen verbessern. Sicherheitsfragen,
       wie die Erhöhung der Verteidigungshaushalte der Nato-Mitglieder; die
       Bekämpfung von Menschenschleusern, um die illegale Migration über den
       Ärmelkanal einzudämmen sowie das Anstoßen eines Friedensprozesses im Nahen
       Osten sind weitere Anliegen.
       
       Öffentliche Dienste reparieren 
       
       Zu Hause beginnt gleichzeitig das Vorhaben, die kriselnden öffentlichen
       Dienste zu reparieren. Er werde bereits am Anfang schwere Entscheidungen
       mit „harter Ehrlichkeit“ treffen, sagte Starmer. Für all dies hat er sich
       nicht nur sein bisheriges Schattenkabinett weitgehend unverändert ins
       Kabinett geholt. Es sind auch Ehemalige aus den Jahren der letzten
       Labour-Regierungen von Tony Blair und Gordon Brown sowie bekannte
       Finanzexperten und Geschäftsleute mit im Boot.
       
       So leitet der ehemalige Chef der britischen Zentralbank, Mark Carney, eine
       Taskforce, die Privatinvestitionen in Milliardenhöhe an Land ziehen soll.
       Unter der Aufsicht der neuen britischen Finanzministerin Rachel Reeves –
       selber einstige Angestellte der Zentralbank – sitzen darin Leiter
       britischer Banken, Versicherungen und Rentenfonds.
       
       Auch der neue Staatssekretär für Strafanstalten ist ein Mann aus der
       Geschäftswelt. James Timpsons Schlüsseldienstkette hat sich auf die
       Einstellung von ehemaligen Straftäter:innen spezialisiert. Mit seiner
       Hilfe will Starmer die übervollen Strafanstalten leeren. Timpson untersteht
       der neuen Justizministerin Shabana Mahmood, einer Muslimin.
       
       ## Verbesserung des staatlichen Gesundheitswesens
       
       Mit am wichtigsten für die öffentliche Wahrnehmung der neuen Regierung wird
       eine Verbesserung der schlechten Zustände im staatlichen Gesundheitswesen
       sein. Die Reform des National Health Service (NHS) übernimmt nun
       Gesundheitsminister Wes Streeting, der ebenfalls seit Monaten mit
       etablierten Expert:innen zusammenarbeitet. Einer ist Alan Milburn,
       bereits unter Blair mitverantwortlich [4][für Reformen des NHS], welche
       damals die unzumutbar langen Wartezeiten stark reduzierten.
       
       Starmer angelte sich außerdem den einstigen wissenschaftlichen Chefberater
       von Boris Johnson während der Coronapandemie, Sir Patrick Vallance, als
       neuen Wissenschaftsminister. Er bekommt dafür einen Sitz im Oberhaus, dem
       House of Lords, denn Regierungsmitglieder müssen im Parlament sitzen.
       
       Über den Umweg des House of Lords wird auch Jacqui Smith, die
       Innenministerin der letzten Labour-Regierung bis 2010, ohne gewähltes
       Mandat ins Kabinett befördert. Sie wird als Staatsministerin der neuen
       Bildungsministerin Bridget Phillipson mit Reformen im Schul- und
       Kitabereich helfen. Phillipson wird die heikle Aufgabe umsetzen müssen, die
       bestehende Mehrwertsteuerbefreiung von britischen Privatschulen
       abzuschaffen.
       
       Sie ist unter sehr ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, ebenso wie die
       neue stellvertretende Premierministerin Angela Rayner, die sich vor allem
       mit Reformen des Arbeitsrechts befassen wird, darunter die versprochene
       Abschaffung von Nullstundenverträgen. Rayner ist außerdem für die bessere
       Unterstützung von wirtschaftlich vernachlässigten Regionen zuständig.
       
       ## Rekrutierung von ehemaligen Zöglingen
       
       Labours letzter Energieminister Ed Miliband, der Labour als Parteichef 2015
       in eine Wahlniederlage führte, kehrt als Minister für Energiesicherheit und
       Klimaneutralität in die Regierung zurück. Der ehemalige
       Labour-Schottlandminister und Verkehrsminister Douglas Alexander ist jetzt
       zurück im Unterhaus, als Staatsminister für Unternehmen im
       Wirtschaftsministerium.
       
       In seiner Pressekonferenz bestätigte Starmer auf Nachfrage, dass [5][das
       konservative Vorhaben] von Abschiebungen illegal eingereister Einwanderer
       nach Ruanda „tot und begraben“ sei. Die neue Innenministerin Yvette Cooper,
       eine weitere politische Überlebende aus der Ära Blair und Brown, erklärte
       gleich nach ihrer Ernennung, dass sie mehr Polizei und stärkere
       Grenzsicherheit wolle.
       
       Die Rekrutierung vieler seiner ehemaligen Zöglinge scheint auch Tony Blair
       zu beflügeln. Der 71-jährige Ex-Premier erteilte Keir Starmer am Sonntag in
       der [6][Sunday Times] zahlreiche ungebetene Ratschläge. Er solle künstliche
       Intelligenz fürs Regieren nutzen, eine harte Einwanderungspolitik fahren
       und „Wokeismus“ abwehren, um sich gegen die rechte Kraft „Reform UK“ zu
       wehren. Gerade erst hatte Starmer vor Journalisten auf die Frage nach
       seiner Vergleichbarkeit mit Vorgängern betont, dass er keinen ihrer Namen
       heimlich eintätowiert habe und dass er sein eigener Mann sei.
       
       7 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=SMlICJmROBo&ab_channel=10DowningStreet
   DIR [2] /Die-Wahrheit/!6021244
   DIR [3] /Neuer-britischer-Aussenminister/!6019260
   DIR [4] /Mythos-des-britischen-NHS/!5679246
   DIR [5] /Grossbritanniens-Ruanda-Abschiebungen/!6003363
   DIR [6] https://www.thetimes.com/uk/politics/article/tony-blair-my-advice-to-keir-starmer-j0zlmzwr3
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
       
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