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       # taz.de -- EM-Spiele nachträglich schauen: Das Versagen des Deprivators 5.000
       
       > Unser Autor will das letzte Spiel der Deutschen nachträglich ohne Spoiler
       > sehen. Aber das ist schal, und überall lauern zu viel Informationen.
       
   IMG Bild: Zeitversetzt steckt nicht mehr viel Drama im Drama: Florian Wirtz nach dem Ausscheiden
       
       In der [1][Sitcom „How I Met Your Mother“] benutzt einer der Protagonisten,
       Ted Mosby, den „sensorischen Deprivator 5.000“, um alle Reize aus der
       Außenwelt auszublenden. Ted möchte mit seinen Freunden den Superbowl
       nachträglich schauen. Das Ergebnis darf niemand aus der Runde erfahren. Der
       Deprivator verhüllt Ohren und Augen, nur ein kleiner Sehschlitz bleibt
       offen, denn Ted will in einer Sportsbar noch die leckeren Chicken Wings
       abholen. Aber man ahnt es schon: Die Sache geht schief. Das Sportereignis
       ist zu groß, um nicht durch jede Ritze und in jede Pore zu dringen.
       
       Auch mir hätte der sensorische Deprivator 5.000 nicht viel genutzt. Ich
       verpasse das Deutschland-Spiel, das sich als das letzte Deutschland-Spiel
       dieser EM erweisen soll; später möchte ich es mir in aller Ruhe reinziehen.
       Warum? Nun, es ist zu einer ganz netten Familientradition geworden, dass
       wir ein bestimmtes Konzert der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern besuchen,
       irgendwo im Nirgendwo der Seenplatte. Das hat Vorrang, und diesmal sind
       vier New Yorker Jungs in die Einöde gekommen, sie spielen in einer
       Dorfkirche groß auf, Mendelssohn, Britten und Wijeratne.
       
       Die ersten zehn Minuten [2][des Spiels gegen Spanien] bekommen wir noch zu
       Hause mit, dann müssen wir los zur richtigen Kultur, die nicht
       ohrenbetäubende Massenbelustigung ist. Es steht 0:0, und die
       Festspieltante, die das Isidore String Quartet ankündigt, sagt, schön, dass
       man trotz eines „anderen wichtigen Ereignisses“ hier sei, und es stehe zur
       Halbzeit immer noch Null-Null, was mir natürlich nicht recht ist: too much
       information. Weitere Ergebnisdurchsagen unterlässt die Dame, auch sonst
       lässt sich jetzt nicht mehr viel erahnen. Die zumeist älteren Musikfreunde
       scheinen sich keinen Deut für das hochwichtige Fußballspiel zu
       interessieren. Wir verlassen die Kirche gegen neun und erhalten einen Anruf
       aus Berlin.
       
       Der Sohn hat eine so heisere Stimme, dass ihn meine Frau nicht sofort
       erkennt, die Tochter scheint sich über irgendetwas zu beschweren. Was
       bedeutet das? Viele Tore? Ein doofer Schiri? Meine Frau blickt vielsagend
       kryptisch; sie weiß etwas. Oder?
       
       ## Too much information
       
       Die Dörfer liegen still, aber das tun sie immer. Ein Feuer brennt
       lichterloh, eine Fahne hängt schlaff, mehr ist da nicht. Daheim schaue ich
       auf Magenta TV die erste Halbzeit zeitversetzt, das heißt, meine Frau
       stellt den Stream für mich ein, um mich zu schützen vor Infoschrapnellen.
       Sie zappt vor zur zweiten Hälfte. Der Stream zeigt nicht 45 Minuten an, er
       ist viel länger, sehr viel länger. Ich weiß nun: Verlängerung, mindestens.
       Ich spule vor, ungeduldig und leicht genervt: too much information. 1:0,
       1:1, 2:1. [3][Das Aus].
       
       Das alles wirkt schal, also nicht nur die Niederlage der Deutschen, sondern
       auch das Re-live-Gucken aus der Konserve. Das So-tun-als-ob erweist sich
       als Rohrkrepierer. Das Ereignis ist schneller, größer, eine Fermate reine
       Illusion, die vielleicht ein Nicholson Baker hinbekommt im gleichnamigen
       Roman, ich aber nicht. Bloß gut, dass nächstes Jahr keine bahnbrechenden
       Sportereignisse anstehen.
       
       7 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
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