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       # taz.de -- Vor dem Halbfinale gegen England: Wucht statt Geschick
       
       > Das Team der Niederlande bleibt ein Rätsel. Vorne fehlt bisweilen die
       > Kreativität, hinten die Stabilität – und am Ende kommt Wout Weghorst.
       
   IMG Bild: Übung macht den Europameister: Training der niederländischen Nationalmannschaft in Wolfsburg
       
       Berlin taz | Es herrscht Ratlosigkeit rund um das Team der Niederlande vor
       dem Halbfinale gegen England. Kein Wunder – warum sollte es den Spielern
       der Elftal anders gehen als den normalsterblichen Beobachtern [1][der
       Auftritte von Englands besten Fußballern]? Die stünden „nicht umsonst“ im
       Halbfinale, demnach können sie ja gar nicht so schlecht sein, meinte etwa
       Cody Gakpo aus der Offensive, der sein Geld in der Premier League beim FC
       Liverpool verdient.
       
       Auch er weiß, was alle wissen: „Sie haben eine gute Mannschaft.“ Und auch
       er rechnet, womit alle rechnen, mit einem defensiven Auftritt der
       Mannschaft von Gareth Southgate am Mittwochabend in Dortmund.
       
       Die Offensive der Niederlande wird also gefordert sein. Ob sie der Aufgabe
       gewachsen ist? [2][Im Viertelfinale gegen die defensiv außerordentlich
       diszipliniert spielende Mannschaft aus der Türkei] ist den Niederländern
       jedenfalls lange wenig eingefallen. Brav spielten sie den Ball um die aus
       einer Fünfer- und einer Viererriege gebildete Verteidigung herum, meist
       ohne ein Lücke zu finden.
       
       Eine gute Stunde war gespielt, da landete der Ball bei dieser ideenlosen
       Übung bei Torhüter Bart Verbruggen kurz hinter dem Mittelkreis. Der schaute
       sich nach einer Anspielstation um. Ging mit dem Ball einen Meter zurück,
       schaute sich wieder um, ging noch einmal ein kleines Stück nach hinten,
       schaute nach seinen Mitspielern, die ihm wieder nichts anboten. Und so
       schob er den Ball an einen in der Nähe stehenden Spieler weiter, dem dann
       auch nichts Besonderes einfiel. Es war eine Szene mit viel Symbolkraft. Die
       Niederländer tun sich schwer, Kreativität zu entwickeln.
       
       Dabei hatten sie nach dem 3:0 im Achtelfinale gegen Rumänien schon gedacht,
       sie müssten sich um ihr Angriffsspiel keine Sorgen machen. Tijjani
       Reijnders machte über außen das Spiel und war endlich der Antreiber, der
       den Niederlanden gefehlt hatte. Gegen die Türkei war er dann eher
       antriebslos, und weil sein Kollege Xavi Simons, den man bei RB Leipzig
       schon oft sehr gut gesehen hat, eine schlechte Entscheidung nach der
       anderen traf, war unschwer zu erkennen, dass den Niederlanden Kreativität
       fehlt. Die hat einen Namen: Frenkie de Jong. Sein verletzungsbedingtes
       Fehlen wiegt schwer.
       
       ## Turnierspieler Gakpo
       
       Immerhin können sie sich darauf verlassen, dass Cody Gakpo immer dann
       besonders gut spielt, wenn er das orange Trikot der Nationalmannschaft
       trägt. Er steht für das typisch niederländische Außenstürmersystem, das
       früher über alle Maße gefeiert wurde. Aber er steht eben meist ziemlich
       alleine da.
       
       Und so bleibt [3][Trainer Ronald Koeman] oft nichts anderes übrig, als mit
       Wout Weghorst einen Stürmer spielen zu lassen, der eher mit Wucht statt
       Geschick agiert. Ob dessen brachiale Herangehensweisel, die der TSG
       Hoffenheim in der abgelaufenen Saison in der Bundesliga auch nur sieben
       Tore beschert hat, ausreicht, um die englische Innenverteidigung zu
       überwinden, wird sich zeigen.
       
       Und hinten? Da herrscht auch eine gewisse Ratlosigkeit. Nach dem 0:0 gegen
       Frankreich in der Vorrunde war die Defensive noch über den grünen Klee
       gelobt worden. Bei den Spielen gegen Österreich und im Viertelfinale gegen
       die Türkei war die Abwehr eher ein amorphes Gebilde. Der türkische Stürmer
       Barış Yılmaz hat Außenverteidiger Nathan Aké regelrecht zermürbt, sodass
       der in der 72. Minute gar ausgewechselt werden musste. Und auch Virgil van
       Dijk, der König der Innenverteidiger, der unumstrittene Chef de Mission,
       wenn die Niederlande auf dem Platz stehen, wurde von Yılmaz bisweilen
       derart bedrängt, dass ihm nichts anderes übrigblieb, als den Ball ganz
       schnöde ins Seitenaus zu klären.
       
       Wenn sich also – wie es der im Spiel gegen die Türkei eingewechselte Micky
       van de Ven erwartet – tatsächlich ein „intensives Spiel“ mit
       Premier-League-Charakter entwickeln sollte, könnte es durchaus das ein oder
       andere Mal chaotisch werden vor dem Tor von Verbruggen, der mit einer
       irrwitzigen Parade in der Nachspielzeit dafür gesorgt hat, dass sich die
       Niederlande mit 2:1 durchgesetzt haben und im Halbfinale stehen. Soll es
       mit dem Finaleinzug klappen, muss wirklich eintreten, was sich Cody Gakpo
       für das Spiel gegen England wünscht. Der hofft, „dass wir zeigen können,
       wie alles zusammenpasst, und wir unser bestes Spiel auf den Platz bringen“.
       
       10 Jul 2024
       
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