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       # taz.de -- Eckpunkte für Haushalt 2025: Zoff um Steuerrabatt für Fachkräfte
       
       > Geplante Erleichterungen für zugewanderte Arbeitnehmer ernten Kritik.
       > Dass bei Integrationskursen gespart werden soll, gerät fast aus dem
       > Blick.
       
   IMG Bild: Fachkräfte dringend gesucht: Ein Elektrotechniker aus Ägypten bei der Arbeit in einem Eisenbahnunternehmen in Dortmund
       
       Berlin taz | Die Pläne der Ampelspitze, Steuern für ausländische Fachkräfte
       zu senken, sorgen für Widerspruch bis ins Kabinett hinein. Die Opposition
       ist ohnehin erbost, nun äußerte sich auch Bundesarbeitsminister Hubertus
       Heil (SPD) skeptisch. Er sagte dem TV-Sender RTL: „Die Arbeit in diesem
       Land muss gleich viel wert sein.“ Fast aus dem Blick geraten dabei
       Kürzungspläne der Ampel für Integrationsprojekte, die eigentlich
       Asylbewerber*innen [1][den Jobeinstieg] erleichtern sollten.
       
       Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und
       Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatten sich am Freitag auf
       [2][Eckpunkte für den Bundeshaushalt 2025] geeinigt. Vorgesehen sind auch
       Maßnahmen, welche [3][die deutsche Wirtschaft stärken sollen], darunter die
       umstrittenen Pläne für eingewanderte Fachkräfte. Geplant ist, dass diese im
       ersten Jahr 30 Prozent des Bruttolohns nicht versteuern müssen, im zweiten
       Jahr 20 Prozent und im dritten Jahr 10 Prozent. Dafür soll es aber eine
       Gehaltsgrenze geben.
       
       Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht kritisierte die Pläne umgehend als
       „rücksichtslos gegenüber den einheimischen Beschäftigten“.
       Unions-Wirtschaftspolitikerin Julia Klöckner sprach von
       „Inländer-Diskriminierung“. Aber auch die Vorsitzende des Deutschen
       Gewerkschaftsbundes Yasmin Fahimi wandte sich gegen das Vorhaben. Habeck
       verteidigte die Pläne dagegen öffentlich.
       
       Der Migrationsexperte Thomas Liebig von der OECD sieht durchaus Chancen,
       dass die Pläne Wirkung zeigen. Die Erleichterungen seien nicht zwangsläufig
       ungerecht. „Ausländische Fachkräfte haben nicht von der steuerfinanzierten
       Bildung profitiert, und auch der Umzug kostet viel Zeit und Geld.“ Liebig
       sagt aber auch, die Steuerlast sei „nicht das Hauptproblem, wegen dem
       Fachkräfte nicht herkommen“. Deutschland sei für Fachkräfte im Ausland
       ohnehin attraktiv. Es gebe aber hohe Hürden bei der Einwanderung. Wichtiger
       sei es deshalb, die Digitalisierung der Visaprozesse weiter voranzutreiben
       und das Personal in den Verwaltungs- und Visastellen aufzustocken.
       
       ## Vieles bleibt noch vage
       
       Derweil gehen die weiteren migrationspolitischen Aspekte in den
       Haushalts-Eckpunkten geradezu unter. So will die Ampel etwa – wie im
       Koalitionsvertrag angekündigt – die Westbalkan-Regelung auf weitere Staaten
       anwenden. Diese erleichtert es Menschen aus Albanien, Bosnien und
       Herzegowina, Kosovo. Nordmazedonien, Montenegro und Serbien, zum Arbeiten
       nach Deutschland zu kommen: Sie müssen einen Arbeitsvertrag vorweisen,
       nicht aber eine berufliche Qualifikation. Die Regelung ist derzeit auf
       50.000 Zustimmungen pro Jahr begrenzt.
       
       Welche weiteren Länder nun hinzukommen sollen, ist aber offenbar noch
       unklar: Auf taz-Nachfrage heißt es aus dem Bundesarbeitsministerium, dazu
       könne man „leider zum jetzigen Zeitpunkt nichts mitteilen“. Die „konkrete
       Ausgestaltung“ bleibe abzuwarten.
       
       Zudem sollen Geflüchtete, die [4][eine Arbeitsgenehmigung] beantragen,
       künftig schneller Klarheit haben: Die Ampel will eine „Genehmigungsfiktion“
       einführen. Was sperrig klingt, heißt in der Praxis: Wenn die
       Ausländerbehörde nicht innerhalb von zwei Wochen anders entscheidet, gilt
       die Erlaubnis als erteilt. Und das Bundesinnenministerium will über
       Anwendungshinweise erreichen, dass Ausländerbehörden künftig einheitlicher
       – und kulanter – im Fall von Ermessensduldungen entscheiden – um so
       Menschen vor Abschiebung zu schützen, die etwa auf die Erteilung ihrer
       Beschäftigungs- oder Ausbildungsduldung warten.
       
       Gleichzeitig drohen offenbar gravierende Kürzungen. In der offiziellen
       Einigung ist von konkreten Zahlen zwar nichts zu lesen. Die Deutsche
       Presseagentur erfuhr allerdings aus Regierungskreisen, dass etwa bei den
       Integrationskursen im dreistelligen Millionenbereich gespart werden soll.
       Auf taz-Nachfrage wollte das Bundesinnenministerium sich zur genauen Höhe
       nicht äußern und verwies auf den Kabinettsbeschluss, der für den 17. Juli
       geplant ist.
       
       ## Kritik für Kürzungen
       
       Das sei fatal, sagt Kerstin Becker vom Paritätischen Gesamtverband. Sie
       kritisiert, dass in der Einigung zwar viel von gesellschaftlichem
       Zusammenhalt die Rede sei – Maßnahmen zur Integration von Migrant*innen
       und Geflüchteten dort aber gar nicht vorkämen. „Schon seit den letzten
       Haushaltsverhandlungen drohen hier immer wieder gravierende Kürzungen,
       dabei bräuchten wir eigentlich eine Aufstockung“, so Becker.
       
       Bislang gibt es nur Meldungen über Kürzungen bei den Integrationskursen.
       „Aber wenn wir das hören, klingeln natürlich alle Alarmglocken, dass es
       sich nicht auf diesen Bereich beschränken wird.“ Sie sorgt sich auch um die
       Asylverfahrensberatung, die Migrationsberatung oder die psychosozialen
       Zentren. All das sei elementar für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, so
       Becker – und auch für den Arbeitsmarkt. „Wer traumatisiert ist, kann weder
       mit voller Energie die deutsche Sprache lernen, noch ernsthaft berufstätig
       sein.“
       
       Auch Wiebke Judith von Pro Asyl bezeichnet die Sparvorhaben als
       „dramatisch“: „Gerade wird Geflüchteten wieder allenthalben vorgeworfen,
       sich nicht zu integrieren“, sagt Judith. „Da ist es einfach nur zynisch,
       wenn man gleichzeitig die Mittel kürzt, die ihnen Integration überhaupt
       erst ermöglichen.“
       
       Dass die Bundesregierung in den Ausländerbehörden auf eine größere
       Einheitlichkeit bei der Entscheidungspraxis hinwirken will, begrüßt Judith.
       „Wir erleben aktuell sehr unterschiedliche Herangehensweisen, manche
       Ausländerbehörden sind kulanter, andere sehr restriktiv – das variiert auch
       regional“, so Judith. Zwar sei das BMI den Ausländerbehörden gegenüber
       nicht weisungsbefugt. „Aber Anwendungshinweise aus dem Ministerium finden
       durchaus Beachtung.“
       
       Auch schnellere Klarheit bei Anträgen auf Arbeitserlaubnis sieht Judith
       positiv. Die Ausländerbehörden seien massiv überlastet, mitunter warteten
       Geflüchtete ein dreiviertel Jahr auf Antwort. „Es kommt durchaus vor, dass
       Geflüchteten Arbeitsplätze verloren gehen, weil die Rückmeldung nicht
       schnell genug kommt“, so Judith. „Wir haben allerdings Sorge, dass diese
       Fiktionsgenehmigung Arbeitgeber*innen verunsichert, weil sie sie nicht
       kennen – die wollen natürlich die Sicherheit haben, dass sie Leute
       einstellen, die auch arbeiten dürfen“, so Judith. Das Problem kenne man bei
       Pro Asyl auch von anderen Fiktionsbescheinigungen, etwa beim
       Aufenthaltstitel.
       
       9 Jul 2024
       
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