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       # taz.de -- Urteil zu Brandanschlag in Saarlouis: Freispruch für den Neonazi-Führer
       
       > 33 Jahre nach dem Mord an einem Ghanaer wurde der Faschist Peter S.
       > freigesprochen. Es fehlten Beweise dafür, dass er zum Anschlag
       > angestachelt hatte.
       
   IMG Bild: Das Oberlandesgerichts Koblenz beim Prozess gegen Peter St
       
       Saarlouis taz | Fast 33 Jahre nach dem tödlichen Brandanschlag auf eine
       Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis ist die weitere strafrechtliche
       Aufarbeitung erst einmal gescheitert. Im [1][zweiten Prozess] um den
       qualvollen Feuertod des 27 Jahre alten Ghanaers Samuel Yeboah wurde Peter
       St., der langjährige Anführer der Neonazi-Szene in der saarländischen
       Kleinstadt, am Dienstag vom Vorwurf der Beihilfe freigesprochen.
       
       Das Oberlandesgericht in Koblenz hielt es nach mehr als viermonatiger
       Verhandlung nicht für erwiesen, dass der heute 55-Jährige seinen im
       vergangenen Jahr als Haupttäter verurteilten Freund und Kameraden Peter
       Werner S. zu dem rassistischen Mord bewegt hatte. „Der Nachweis, dass der
       Angeklagte die Inbrandsetzung des Gebäudes und damit den Tod von Menschen
       in Kauf genommen hat, hat in der Beweisaufnahme nicht geführt werden
       können“, sagte Senatsvorsitzender Konrad Leitges.
       
       Es ging um einen Kneipenabend und letztlich um ein einziges Wort. Bevor der
       damalige Neonazi-Skinhead Peter Werner S. am frühen Morgen des 19.
       September 1991 losgezogen war, um die Asylunterkunft im Saarlouiser
       Ortsteil Fraulautern anzuzünden, hatte er mit dem jetzt angeklagten Peter
       St. und einem dritten militanten Neonazi beim Bier gesessen.
       
       Man freute sich über die Serie rassistischer Übergriffe dieser heute als
       „Baseballschlägerjahre“ bezeichneten Nachwendezeit. Die Pogrome von
       Hoyerswerda hatten gerade eben begonnen, zuvor waren nach Angaben der
       Bundesanwaltschaft schon in acht anderen deutschen Städten
       Geflüchtetenheime mit Brandsätzen attackiert worden, von Chemnitz bis
       Gelsenkirchen. Und kurz vor dem Kneipenabend war im Fernsehen eine
       Reportage gelaufen, in der die Beteiligte eines neonazistischen Angriffs in
       Leipzig-Grünau kühl verkündete: Beim nächsten Mal könnte es auch Tote
       geben.
       
       ## Kein Schlussstrich
       
       In dieser Stimmung soll Peter St., der unumstrittene und von Peter Werner
       S. geradezu bewunderte Chef der Saarlouiser Skin-Szene, sinngemäß gesagt
       haben: „Hier müsste auch mal so was passieren.“ Ob er auch das Wort
       „brennen“ benutzt hat, daran konnte oder wollte sich der Mann, der bei dem
       Besäufnis im „Bayrischen Hof“ als Dritter dabei gewesen war, vor Gericht
       allerdings nicht mehr erinnern. Außerdem beteuerte er, den Satz lediglich
       als Aufforderung zu „Randale“ verstanden zu haben.
       
       Der Staatsschutzsenat hatte den Angeklagten nach diesem Auftritt des
       Hauptbelastungszeugen bereits im März aus der Untersuchungshaft entlassen.
       Nicht allzu überraschend befand er nun: Für eine Verurteilung reiche die
       Aufforderung, dass „so was passieren“ solle, nicht aus. „Was der
       Bezugspunkt dieses ‚so was‘ war, bleibt bloße Spekulation“, erklärte
       Richter Leitges.
       
       Mit dem Freispruch folgte das Gericht dem Antrag der Verteidigung. Die
       Bundesanwaltschaft [2][hatte sechseinhalb Jahre Gefängnis gefordert]:
       Angesichts des Gesprächskontexts sei doch völlig klar, was Peter St.
       gemeint habe. Sein um Anerkennung buhlender Freund Peter Werner S.
       jedenfalls habe es verstanden – und das Feuer gelegt, „um dem Angeklagten
       zu gefallen“. Von „absoluter Loyalität“ sei sein Verhältnis zu Peter St.
       geprägt gewesen, haben Zeug*innen aus der Szene berichtet. Wie bei Hund
       und Herrchen. Oder wie es der Hauptbelastungszeuge ausdrückte: „Die waren
       ein Kopf und ein Arsch.“
       
       Peter St. galt bis in dieses Jahrtausend hinein als eine zentrale Figur der
       Neonazi-Szene des Saarlands. Er gründete die „Kameradschaft Horst Wessel –
       Saarlautern“, die bundesweit bei rechten Demonstrationen aufmarschierte,
       betrieb einen einschlägigen Versandhandel und einen Szeneladen. Wie nah ihm
       Gewalt heute noch liegt, zeigte sich, als er in einem abgehörten Telefonat
       drohte, eine Frau „aufzuschneiden“ – bloß weil er mit ihrem Mann Streit
       hatte. „Es gibt die Natur und die Natur sagt zu mir: Vernichte.“ Das
       Gericht bescheinigte ihm, noch immer „ausländerfeindlich und
       nationalsozialistisch eingestellt“ zu sein. Was aber für die Bewertung des
       Kneipengesprächs von einst keine Rolle spiele.
       
       Zu den späten Prozessen um den Mord an Samuel Yeboah war es nur gekommen,
       weil sich der nun erst einmal wieder als Einzeltäter geltende Peter Werner
       S. gegenüber einer Frau mit dem Anschlag gebrüstet hatte. Im Oktober 2023
       wurde der heute 53-Jährige zu einer Jugendstrafe [3][von knapp sieben
       Jahren verurteilt]. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Auch
       mit dem jetzt ergangenen Freispruch von Peter St. wird die juristische
       Aufklärung wohl nicht enden: Die Bundesanwaltschaft und die als Nebenkläger
       auftretenden Überlebenden des Brandanschlags, deren Anwält*innen über
       die „psychische Beihilfe“ hinaus sogar eine strafrechtlich schwerer
       wiegende Anstiftung zum Mord für bewiesen halten, können Revision einlegen.
       
       Zudem wird gegen den Ex-Neonazi, der als Hauptbelastungszeuge gegen Peter
       St. auftrat, wegen einer möglichen Tatbeteiligung noch ermittelt – der
       vermeintliche Einzeltäter Peter Werner S. hatte ihn in seinem
       (Teil-)Geständnis schwer beschuldigt. Und im saarländischen Landtag bemüht
       sich ein Untersuchungsausschuss um die Aufarbeitung des staatlichen
       Versagens beim Umgang mit der rechten Gewalt der neunziger Jahre. Dass
       Samuel Yeboah das Opfer eines rassistischen Anschlags war, hatten Polizei
       und Politik im Saarland drei Jahrzehnte lang nicht hören wollen. Im Juni
       hat die Beweisaufnahme begonnen.
       
       9 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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