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       # taz.de -- Bremer FDP wirbt für Pyro-Pilotversuch: Gelber Rauch überm Rasen
       
       > Weil Verbote eh nicht richtig wirken: Die Bremer FDP schlägt vor,
       > Pyrotechnik im Fußballstadion zu erlauben – kontrolliert und in engen
       > Grenzen.
       
   IMG Bild: Kontrolliert, legal und ein Vorbild für die FDP-Idee: Vor einem Spiel des HSV gegen den Karlsruher SC wird Pyrotechnik abgebrannt
       
       Hamburg taz | Das Timing war fast perfekt: Von der „derzeit“ großen
       Begeisterung – dank [1][Uefa-EM] – konnte die Bremer
       FDP-Bürgerschaftsfraktion schwärmen, als sie am 13. Juni einen Antrag
       formulierte, der auch mit Fußball zu tun hat: „[2][Pyrotechnik] ist doch
       kein Verbrechen“ ist er überschrieben, und [3][die Liberalen fordern darin]
       ein „Pilotprojekt zur kontrollierten Anwendung im Stadion“: In engen
       Grenzen soll das Abbrennen von Bengalischem Feuer oder Rauchtöpfen
       ermöglicht werden, nicht aber das Zünden von Böllern oder Leuchtraketen.
       „Die Stimmung in den Stadien, auch erzeugt durch Pyrotechnik, ist Teil der
       Faszination Fußball“, so die Verfasser des Antrags, darunter Ole Humpich,
       sportpolitischer Sprecher der Fraktion.
       
       Neben Begeisterung für das Spiel und die Fankultur steht dahinter auch
       Pragmatismus: „Wir haben in der Vergangenheit in den Fußballstadien
       gesehen, dass man es nicht verboten bekommt“, sagt Humpich der taz. „Es
       wird immer wieder Pyrotechnik gezündet, und durch diese illegale
       Pyrotechnik werden Personen im Stadion, auch Familien, potenziell
       gefährdet.“
       
       Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ahndet solche Vorfälle mit Geldstrafen,
       deren Höhe von der Spielklasse abhängt: Das Abbrennen eines Pyros kostet
       einen Drittligisten 350 Euro, einen Erstligisten 1.000 Euro. Wohlgemerkt:
       Die eigentlichen Übeltäter:innen sind dabei Stadionbesucher*innen,
       nicht notwendigerweise auch Mitglieder der haftenden Vereine.
       
       Im März vergangenen Jahres beliefen sich die Pyro-Strafzahlungen in den
       drei deutschen Profi-Fußballligen zusammen auf immerhin 440.000 Euro –
       gegenüber 150.000 Euro im März 2019, also vor Corona. Gerade erst, laut
       Meldung vom 21. Juni, musste der VfL Wolfsburg stolze 63.000 Euro zahlen
       „wegen drei Fällen eines unsportlichen Verhaltens seiner Anhänger“. Werder
       Bremen [4][musste Ende Mai 20.000 Euro entrichten], nachdem im März ein Fan
       „mindestens 20 pyrotechnische Gegenstände“ abgebrannt hatte.
       
       Neben diesen Sanktionen durch die DFB-eigene Sportgerichtsbarkeit können
       Zündler*innen aber auch vor richtigen Gerichten landen – etwa wegen
       versuchter gefährlicher Körperverletzung. „Für die Frage der Strafbarkeit“,
       so die Göttinger Jura-Doktorandin Katharina Reisch [5][unlängst im Magazin
       „Legal Tribune Online“], „kommt es stark darauf an, welche Art von
       Pyrotechnik in welchem konkreten Setting wie verwendet wird.“ Auch Ole
       Humpich sagt, man müsse „unterscheiden zwischen Pyro und Pyro: Was nicht
       unter das Sprengstoffgesetz fällt, darf genutzt werden – und was darunter
       fällt, nicht.“
       
       Pilotversuche, wie sie seine Fraktion fordert, ermöglichen in Frankreich
       und Skandinavien das Abbrennen von Pyrotechnik unter strengen Auflagen.
       Auch im Hamburger Volksparkstadion ist das ausprobiert worden: 2020 bei
       einem Zweitliga-Spiel des HSV gegen den Karlsruher SC. In ihrem Antrag
       verweist die FDP auf das Vorbild Chemnitz: Dort hatten sich der Chemnitzer
       FC, Fans, Polizei und Ordnungsamt abgestimmt, und beim Einlaufen der
       Mannschaften wurde vor dem Block der Chemnitzer Ultras Bengalisches Feuer
       „gemäß den gesetzlichen Vorgaben kontrolliert“ abgebrannt.
       
       Seit der Premiere im Jahr 2010 sei dieser [6][„Chemnitzer Weg“]
       weiterentwickelt worden, schreiben die FDP-Abgeordneten. Heute sehe das
       Konzept einen „abgesperrten Bereich“ im Fanblock vor, die feste Zuweisung
       von Verantwortung, die exklusive Nutzung von Rauchfackeln, die nicht unter
       das Sprengstoffgesetz fallen, sowie klare Zeitpunkte „vor oder nach dem
       Spiel“, um dessen Ablauf nicht zu beeinflussen.
       
       „Wenn man den Leuten eine Möglichkeit gibt, Pyrotechnik an bestimmten
       Stellen vernünftig abzubrennen“, sagt Humpich, „vielleicht auch in
       bestimmten Zeitfenstern: Dann machen sie mit, weil sie sich dieses Angebot
       nicht verscherzen wollen.“ Den Bremer Senat fordert die FDP nun dazu auf,
       „mindestens sechs Pilotaktionen“ nach Chemnitzer Vorbild in Bremens
       Profi-Stadien zu planen und durchzuführen. Dies solle wissenschaftlich
       begleitet werden, nach spätestens neun Monaten sollen die Deputationen für
       Inneres sowie für Sport Bericht erstattet bekommen.
       
       Der DFB erklärt auf taz-Anfrage: „Die von pyrotechnischen Erzeugnissen
       ausgehenden gesundheitlichen Gefahren sind teilweise nicht ausreichend
       bekannt. Insbesondere bei nicht bestimmungsgemäßer Verwendung, wie sie
       leider auch in vollbesetzten Stadionrängen zu sehen ist.“ Bereits gemachte
       „Erfahrungen mit dem kontrollierten, behördlich genehmigten Abbrand von
       Pyrotechnik im Fußballkontext zeigen, dass es eines hohen
       Abstimmungsbedarfes zwischen Veranstalter, involvierten Behörden und Fans
       bedarf“. Nach einem kategorischen Nein klingt das zumindest nicht.
       
       ## Der Innensenator ist skeptisch, Werder aufgeschlossen
       
       Skepsis signalisiert derweil das Ressort von Innensenator Ulrich Mäurer
       (SPD). Und Werder Bremens Geschäftsführerin Sport und Nachhaltigkeit,
       Anne-Kathrin Laufmann, teilt mit: „Grundsätzlich stehen wir Alternativen,
       Ideen und Projekten aufgeschlossen gegenüber. So ein Pilotprojekt gilt es
       allerdings im Vorfeld mit allen relevanten Protagonisten abzustimmen und zu
       prüfen.“
       
       Nun ist die FDP ohnehin in der Opposition, in Bremen regiert eine
       rot-rot-grüne Koalition – welche Aussicht auf Erfolg rechnet Humpich sich
       da aus? „Die Jüngeren aus der Regierungskoalition signalisieren uns schon,
       dass sie sich das gut vorstellen können“, sagt er. „Jetzt müssen wir
       natürlich schauen, was dabei hinten rauskommt und ob ihm dann tatsächlich
       zugestimmt wird.“ In der Bürgerschaft beraten werden könnte der Antrag am
       21. August – zwei Tage später beginnt die Bundesliga-Saison 2024/25.
       
       8 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwerpunkt-Fussball-EM-2024/!t5308320
   DIR [2] /Pyrotechnik/!t5016976
   DIR [3] https://www.bremische-buergerschaft.de/drs_abo/2024-06-13_Drs-21-614_0dd4f.pdf
   DIR [4] https://www.dfb.de/news/detail/20000-euro-geldstrafe-fuer-werder-bremen-261810/?no_cache=1&cHash=4884f00e8366c00ea733ba09b8ae953d
   DIR [5] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/pyrotechnik-em-hit-2024-verbrechen-strafrecht-kriminologie/
   DIR [6] https://cfc-fanpage.de/specials/2010_chemnitzerweg.html#:~:text=Der%20%22Chemnitzer%20Weg%22%20im%20Umgang,Einlaufen%20der%20Mannschaften%20kontrolliert%20abgebrannt
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Diehl
       
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