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       # taz.de -- Bauspielplatz mit trans*-Angebot: Angriff nach „Russia Today“-Artikel
       
       > „RT Deutschland“ berichtete im Februar über einen Hamburger Bauspielplatz
       > für trans* Kinder. Nun tauchten dort Hakenkreuze und Geschmiere auf.
       
   IMG Bild: Vor einem Jahr ist der Neubau des Bauspielplatzes Hexenberg in Hamburg-Altona, östlich des jüdischen Friedhofs, fertig geworden
       
       Hamburg taz | Der Bauspielplatz Hexenberg in Hamburg-Altona wurde erst vor
       einem Jahr fertiggestellt – als Ort für alle. Einen Sonntag im Monat
       richtet sich der Platz als „safe space“, als geschützter Ort also, an
       trans* und nicht-binäre Kinder. Doch als die leitende Sozialarbeiterin im
       Mai am Samstag vor dem monatlichen Treffen auf den Bauspielplatz kam,
       entdeckte sie auf dem Gelände Beschädigungen und Schmierereien – und auf
       einer Wiese vor dem Spielplatz lag ein Hakenkreuz: Jemand hatte die
       Holzpflöcke eines Blumenbeets rausgerissen und zu dem NS-Symbol
       zusammengelegt.
       
       Das Angebot speziell für trans* Kinder war schon zuvor ins Licht einer
       größeren Öffentlichkeit gezogen worden. Unter der Überschrift „Hamburg:
       Spielplatz mit ‚Safe Place für Trans- und Nicht Binäre Kinder‘“ erschien am
       8. Februar auf der Seite von „Russia Today Deutschland“, dem
       deutschsprachigen Internetangebot des russischen Propagandasenders RT, ein
       Artikel über das Angebot des [1][Bauspielplatzes], auch „B-you“ genannt.
       
       RT Deutschland soll, so die Kritik, vor allem Rechte und
       Verschwörungstheoretiker gezielt in ihrer Meinung bestätigen und
       entsprechende Desinformationen verbreiten. Nach den EU-Sanktionen gegen
       Russland sperrte die EU unter anderem „Russia Today Deutschland“, die
       finden aber Wege, weiter zu veröffentlichen.
       
       Der Text über den Bauspielplatz wurde auf mehreren Seiten publiziert. Auch
       die Adresse des Treffens wurde genannt.
       
       Der Träger des Platzes, die Gemeinwesenarbeit St. Pauli (GWA), war
       alarmiert und gab am 22. März eine „[2][Stellungnahme zur Hetze in rechten
       Foren]“ heraus. Der Bauspielplatz Hexenberg arbeite seit gut zwei Jahren an
       einem diversitätsorientierten Konzept mit Fokus auf [3][queersensible]
       Arbeitsweise. Ergebnis sei ein monatliches Freizeitangebot für trans* und
       nicht-binäre Kids, zu dem man Acht- bis Zwölfjährige einlade.
       
       ## 77 Institutionen der Hamburger Jugendhilfe unterzeichnen
       
       „Erschreckenderweise wurde auf zwei rechten Plattformen und einem
       YouTube-Channel ein Hetzartikel über den Bauspielplatz gefunden, der genau
       gegen jenes Angebot in abfälliger Art berichtet und die Einrichtung
       diffamiert“, hieß es dort.
       
       Man sähe sich gezwungen, das Angebot kurzfristig an einen anderen Standort
       zu verlegen. Damit sei die Idee, ein offenes Angebot für junge Menschen
       anzubieten, nicht mehr durchführbar. Aktuell könne man Ort und Zeit nur bei
       verbindlicher telefonischer Anmeldung durchgeben.
       
       Die Stellungnahme wurde inzwischen von 77 Institutionen der Hamburger
       Jugendhilfe und 28 Einzelpersonen unterzeichnet. Am 16. Mai zum Beispiel
       wurde auf einem Treffen der Landesarbeitsgemeinschaft Kindheit und Jugend
       der Linkspartei zum Unterzeichnen aufgefordert. In der Nacht vom 17. auf
       den 18. Mai passierte dann der Übergriff auf den Platz.
       
       Der Hamburger Verband für Kinder- und Jugendarbeit (VKJH) berichtet darüber
       [4][auf seiner Homepage]. „Vielleicht haben einige von euch mitbekommen,
       dass es einen erneuten Angriff gegen die Einrichtung gab, bei dem das
       Gebäude beschädigt und Sachen entwendet wurden“, heißt es dort. „Außerdem
       wurde im angrenzenden Park ein Hakenkreuz aus Holzteilen gelegt.“ Das
       zeige, wie dringend notwendig die große Solidarität mit dem
       B-you-Aktivplatz sei.
       
       Die Sozialarbeiterin, die den Übergriff entdeckt hatte, rief die Polizei.
       Nach Auskunft der Polizei-Pressestelle wurde die Hausfassade der
       Einrichtung mit Kreide und Sprühfarbe beschmiert und unterschiedliche
       Schriftzüge angebracht, darunter haufenweise „ACAB“ und „1312“ (All Cops
       Are Bastards und die Anfangsbuchstaben als Zahlen ausgedrückt), das sind
       auch im linken Spektrum gebräuchliche Parolen, außerdem „666“ oder „Hail
       Satan“, sowie der Satz „Jeder kann machen, was er will, nur nicht mit
       Kindern“. Auch von dem Hakenkreuz aus Holzteilen auf der benachbarten Wiese
       berichtet die Polizei.
       
       „Es handelte sich um queerfeindliche Sprüche“, sagt B-You-Leitung Kat
       Zeiger. Der Übergriff sei am Tag vor dem nächsten Treffen der trans* und
       nicht-binären Kinder passiert. Sie sieht außerdem einen Zusammenhang zu dem
       Artikel. Beides, Artikel und Übergriff, sei ihres Wissens beim
       Landeskriminalamt zu einem Aktenzeichen zusammengefasst, sagt sie auch dem
       Sender FSK. Schwierig an dem Artikel sei das Bloßstellen des Angebots, das
       Aneinanderreihen von aus dem Kontext gerissenen Informationen. „Es war
       nicht wertschätzend, nur kritisch gegenüber dem Angebot.“
       
       ## „Perfider Artikel“ über Arbeit mit trans* Kindern
       
       GWA-Geschäftsführer Martin Karolczak hatte schon nach dem Erscheinen des
       Artikels beim bürgernahen Beamten der Polizei um Rat gesucht, wie er
       berichtet. „Dieser ist perfide und formal nicht angreifbar“, sagt er. So
       wird dort aus lokalen Medien zitiert, dass der Platz im Juli 2023 an einem
       [5][neuen Standort für 1,57 Millionen Euro neu gebaut] wurde. „Das
       suggeriert, dass das ganze Geld für die Arbeit mit trans* Kids ausgegeben
       wird“, so Karolczak.
       
       [6][Bei der Bauspielplatzeröffnung] hatte die grüne Bezirksamtsleiterin
       Stefanie von Berg gesagt, sie hoffe, dass Kinder sich dort frei bewegen
       können. Denn jüngste Studien hätten gezeigt, dass Kinder heute keinen
       Purzelbaum mehr schlagen und nicht mehr rückwärts laufen könnten und ihnen
       basale Fertigkeiten fehlten.
       
       Der RT-Artikel nimmt das auf – und endet mit der Bemerkung, ob ein
       regelmäßiger Treffpunkt für trans* und nicht-binäre Kinder auf „genannte
       Defizite positiv und pädagogisch unbedenklich einwirkt, obliegt dabei rein
       subjektiven Mutmaßungen“. In den Leserkommentaren darunter ist von
       „Irrsinn“ und beängstigender Experimentierfreudigkeit der Gesellschaft die
       Rede. Einer schreibt: „Schande über diesen Staat“.
       
       Nach dem Bekanntwerden der Schmierereien trat nun die Lokalpolitik auf den
       Plan. Auf Antrag der Grünen äußerte der Hauptausschuss der
       Bezirksversammlung Altona große Besorgnis über die rechtsextremen Angriffe
       auf den Bauspielplatz. Und [7][Bezirkschefin von Berg erklärte]:
       „Nazi-Symbole zu nutzen, um Kinder und Jugendliche einzuschüchtern, ist
       schlicht erbärmlich.“
       
       Denkbar wäre, dass die Schriftzeichen am Bauspielplatz von jungen Menschen
       aus dem Viertel stammen, die sich an dem Angebot stoßen. Danach gefragt,
       sagt Zeiger: „Jugendliche aus dem Stadtteil waren es definitiv nicht.“ Der
       Platz hat werktags am Nachmittag für drei bis dreieinhalb Stunden für alle
       geöffnet. Zusätzlich gibt es vier monatlich tagende Gruppen, wozu auch eine
       Afro-Kids-Gruppe für Schwarze, eine Inklusionsgruppe und eine
       BIPOC-Familiengruppe gehört, das Kürzel steht für „Black, Indigenous, and
       other People of Color“.
       
       Die Einrichtung habe sich lange mit der Diversitätsorientierung
       auseinandergesetzt, sagt Kat Zeiger. „Es gibt viele Personen, die brauchen
       einen Ort für sich, der sie empowert.“ Ziel sei dabei immer, dass die
       Kinder dann vom spezifischen Gruppenangebot in den Alltag hinüberwechseln
       und auch unter der Woche zum Bauspielplatz kommen. Das ist ein
       vergleichsweise neuer Ansatz. Erst seit Juni 2021 ist – [8][angeregt durch
       den Bundesrat] – im Jugendhilfegesetz verankert, dass es solche
       spezifischen Angebote geben soll.
       
       ## Ignorieren oder nicht?
       
       Bei der Lektüre des RT-Artikels, der am Anfang der Reaktionskette steht,
       fällt auf, dass er über weite Strecken nur öffentlich verfügbare
       Informationen aneinanderreiht. „Ich kann in dem Artikel nichts finden, was
       eindeutig unter Hetze fällt“, sagt der Geschlechterforscher und
       [9][Transmann Till Amelung]. „Ich finde es eher kritikwürdig, dass mehrere
       Sachverhalte vermengt werden und nicht so richtig klar wird, was vermittelt
       werden soll.“ Die Stellungnahme der GWA St. Pauli hält er für überzogen.
       „Ich hätte von diesem Mittel der Reaktion abgeraten. Ignorieren wäre besser
       gewesen.“
       
       Es sei ihnen wichtig gewesen, den medialen Angriff sichtbar zu machen,
       „weil das auch andere Angebote treffen kann“, sagt indes Kat Zeiger. Die
       Solidarität sei „sehr motivierend und ein tolles Signal“.
       
       Auch wenn der Artikel formal wenig angreifbar ist, entspricht er nicht
       allen journalistischen Standards: Das lokale Angebot des Bauspielplatzes
       wird mit dem Text überregional publik gemacht, ohne dass mit den Akteuren
       geredet worden wäre. Die taz fragte per Mail [10][bei RT.DE] nach, was sie
       dazu sagen. Eine Antwort kam bis Redaktionsschluss nicht.
       
       1 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kuerzungen-in-der-Jugendarbeit/!5092068
   DIR [2] https://www.kinder-undjugendarbeit.de/fileadmin/Allgemeines/Stellungnahme_Bauspielplatz_Hexenberg_B_you_3_06.pdf
   DIR [3] /Der-Hausbesuch/!5674465
   DIR [4] https://www.kinder-undjugendarbeit.de/index.php?id=109
   DIR [5] https://www.hamburg.de/altona/pressemitteilung/17240960/bauspielplatz-hexenberg-fertiggestellt/
   DIR [6] https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Bauspielplatz-Hexenberg-in-Altona-umgezogen,altona850.html
   DIR [7] https://www.hamburg.de/altona/pressemitteilung/18744378/rechte-attacke-auf-bauspielplatz/
   DIR [8] https://dserver.bundestag.de/btd/19/274/1927481.pdf
   DIR [9] /Forscher-ueber-Hamburger-Demo-Streit/!5870673
   DIR [10] https://de.wikipedia.org/wiki/RT_DE
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
       ## TAGS
       
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