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       # taz.de -- Existenzkrise der Linkspartei: Bittere Bestandsaufnahme
       
       > Die Linkspartei müsse „ihre Weltsicht modernisieren“, fordert das
       > Netzwerk Progressive Linke. Und es hofft, dass es dafür nicht schon zu
       > spät ist.
       
   IMG Bild: Wer will aus dieser Tasse noch trinken?
       
       Berlin taz | Langsam scheint sich die Schockstarre in der Linkspartei nach
       [1][der Europawahlkatastrophe] zu lösen. Nachdem die noch amtierende
       Parteiführung bisher außer ein paar nichtssagender Floskeln öffentlich
       keinerlei Erklärung der „schwierigen politischen Situation“ (Parteichef
       Martin Schirdewan) anzubieten hat, meldet sich jetzt das Netzwerk
       Progressive Linke mit einer bitteren Bestandsaufnahme zu Wort.
       
       Erforderlich sei der „Bruch mit der langjährigen Praxis, Unklarheit und
       Widersprüchlichkeit auszusitzen und sich zugleich aus drängenden
       gesellschaftlichen Debatten herauszuhalten“, heißt es in einem Brief an den
       Parteivorstand, den mehr als 130 Mitglieder unterschrieben haben. Verfasst
       haben das Schreiben, das der taz vorliegt, die beiden früheren Berliner
       Senator:innen [2][Klaus Lederer] und Elke Breitenbach, der
       Ex-Bundestagsabgeordnete Thomas Nord und der Bremer Linken-Vorsitzende
       [3][Christoph Spehr].
       
       Die Linkspartei sei „durch den [4][Kurs des ‚Hufeisens‘ in der
       untergegangenen Bundestagsfraktion] und der politischen Beliebigkeit in der
       Partei an die Grenze ihrer Überlebensfähigkeit gekommen“, schreiben sie.
       Die Abspaltung des BSW, welche als „Kurs der opportunistischen Anpassung an
       den Rechtsruck“ bezeichnet wird, habe „nur in Ansätzen zur Klärung
       geführt“.
       
       Zwar sei der Ton nach dem [5][Abgang von Sahra Wagenknecht] und ihrem
       Anhang weniger verletzend geworden. Aber die Linkspartei habe weiterhin zu
       zentralen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen keine klaren,
       überzeugenden, umsetzbaren und gemeinsam vertretenen Positionen anzubieten.
       
       ## Fehlende Klärungsprozesse
       
       Notwendige Klärungsprozesse, zum Beispiel was den Umgang mit dem
       Ukraine-Krieg oder der drohenden Klimakatastrophe betrifft, seien bewusst
       ausgeblieben, um die Partei durch eine „gewollte Mehrdeutigkeit“
       zusammenzuhalten. Die Beschränkung im Europawahlkampf auf die Warnung vor
       dem Rechtsruck und das noch vorhandene soziale Image als kleinsten
       gemeinsamen Nenner sei jedoch dramatisch gescheitert.
       
       Mit seiner Kritik an einer aus opportunistischen Gründen vorgenommenen
       thematischen Verengung im Wahlkampf knüpft das Netzwerk Progressive Linke
       auf den ersten Blick an die [6][Abrechnung der früheren Parteivorsitzenden
       Gesine Lötzsch] an, die in der vergangenen Woche mitgeteilt hatte, nicht
       erneut für den Bundestag kandidieren zu wollen.
       
       [7][In ihrer Erklärung] wirft Lötzsch der Parteiführung vor, er habe im
       Wahlkampf nicht über Frieden reden wollen, „weil unsere Partei in dieser
       Frage gespalten wäre“. Aber einfach nicht über Krieg und Frieden zu reden,
       sei keine gute Strategie: „Wer existenzielle Fragen nicht diskutieren will,
       der wird abgewählt.“ Die Linkspartei müsse „wieder als Friedenspartei
       erkennbar werden“, so Lötzsch.
       
       In die gleiche Richtung gehen die ehemalige PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer,
       der frühere Thüringer Linken-Partei- und Fraktionsvorsitzende Dieter
       Hausold sowie Michael Brie und Judith Dellheim von der
       Rosa-Luxemburg-Stiftung [8][in einem gemeinsamen Positionspapier]. Auch sie
       mahnen, die Linkspartei müsse wieder „Friedenspartei“ werden.
       
       So beklagt das Quartett, dass gegen die vermeintliche
       [9][Friedensdemonstration von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer am 25.
       Februar 2023] vor dem Brandenburger Tor „gehetzt“ worden sei. Und sie
       kritisieren, relevante Strömungen der Partei würden unkritisch „die
       ideologische Inszenierung einer Blockkonfrontation des ‚demokratischen
       Westens‘ gegen ‚autoritäre Regime‘ mitgetragen“. Die Linke bräuchte eine
       „Erneuerung als demokratische sozialistische Partei“.
       
       ## Letzte Hoffnung: der Bundesparteitag im Oktober
       
       Mit solchen Postulaten aber können Lederer, Breitenbach, Nord und Spehr
       nichts anfangen. Auch haben sie nicht nur konträre Ansichten darüber, was
       eigentlich unter einer „Friedenspartei“ in der heutigen Zeit zu verstehen
       ist. Die Linke müsse „ihre Weltsicht modernisieren“, fordern sie.
       
       In Richtung der noch verbliebenen fossilen Traditionsbataillone besonders
       im Osten formulieren die vier Linksparteipolitiker:innen:„Vorstellungen
       einer Friedenssicherung durch akzeptierende Politik gegenüber dem
       russischen Imperialismus, eines wirtschaftlichen Erfolges durch die
       traditionelle verbrennerorientierte deutsche Autoindustrie oder der
       Förderung sozialen Respektes durch eine rückwärtsgewandte, romantisierende,
       nicht-plurale Leitkultur sind kein adäquater Kompass für die Welt von
       heute.“
       
       Es spräche viel dafür, dass die wahlentscheidenden Themen der
       Bundestagswahl dieselben sein werden wie bei der Europawahl:
       Friedenssicherung in Europa, soziale Sicherheit, Zuwanderung, Klimaschutz,
       Wirtschaftswachstum. Damit gebe es fünf Bereiche, „in denen wir es schaffen
       müssen, zu antworten – ohne Floskeln, ohne Selbstbeweihräucherung, ohne
       Widersprüche, ohne Geraune und ohne Wegducken“. Die Zukunft der Linkspartei
       entscheide sich nicht an der Fünfprozenthürde 2025, so wichtig deren
       Überwindung auch sei, sondern „an der Ernsthaftigkeit, mit der sie sich
       dafür entscheidet, eine moderne Linkspartei werden zu wollen“.
       
       Was alle Papiere trotz ihrer unterschiedlichen Ausrichtung gemeinsam haben:
       Sie setzen eine letzte Hoffnung auf den für Oktober geplanten
       Bundesparteitag. Dort dürfte kaum ein Stein auf dem anderen bleiben. Wobei
       unklar ist, was dann kommt. Ohnehin muss die Linkspartei zuvor erst einmal
       die [10][Landtagswahlen in Sachsen], Thüringen und Brandenburg einigermaßen
       überstehen.
       
       „Wir erwarten vom kommenden Parteitag, dass er erkennbar und belastbar den
       Weg zu einer modernen, fortschrittlichen Linkspartei markiert“, schreibt
       das Netzwerk Progressive Linke. Ob es dafür allerdings nicht bereits zu
       spät ist, um die Partei noch retten zu können, ist höchst fraglich.
       
       28 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Abschneiden-von-BSW-und-Linkspartei/!6015450
   DIR [2] /Klaus-Lederer-uebers-Aelterwerden/!6002696
   DIR [3] /Bremer-Linkensprecher-ueber-Wagenknecht/!5897122
   DIR [4] /Rueckzug-des-Linken-Fraktionschefs/!5950261
   DIR [5] /Sahra-Wagenknechts-neue-Partei/!5963952
   DIR [6] /Loetzsch-kandidiert-nicht-mehr/!6018532
   DIR [7] https://www.gesine-loetzsch.de/willkommen/aktuelles-1/
   DIR [8] https://www.links-bewegt.de/de/article/878.gelingt-die-erneuerung-als-demokratische-sozialistische-partei.html
   DIR [9] /Kundgebung-Aufstand-fuer-Frieden/!5918192
   DIR [10] /Sachsens-Linkenchef-zur-Krise-der-Linken/!6018557
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pascal Beucker
       
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