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       # taz.de -- Stromversorgung in der Ukraine: Zwischen AKWs und Blackout
       
       > Die Stromversorgung in der Ukraine wird fragiler. Im Winter sind große
       > Ausfälle zu erwarten. Umweltschützer fordern einen Strategiewechsel.
       
   IMG Bild: Notbeleuchtung in Kyjiw während eines teilweisen Stromausfalls im Mai 2024
       
       Kyjiw taz | Eines gilt als sicher in der Ukraine: Der nächste Winter wird
       schlimmer werden als der vergangene. Hatten im vergangenen Winter die
       Heizungen landesweit weitgehend funktioniert, könnte es diesen Winter zu
       großflächigen Ausfällen bei der zentralen Versorgung der Wohnungen mit
       Heizwasser kommen. Umweltschützer und Energieexperten fordern daher ein
       Umdenken der staatlichen Energiepolitik: weg von Großprojekten wie Atom-
       und Kohlekraftwerken, hin zu dezentralen Einheiten erneuerbarer
       Energiequellen.
       
       Stechender Rauch hing einen ganzen Tag über der ostukrainischen Stadt Kriwi
       Rih. Über der Koksfabrik des Unternehmens Arcelor hatte sich eine dicke
       Rauchwolke gebildet, Anwohner klagten über einen stechenden Geruch,
       Halsbeschwerden und Kopfschmerzen. Ursache des Unfalls war eine wegen
       akutem Strommangel erforderliche Schnellabschaltung der
       Produktionsmaschinen des Werkes.
       
       Mit derartigen Unfällen wird in der Ukraine in den nächsten Monaten noch
       öfter zu rechnen sein. In der Folge der Zerstörung von Einrichtungen der
       ukrainischen Energieversorgung durch Russland sitzen schon jetzt die
       meisten Bewohner des Landes jeden Tag für mehrere Stunden ohne Strom in
       ihren Wohnungen. Doch das Schlimmste kommt noch. Vor dem Krieg standen der
       Ukraine 53 Gigawatt Strom zur Verfügung, aktuell sind es nur noch 9,
       Tendenz fallend. Dies berichtet der ukrainische Energieexperte Maxim Bevz
       im Gespräch mit der taz. Er fürchtet eine humanitäre Katastrophe im
       bevorstehenden Winter in der Ukraine.
       
       Mehrstündige Stromausfälle könne man noch ertragen, so der Experte, der als
       Projektmanager ein Jahrzehnt in der ukrainischen Gas- und Ölindustrie
       beschäftigt war, anschließend in Zusammenarbeit mit der Europäischen Bank
       für Wiederaufbau und Entwicklung Projekte betreute und sich in der Ukraine
       für den Ausbau der erneuerbaren Energien, eine dezentrale Energieversorgung
       und Energieeffizienz einsetzt.
       
       Wenn es an Strom fehle, würden auch die Pumpen nicht bedient, die die
       Wohnungen zentral beheizen, so Bevz. Und auch die mit Strom bedienten
       Pumpen, die die Wohnungen mit Wasser versorgen, würden in großem Stil
       ausfallen. Und das bedeute, dass der Wasserhahn bei den Bewohnern höherer
       Stockwerke auf eine Umdrehung nicht reagiere, die Bewohner der oberen
       Stockwerke sich also das Wasser in den unteren Stockwerken werden holen
       müssen.
       
       ## Neue AKWs
       
       Zwar habe die Ukraine auch eigenes Gas. 2.500 Gasbohrstellen pumpen
       landeseigenes Gas in die Höhe. Doch es seien komplizierte und
       energieintensive Prozesse, die sicherstellten, dass die Gasnetze nur unter
       einem entsprechenden Druck funktionierten. Und zur Aufrechterhaltung dieses
       Drucks brauche man auch Strom. „Ohne Gas sind wir schnell in einer
       humanitären Katastrophe“, so Bevz.
       
       Er kann nicht verstehen, warum die Ukraine jetzt auf [1][neue
       Atomkraftwerke] setzt. Diese verschlängen viel Geld und seien erst in
       einigen Jahren am Netz. „Doch wir müssen jetzt durch den Winter kommen. Ab
       dem 15. Oktober beginnt die Heizperiode. Wir haben nur noch gut drei Monate
       Zeit, um uns darauf vorzubereiten.“ so Bevz. Die Ukraine brauche mehr
       erneuerbare Energie. Diese sei auch nicht so anfällig auf russische
       Luftangriffe.
       
       „Russland hat gar nicht so viele Raketen und Drohnen, wie wir Solarzellen
       haben“ argumentiert er. Auch Greenpeace kritisiert die nicht ausreichende
       Bereitschaft der ukrainischen Regierung, der erneuerbaren Energie in der
       Ukraine zum Durchbruch zu verhelfen. Die Ukraine könnte in den kommenden
       drei Jahren fünfmal mehr Solarenergie installieren, als die Regierung im
       sogenannten „Ukraine-Plan“ bislang vorsieht.
       
       Zu diesem Ergebnis kommt eine von Greenpeace beauftragte Studie
       „Solarenergie-[2][Marshallplan für die Ukraine]“ des
       Wirtschaftsberatungsunternehmens „Berlin Economics“. Dieser weitaus
       stärkere Ausbau würde helfen, die Energiekrise des Landes zu bewältigen,
       und er wäre ökonomisch vorteilhaft.
       
       ## Mehr Solarenergie
       
       Die Wissenschaftler:innen von Berlin Economics kommen zu dem Schluss,
       dass ein Ausbau der Solarenergie in der Ukraine bis 2027 insgesamt 3,6
       Gigawatt neu installierte Leistung liefert, also fünfmal mehr, als der
       „Ukraine-Plan“ mit erwarteten 0,7 Gigawatt vorsieht. Bis 2030 könnte die
       installierte Leistung bei der Solarenergie sogar auf insgesamt 14 Gigawatt
       gegenüber heute (5,6 Gigawatt) anwachsen, so Greenpeace unter Berufung auf
       die Studie.
       
       Und in einem weiteren von Greenpeace in Auftrag gegebenen Gutachten kommt
       das Institute for Sustainable Futures an der Technischen Universität in
       Sydney zu dem Schluss, dass das Land nur ein Hundertstel seiner
       Landesfläche nutzen müsste für erneuerbare Energien, um den gesamten
       Strombedarf mit Solar- und Windenergie zu decken. Ja, es ließe sich sogar
       ein Überschuss erzielen und 20.000 neue Arbeitsplätze schaffen.
       
       Zum Vergleich: der geplante Bau von vier AKW wird, so der Atomkonzern
       Energoatom auf seinem Telegram-Kanal, nur [3][9.000 neue Arbeitsplätze
       bringen]. 60-mal höher, als die ukrainische Regierung schätzt, so Andree
       Böhling von Greenpeace, sei das Potenzial für Solarenergie in der Ukraine.
       
       Noch überzeugender wirken konkrete Hilfen beim Ausbau der erneuerbaren
       Energien. Über ihre Tochter „DEG Impulse“ ko-finanziert die DEG – Deutsche
       Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH jetzt ein Vorhaben des
       deutschen Mittelständlers A. Reiter GmbH, der an seinem ukrainischen
       Standort eine Photovoltaikanlage installiert.
       
       Die Anlage soll im Jahr 600.000 kWh grünen Strom erzeugen und so den
       Produktionsbetrieb am Standort sicherstellen. Zudem soll ein Drittel der
       erzeugten Solarenergie in das ukrainische Stromnetz eingespeist werden. Die
       Firma investiert dazu selbst rund 494.000 EUR, die DEG steuert aus Mitteln
       des develoPPP-Programms des Bundesministeriums für wirtschaftliche
       Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ebenso viel bei.
       
       15 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Mit-Unterstuetzung-von-US-Firmen/!6003173
   DIR [2] https://act.gp/4aRchOE
   DIR [3] https://t.me/energoatom_ua/18359
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Clasen
       
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