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       # taz.de -- Neues Einbürgerungsgesetz: Doppelpass für alle!
       
       > Am 27. Juni ist das neue Staatsangehörigkeitsrecht in Kraft getreten. Aus
       > der türkischen Gemeinde rechnet man mit 50.000 Anträgen pro Jahr.
       
   IMG Bild: Die Einbürgerungsurkunde verkörpert in der türkischen Gemeinde den Inbegriff des „German Dreams“
       
       Lange wurde diskutiert, lange wurde darauf gewartet: Die Rede ist von der
       [1][doppelten Staatsbürgerschaft]. Das von der Ampel-Koalition formulierte
       Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts, das am 27. Juni
       in Kraft getreten ist, ermöglicht nun die doppelte Staatsbürgerschaft für
       alle. Vor allem in der deutsch-türkischen Gemeinde wird die Reform als
       großer Fortschritt für die Integration angesehen.
       
       Für die deutsch-türkische Community hat die Doppelbürgerschaft eine
       besondere Bedeutung. Viele Menschen türkischer Herkunft leben seit
       Generationen in Deutschland, dennoch bleibt oft die unterschwellige Angst,
       dass politische Veränderungen oder verschärfte Migrationsgesetze ihre
       Existenz hier gefährden könnten. Die Möglichkeit, sowohl die deutsche als
       auch die türkische Staatsbürgerschaft zu besitzen, bedeutet für die
       Betroffenen eine große Sicherheit.
       
       Doch was genau hat sich verändert? Mit dem [2][Gesetz zur Modernisierung
       des Staatsangehörigkeitsrechts] wurde zum einen der Mindestaufenthalt für
       die Einbürgerung verkürzt – von acht Jahren auf nun fünf. Und wer besondere
       Integrationsleistungen erbringt, kann sich nach drei Jahren Aufenthalt
       einbürgern lassen. Auch die Sprachanforderungen wurden angepasst: Zuvor
       musste man ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache aufweisen
       (B1-Niveau), nun gibt es in bestimmten Fällen sogenannte Lockerungen. Zum
       Beispiel für ehemalige Gastarbeiter, bei denen die mündliche Verständigung
       im Alltag ausreichend ist.
       
       Auch die Verlustgründe für die deutsche Staatsangehörigkeit wurden neu
       definiert, denn dieser Punkt war zuvor nicht detailliert geregelt. Nun kann
       einem die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden, wenn es zum
       Beispiel zu einer Kampfbeteiligung in terroristischen Vereinigungen im
       Ausland kommt. Dies scheint erstmal alles machbar zu sein, vor allem für
       diejenigen, die sowieso in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Das
       ist vor allem bei den in den 1990ern geborenen Deutsch-Türken der Fall.
       Einige haben den türkischen Pass abgegeben, andere haben ihn behalten.
       
       ## Die neuen Voraussetzungen: einfacher, aber strenger
       
       Die Voraussetzungen für die Einbürgerung sind jetzt einfacher, aber auch
       strenger. Denn der Fragenkatalog des Einbürgerungstests wurde erweitert.
       Antragsteller müssen Fragen zum Existenzrecht Israels beantworten. Das soll
       verhindern, dass Antisemiten die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.
       Damit wird Deutschland das erste Land, das von Einbürgerungsbewerbern
       verlangt, die Existenz eines anderen Staates anzuerkennen.
       Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagt: „Wer unsere Werte nicht
       teilt, kann keinen deutschen Pass bekommen. Hier haben wir eine glasklare
       rote Linie gezogen und das Gesetz viel strenger gefasst als bisher.“
       
       Trotzdem rechnet Gökay Sofuoğlu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in
       Deutschland, mit einem starken Anstieg der Einbürgerungsanträge. Viele
       würden jetzt so schnell wie möglich einen Antrag stellen: „Die Leute haben
       inzwischen verinnerlicht, dass es eine doppelte Staatsbürgerschaft geben
       wird.“ Sofuoğlu rechnet mit 50.000 Anträgen pro Jahr, dies sei realistisch.
       Weniger realistisch jedoch wird eine schnelle Bearbeitungsdauer sein. Schon
       jetzt gibt es in vielen Städten, vor allem in Berlin, [3][einen
       „Antragsstau“. Anträge aus dem letzten Jahr müssten erstmal noch bearbeitet
       werden]. Insgesamt sind über 200.000 bei den Behörden in Bearbeitung, in
       Berlin über 40.000. Wie schnell der Doppelpass Realität wird, bleibt
       abzuwarten.
       
       Für die Antragsteller jedoch gibt es eine wichtige Deadline: die
       Bundestagswahl im kommenden Jahr. Bis dahin möchten diese die grüne
       Einbürgerungsurkunde, den roten Pass mit dem goldenen Adler und somit das
       Wahlrecht besitzen. Sofuoğlu appelliert an die Parteien und sagt: „Die
       Antragsteller sind potenzielle Wählerinnen und Wähler. Wenn man diese
       gewinnen will, muss man eine entsprechende Politik machen. Dazu gehört, in
       den Parteien mehr Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen – und Rassismus
       ernsthaft zu bekämpfen.“
       
       Trotz dieser positiven Entwicklungen bleibt die Realität vieler Menschen in
       der türkischen Community komplex. So groß die Freude über die
       Modernisierung ist, so groß ist auch die Angst vor Abschiebung nicht
       gänzlich verschwunden, besonders in Zeiten politischer Instabilität und dem
       Aufstieg rechtspopulistischer Kräfte.
       
       „Ich habe den deutschen Pass, den türkischen habe ich abgegeben. Ich bin ja
       auch schließlich hier geboren“, sagt Ozan, ein Spätibesitzer aus Neukölln,
       der seinen Nachnamen nicht nennen möchte. Und er ergänzt: „Auch, wenn mir
       der türkische Pass nichts bringt, würde ich ihn jetzt beantragen. Aber ich
       habe Angst, dass mir dann der deutsche weggenommen wird. Nehmen wir an, die
       AfD kommt nächstes Jahr an die Macht. Dann könnten die mir meinen deutschen
       Pass entziehen und mich dann in die Türkei abschieben. Oder nicht?“
       
       29 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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