URI: 
       # taz.de -- Biologe über Wildpferde und Wisente: „Pferde senken die Brandgefahr“
       
       > Große Pflanzenfresser gestalten Landschaften, sagt der Biologe Johannes
       > Kamp. Er wünscht sich mehr Gelassenheit im Umgang mit wilden Tieren.
       
   IMG Bild: Ein Przewalski-Pferd saust nach langem Transport aus dem Container in die kasachische Steppe
       
       taz: Herr Kamp, vor Kurzem sind Wildpferde aus dem Berliner Zoo in der
       Steppe Kasachstans ausgewildert worden. Mit einer tschechischen
       Militärmaschine hat man die Tiere dorthin geflogen. Ist das sinnvoll? 
       
       Johannes Kamp: Przewalskipferde haben Tausende von Jahren in den Steppen
       Osteuropas und Zentralasiens gelebt. Bis ins 19. Jahrhundert hinein haben
       sie sie bevölkert, zusammen mit Saigaantilopen und Kulanen, also Wildeseln.
       Im Vergleich etwa zu den Savannen Afrikas sind das deutlich weniger Arten,
       aber immerhin. Die großen Pflanzenfresser fressen Gras, entnehmen also
       Biomasse – und senken damit die Gefahr von Bränden. In den weiten Steppen
       Zentralasiens gibt es heute Brände auf riesigen Gebieten, 30.000 bis 40.000
       Hektar. In Deutschland nehmen wir es schon zur Kenntnis, wenn irgendwo 5
       Hektar Wald brennen. Wo wilde Tiere wegfallen, kann sich Biomasse anhäufen,
       also Brennstoff.
       
       Die Wildpferde sind also quasi eine präventive Feuerwehr? 
       
       Ja, sie sind aber auch Ökosystem-Ingenieure. Pferde und Esel wühlen im
       Winter den Schnee auf und öffnen so Futterstellen auch für andere Tiere. Im
       Sommer graben sie Wasserlöcher. Das hilft Vögeln und anderen kleinen
       Tieren. Überall, wo große Pflanzenfresser auftreten, entstehen sehr
       heterogene Muster: Flächen mit hohem Bewuchs wechseln sich ab mit
       niedrigen, abgegrasten Stellen mit zahlreichen Dunghaufen. Dieses Mosaik
       erzeugt vielfältige Lebensräume.
       
       Warum sind die großen Pflanzenfresser in Europa und Zentralasien
       verschwunden? 
       
       Lange hat man Klimaschwankungen dafür verantwortlich gemacht. [1][Heute
       gehen wir davon aus, dass es die Ausbreitung des Menschen und seiner
       Jagdmethoden war.] Von den vor etwa 50.000 Jahren weltweit noch vorhandenen
       57 Arten von Megaherbivoren – das sind große Pflanzenfresser von über 1.000
       Kilo – sind nur noch 11 übrig.
       
       Breiten sich Pferde, Esel und Antilopen denn wieder aus, wenn sie nicht
       mehr bejagt werden? 
       
       Es ist sehr schwierig, wieder größere Bestände aufzubauen. Wenn in
       Kasachstan sieben Pferde ausgewildert werden, brauchen wir einen sehr
       langen Atem, und es ist nicht zu erwarten, dass bald wieder 10.000 Pferde
       durch die Steppe galoppieren. Grenzzäune und Straßen verhindern, dass die
       Tiere wandern, auch Wilderei gibt es immer noch. Trotzdem sind solche
       Initiativen gut und wertvoll und können lokal eine große, positive Wirkung
       entfalten.
       
       Können kleine Tiere ihre Lebensräume nicht auch gestalten? 
       
       Doch, sie machen das durch ihre große Zahl. Murmeltiere zum Beispiel
       schaffen in der Steppe Flächen mit offenem Boden und somit Lebensräume für
       bestimmte Insekten. Außerdem transportieren sie Nährstoffe von der
       Erdoberfläche nach unten in den Boden. Aber große Tiere können allein durch
       ihr Gewicht, ihre Stärke und Mobilität ganz anders wirken: Ein Elefant kann
       zum Beispiel ganz einfach einen Baum umwerfen und gestaltet so Wald.
       Wandernde Herden verbreiten Samen über große Entfernungen, Saigaantilopen
       wandern über Hunderte von Kilometern. Dung, Aas, alles fällt in großen
       Mengen an. Die Dimensionen sind größer.
       
       Ist es aus diesem Grund wichtig, große Pflanzenfresser dort wieder
       anzusiedeln, wo sie nicht mehr vorkommen? 
       
       Zunächst einmal müssen wir die Arten dort gut schützen, wo sie noch
       vorhanden sind. Das geht vor allem in Gebieten, wo der menschliche Druck
       nicht so groß ist, zum Beispiel in Zentralasien oder im östlichen Europa.
       Interessant ist, ob nicht auch Haustiere – etwa Kühe oder Hauspferde – ihre
       Rolle einnehmen können. Wahrscheinlich hängt das von der Tierart und der
       Dichte der Tiere in der Landschaft ab.
       
       Wie könnte man auch in Deutschland wieder Lebensräume für Pferde oder
       Wisente schaffen? 
       
       In Polen funktioniert es ja ganz gut, da kommen etwa Wisente bis an die
       Dorfränder, und niemanden stört das. Das ist auch eine Einstellungssache.
       In Rumänien geht die Bevölkerung ganz anders mit Braunbären oder Wölfen um
       als wir hierzulande. Wo eine Tierart einmal ganz verschwunden war, hat sie
       es nach ihrer Rückkehr schwer. Ich verstehe die Kritiker, wie die
       Schafhalter, ich wünsche mir aber manchmal mehr Gelassenheit im Umgang mit
       wilden Tieren. Eine Möglichkeit, Wisente, Elche oder Wildpferde wieder
       anzusiedeln, sind ehemalige Truppenübungsplätze. Das sind große
       unzerschnittene Gegenden ohne großen Nutzungsdruck. Parallel muss der
       Naturschutz intensiv mit der Bevölkerung arbeiten. Die Naturschützer
       sollten auch in dicht besiedelten Gebieten mehr mit den Landnutzern, also
       den Landwirten oder Waldbesitzern, sprechen.
       
       Welche Rolle könnten Wisente oder Elche in Deutschland spielen? 
       
       Sie könnten den Wald öffnen, lichter machen. Unsere Wälder sind im Laufe
       der Jahrhunderte immer dichter, höher und dunkler geworden. Ganz anders war
       es bis ins 19. Jahrhundert, da hatten wir große unbewaldete Flächen, weil
       wir zu viele Haustiere hatten, etwa Rinder, die im Wald weideten. Später
       wurden die Nutztiere aus dem Wald verbannt, die sogenannte Hude, also die
       Waldweide, verschwand. Auch heute wollen Forstwirte gutes Holz erzielen,
       sie haben kein Interesse an Hirschen oder Wisenten, die die Rinde
       abschälen. Das ist eine verständliche Position. Aus naturschützerischer
       Sicht jedoch sollten wir mehr Rothirsche zulassen. Rotwild ist in
       Deutschland auf bestimmte Gebiete beschränkt. Dort muss es bleiben, wenn es
       die Gebiete verlässt, wird es geschossen. Es ist fraglich, ob das sinnvoll
       ist. [2][Eine komplett selbsterhaltende Wisentherde, die völlig frei durch
       Deutschland wandert. kann ich mir aber noch nicht so recht vorstellen.]
       
       Allerdings wandern von Osten her Wisente und auch Elche nach Deutschland
       ein. 
       
       Das ist der Idealfall, ein natürlicher Prozess. Wenn es nicht anders geht,
       ist die Wiederansiedlung etwa von Przewalskipferden in Kasachstan per
       Flugzeug aus Deutschland die beste Lösung, aber besonders nachhaltig ist
       das nicht. Das Flugzeug emittiert CO2, für die Pferde bedeutet es Stress,
       die Übersiedlung kann auch schiefgehen. Wenn die Tiere von selbst
       einwandern, ist ihre Rückkehr effektiver, die Tiere lernen ihre Umgebung
       langsam kennen, können Wanderrouten ausbilden. So wie das vor 20 Jahren bei
       den Wölfen geklappt hat. Das ist eine echte Erfolgsgeschichte.
       
       10 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Beziehung-von-Mensch-und-Pferd/!5813495
   DIR [2] /Wisente-in-Nordrhein-Westfalen/!5999292
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heike Holdinghausen
       
       ## TAGS
       
   DIR Biodiversität
   DIR Natur
   DIR Tiere
   DIR GNS
   DIR Naturschutz
   DIR Schwerpunkt Artenschutz
   DIR Esel
   DIR Wisent
   DIR Wisent
   DIR Schwerpunkt Artenschutz
   DIR Evolution
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Jäger:innen beklagen Inzucht im Wald: Verbotene Liebe zwischen Rothirschen
       
       Die Landesjägerschaft Schleswig-Holstein schlägt Alarm, weil die genetische
       Vielfalt beim Rotwild sinkt. Helfen soll die Vernetzung der Lebensräume.
       
   DIR Endgültiges Ende des Artenschutzprojekts: Einst freilebende Wisente müssen im Gatter bleiben
       
       Im Rothaargebirge sollte Deutschlands erste wilde Wisentherde leben. Doch
       längst sind die Tiere eingesperrt. Eine Klage von Artenschützern
       scheiterte.
       
   DIR Mensch und Tier in der Antike: Der Esel war meistens der Dumme
       
       Die Ausstellung „Einfach unentbehrlich“ in Berlin widmet sich dem Esel in
       der Antike. Sie erzählt von Ausbeutung, Gewalt – und ein bisschen Liebe.
       
   DIR Wisente in Aserbaidschan: Wo die wilden Kerle wohnen
       
       Vor hundert Jahren wurde der letzte freilebende Wisent im Kaukasus
       geschossen. Doch dann begann man, Zootiere fit für die Wildnis zu machen.
       
   DIR Eingesperrte Wisente in NRW: So scheitert Naturschutz
       
       Das Modellprojekt frei lebender Wildrinder ist am Ende. Ein Kompromiss
       zwischen den Interessen von Bauern und Tieren wäre möglich gewesen.
       
   DIR Wisente in Nordrhein-Westfalen: Eine Herde hinter Gittern
       
       Letzte Eskalation eines langen Streits: Der Umweltverband BUND will den
       Kreis Siegen-Wittgenstein verklagen. Er hat freie Wisente eingesperrt.
       
   DIR Beziehung von Mensch und Pferd: „Wildpferde waren immer Jagdwild“
       
       Der Autor und Journalist Stefan Schomann über die Darstellung von Pferden,
       ausgestorbene Pferderassen und das Anschreiben gegen das Artensterben.