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       # taz.de -- BSW-Parteitag in Brandenburg: Die letzten Tage der BRD
       
       > Beim Parteitag ihres Landesverbands in Brandenburg steht Sahra
       > Wagenknecht im Mittelpunkt. Der Landtagswahl kann sie sehr beruhigt
       > entgegen sehen.
       
   IMG Bild: Stargast des Parteitags in Potsdam: Sahra Wagenknecht am Rednerpult
       
       POTSDAM taz | Als Robert Crumbach zum Spitzenkandidaten gewählt ist,
       überreicht ihm Sahra Wagenknecht einen Blumenstrauß. Anschließend verlässt
       die Parteichefin am späten Mittag den Parteitag ihres Brandenburger
       Landesverbands, der noch 29 weitere Kandidatinnen und Kandidaten für die
       Landtagswahl wählen wird.
       
       Der 61-jährige, etwas bullig und jovial wirkende Arbeitsrichter Crumbach
       war früher in der SPD und wurde erst vor wenigen Wochen beim
       Gründungstreffen in Schwedt zum Brandenburger Landesvorsitzenden der neuen
       Partei gewählt. Die hat in Brandenburg gerade mal 40 Mitglieder – viele
       SPD-Ortsvereine haben mehr. Nur 31 von ihnen sind an diesem Tag da und
       stimmberechtigt. Und anders als in Thüringen oder Sachsen sind keine ihrer
       Mitglieder und Kandidaten über Brandenburg hinaus bekannt – die meisten
       sind es noch nicht einmal in Brandenburg selbst. Dennoch kann Sahra
       Wagenknecht der Landtagswahl gelassen entgegensehen.
       
       Denn obwohl ihr „Bündnis Sahra Wagenknecht“ in Brandenburg bisher wenig
       Glanz verbreitet, steht es sehr gut da. Bei der Europawahl erzielte es fast
       14 Prozent der Stimmen, in Umfragen liegt es noch darüber. Das verdankt
       sich natürlich der Strahlkraft seiner Galionsfigur, der Namensgeberin und
       Parteichefin, die auch an diesem Tag in Potsdam im Mittelpunkt steht. Als
       sie verspätet in dem Konferenzraum des Hotels in Potsdam eintrifft, in dem
       sich ihr Landesverbands schon seit dem Samstagmorgen trifft, ist sie sofort
       von Kameras umringt.
       
       Ihretwegen sind auch die rund 20 Journalisten gekommen, die damit rund ein
       Drittel der Teilnehmer des Parteitags ausmachen. Wagenknecht gibt ihnen
       Stoff für ihre Berichterstattung: „Wir können da alle ein bisschen stolz
       auf uns sein“, lobt sie zunächst ihre Unterstützer für den Erfolg bei der
       Europawahl. Dann legt sie los, und vergleicht die Stimmung in Deutschland
       mit der Schlussphase der DDR. Die Regierung in Berlin habe sich von der
       Bevölkerung entfremdet. Die Ostdeutschen hätten es schon einmal erlebt, wie
       es sei, wenn sich eine Wendezeit ankündige und wenn die Industrie
       wegbreche, legt sie noch einen drauf, als wären schon die letzten Tage der
       BRD angebrochen. Sie wolle das zwar nicht „völlig gleichsetzen“, schränkt
       Wagenknecht ein. Aber Deutschland sei derzeit „Schlusslicht in einer Welt
       voller Krisen“, und daran sei natürlich die Ampel schuld. „Wir dürfen nicht
       noch einmal unsere Industrie so kaputt machen“, warnt sie unter Applaus.
       
       ## Brandenburg ist nur eine Etappe
       
       Die Wahl in Brandenburg ist für Wagenknecht nur eine Etappe auf dem Weg zu
       ihrem eigentlichen Ziel, mit ihrer neuen Partei wieder in den Bundestag
       einzuziehen, das wird in ihrer Rede deutlich. „Wir wollen die Bundespolitik
       verändern“, betont sie in ihrer Rede mehrfach. Über Landtagswahlen könne
       man diese beeinflussen, sagt sie, denn deren Ergebnisse seien ein Signal
       für die Bundesebene. „Klar werden wir in Brandenburg nicht den Krieg in der
       Ukraine beenden“, räumt sie ein. Aber jede Stimme für das BSW in
       Brandenburg sei „eine Stimme für Frieden und Demokratie, und gegen diese
       wahnsinnige Kriegsrhetorik.“
       
       Das Thema „Frieden“ ist das Thema, das die BSW-Mitglieder tatsächlich am
       meisten verbindet. Den Rechtsanwalt Stefan Grüll, der einst für die FDP in
       Nordrhein-Westfalen im Landtag saß, hat es als Westdeutschen zum BSW
       gebracht. Angst vor dem Krieg treibt auch die Ärztin Jouleen Gruhn um, die
       für das BSW an diesem Tag auf den zweiten Listenplatz gewählt wird. Sie ist
       Referatsleiterin im Potsdamer Gesundheitsministerium und macht sich
       deswegen Sorgen um ihren Sohn. „Was nützen mir günstige Wohnpreise, wenn
       ich an die Front geschickt werde“, fragt auch der 26-jährige Dominik
       Mikhalkevich, der in seinem Heimatort Brandenburg an der Havel auch
       Sprecher des „Bündnis für Frieden“ ist. Das ist so der Grundton.
       
       Bei der Verabschiedung des Programms standen dagegen regionale Fragen im
       Vordergrund. Parteichef Crumbach zählte am Anfang des Tages die Themen auf,
       die vielen unter den Nägeln brennen. Karl Lauterbachs Krankenhausreform
       werde zu einem Kahlschlag führen, fürchtet er. Acht bis zehn Krankenhäuser
       in Brandenburg könnten deswegen schließen. Er fordert nicht nur, alle diese
       Kliniken zu erhalten, sondern auch mehr bezahlbare Wohnungen, bessere
       Pflegeleistungen, mehr Lehrer, kostenloses Schulessen, beitragsfreie Kitas,
       mehr Investitionen in Straßen und Schiene und mehr Geld für die Kommunen.
       Woher es kommen soll, lässt er offen. Dafür stellt er das für 2038
       vereinbarte Ende des Kohlebergbaus in der Lausitz infrage. Den werde es mit
       dem BSW nur geben, wenn der Strukturwandel dort gelinge. Vorziehen dürfe
       man das Datum auf keinen Fall, auch wenn die Ampel in Berlin das gerne
       wolle.
       
       ## Handyverbot an Grundschulen, kein Tempo 120
       
       Das Programm für die Landtagswahlen wird recht schnell noch vor der
       Mittagspause abgesegnet. Zwei Änderungsanträge werden angenommen, zwei
       abgelehnt, das geht Ruck-Zuck. Zuvor hatte Hans-Jürgen Scharfenberg, als
       ehemaliger Linken-Abgeordneter im Landtag einer der wenigen Polit-Profis im
       Raum, ausdrücklich vor zu langen Programmdebatten gewarnt: „Die Zeit haben
       wir nicht“
       
       Im Programm für die Landtagswahlen wird unter anderem ein Tempolimit 120
       auf Autobahnen abgelehnt und ein Handyverbot in Grundschulen gefordert. In
       diese Kerbe schlägt auch Wagenknecht in ihrer Rede: Die Kinder bräuchten
       statt Smartphones und Tablets mehr Lehrerinnen und Lehrer, und statt
       Gendern sollten sie erst einmal richtig Rechnen und Schreiben lernen.
       
       Die Wahl der Kandidaten zieht sich bis in den frühen Abend hin, sie wurden
       alle mit großer Mehrheit gewählt. Die Atmosphäre ist ein bisschen wie auf
       einem erweiterten Elternabend an einer ostdeutschen Schule, freundlich und
       verbindlich. Nicht alle der BSW-Kandidaten sind auch Mitglieder des BSW,
       dafür gibt es noch zu wenige. Drei Kandidaten werden sogar in Abwesenheit
       gewählt: Der eine „ein international agierender Anwalt, der auf einem
       Flughafen festhängt“, wie Geschäftsführer Stefan Roth erklärt, der ihn
       vorstellt. Ein anderer arbeitet bei der Feuerwehr und kann deshalb nicht da
       sein, weil an seinem Wohnort eine Fliegerbombe gefunden wurde.
       
       ## Die „Linke“ spielt keine Rolle mehr
       
       Neben einer bunten Mischung aus Anwälten, Lehrern, Unternehmern und
       Rentnerinnen sind unter den Kandidaten sehr viele Ex-Kommunalpolitiker der
       Linkspartei. Doch von dieser Partei ist kaum die Rede, sie wird nur am
       Rande erwähnt. Für Heiterkeit sorgt, dass Brandenburgs Linken-Parteichef
       Sebastian Walter Wagenknecht kürzlich zu einem „Rededuell“ herausgefordert
       hat. Die Linke stürzte bei der Europawahl in Brandenburg unter fünf
       Prozent: kein gutes Omen für die Landtagswahl.
       
       Sahra Wagenknecht kann ihr dagegen gelassen entgegensehen, beim Parteitag
       des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ denken manche Kandidaten sogar schon
       darüber nach, welches Ministerium es nach den Wahl übernehmen könne: so
       optimistisch ist hier die Stimmung. Jetzt müssen nur noch 2.000 Stimmen
       gesammelt werden, damit die Partei zur Landtagswahl auch antreten darf.
       
       Korrektur am 30. Juni um 15.30 Uhr: Die Linke erzielte bei der Europawahl
       4,4 Prozent. Sie lag damit unter der Fünf Prozent-Hürde – aber nicht unter
       vier Prozent, wie in einer früheren Fassung stand.
       
       29 Jun 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
       
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