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       # taz.de -- Serien-Krimi „Briganti“ auf Netflix: Zwischen Räubern und Cowboys
       
       > Ein Mantel-und-Degen-Sechsteiler aus Italien funktioniert wie ein
       > Videospiel. Und macht durchaus Spaß. Politische Implikationen gibt es
       > aber auch.
       
   IMG Bild: Szenenfoto mit Orlando Cinque (als Pietro Montana) und Ivana Lotito (als Ciccila)
       
       You ain’t nothin’ but a [1][lost cause]“, singt Billy Eilish und [2][„I
       know you think you’re] such an outlaw. But you got no job.“ Das ist in nuce
       die Zusammenfassung der neuen sechsteiligen [3][italienischen Serie
       „Briganti – Das Gold des Südens“ auf Netflix]. Die Sache lebt von einer
       ausgedörrten Spaghettiwestern-Optik. Und insofern eignet sich das Ganze
       hervorragend, um dem trüben Blick aus einem norddeutschen Ferienappartement
       hinaus in den Dauerregen ein wenig Sonne drinnen auf dem Bildschirm
       entgegenzusetzen.
       
       Historischer Hintergrund von „Briganti“ (Briganten) sind die Nachwehen des
       Einigungskriegs 1860 ff., der zum italienischen Nationalstaat führte. Der
       Norden, insbesondere das federführende Königreich Piemont, wurde von den
       Freischärlern rund um den italienischen Nationalhelden Garibaldi zum Jagen
       getragen, die Einheit der Nation durchzusetzen. Die Garibaldi-Truppen (nach
       ihrer improvisierten Uniform „Rothemden“ genannt) eroberten relativ mühelos
       das von einem Zweig der Bourbonen regierte Königreich Neapel, also
       Süditalien mit [4][Sizilien].
       
       Art und Weise der folgenden Vereinigung (Steuern, Wehrpflicht, gemäßigter
       Antiklerikalismus) brachten dann allerdings Ressentiments im Süden hervor,
       das Arrangement verlief zwischen Eliten der ehemaligen Staaten, die große
       Masse der Bauern blieb arm und besitzlos. Eine zeitgenössische Quelle sagt:
       „Der Bauer ist kein Mensch, sondern ein Anhang des Tierreichs. Er arbeitet,
       um zu essen, isst, um Kraft zum Arbeiten zu haben, dann schläft er – das
       ist sein Leben.“
       
       Aus dieser Lage heraus bildete sich die in ihrer sozialen Zusammensetzung
       und in ihren Zielen bis heute diskutierte Bewegung der „Briganten“. Waren
       sie reine Räuberbanden, von katholischen Ajatollahs aufgehetztes
       Bauernproletariat, konservative Rebellen oder doch Sozialrevolutionäre?
       
       ## Sich selbst nicht zu ernst nehmen
       
       Im Plot der Serie geht es jedenfalls um den Staatsschatz Neapels, den die
       Garibaldi-Truppen sich als „Kriegsanleihe“ aneignen und im unzugänglichen
       Hinterland Süditaliens verstecken. Wie praktisch, dass es eine Karte gibt,
       nach der verschiedene Fraktionen gieren und versuchen, sich gegenseitig
       auszustechen, wie ein Videospiel eben.
       
       Dass die Macher des Films das dazu aufwendig aufgezogene
       Mantel-und-Degen-Spektakel selbst nicht ganz ernst nehmen, zeigt sich
       spätestens an der Musik, die mal folkloristisch, mal humoristisch und oft
       schlicht kitschig das Geschehen untermalt.
       
       Kernig ist er eben, der Brigant, die Frauen sind üppig, aber emanzipiert,
       der Chefpolizist aus dem Piemont preußisch-streng, und halt doch mit
       weichem Kern, alles irgendwo zwischen [5][„Räuber Hotzenplotz“] (auf
       italienisch: „Il brigante Ozziplozzi“) und „Spiel mir das Lied von Tod“.
       
       So weit, so in Ordnung, das kann man sich ruhig mal geben. Interessant ist,
       dass die Serie vom italienischen Kultusministerium gefördert wurde und in
       rechten, sogenannten neobourbonischen Kreisen [6][Begeisterung auslöst.]
       Der Neobourbonismus gründet sich auf die Darstellung, die Eroberer aus dem
       Norden hätten nur Unheil über Süditalien gebracht, jeden Widerstand
       genozidal unterdrückt und sich die üppigen Reichtümer des „Mezzogiorno“
       unrechtmäßig angeeignet.
       
       Das ist im Wesentlichen und Harmlosen Sozialkitsch, im Konkreten heute
       reaktionär und [7][mafianah]. Aber das Klischee vom armen, ehrlichen Süden
       oder Osten, von der guten, aber verlorenen Sache, der „lost cause“ eben,
       für die zu kämpfen sich gelohnt hat, ist halt unsterblich, weil nützlich.
       Gut, dass [8][Billie Eilish] in ihrem Supersong damit radikal aufräumt.
       Denn Brigant sein ist nett. Aber nett ist kein Beruf.
       
       16 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.thenation.com/article/archive/lost-causes/
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=S2dRcipMCpw
   DIR [3] https://www.netflix.com/title/81383127
   DIR [4] /Landwirtschaft-in-Sizilien/!6018034
   DIR [5] /Neues-vom-Raeuber-Hotzenplotz/!5508062
   DIR [6] https://napoli.corriere.it/notizie/cronaca/24_aprile_25/briganti-su-netflix-i-neoborbonici-piemontesi-crudeli-invasori-finalmente-un-racconto-diverso-dell-unita-d-italia-ca312d76-b7aa-432e-ae98-c1fd1bae9xlk.shtml
   DIR [7] /Kampf-gegen-Cosa-Nostra/!5993281
   DIR [8] /Neues-Album-von-Billie-Eilish/!6011380
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ambros Waibel
       
       ## TAGS
       
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