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       # taz.de -- Queeres Traditionscafé muss schließen: Rauswurf nach 73 Jahren
       
       > Das Café Berio im Schöneberger Regenbogenkiez steht vor dem Aus. Der
       > Vermieter will den Mietvertrag nicht verlängern. Proteste haben wenig
       > bewirkt.
       
   IMG Bild: Den Kopf in den Sand zu stecken, ist nicht sein Ding: „Berio“-Betreiber Karsten Schork vor dem Café im Regenbogenkiez
       
       Berlin taz | Von außen betrachtet, sieht alles wie immer aus. Das Café
       Berio ist an diesem Sommernachmittag gut besucht, fast alle Plätze im
       Freien sind belegt. Die alten Dielen im Café selbst knarren wie eh und je.
       Hier liegen auch die Protestschreiben aus, auf den Tischen rufen
       DIN-A4-Blätter in Klarsichtfolie dazu auf, sich an einer
       [1][Onlinepetition] zu beteiligen: „Rettet das Berio! Stoppt die
       Verdrängung! Erhaltet den Regenbogenkiez!“ Zu den ersten, die die Petition
       unterstützten, gehörten Filmregisseur Rosa von Praunheim und Politiker wie
       SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Rund 14.000 haben bis Donnerstagmittag
       bereits unterzeichnet.
       
       Das freut Karsten Schork. Der Inhaber des [2][Café Berio] würde hier in der
       Schöneberger Maaßenstraße 7, mitten im Regenbogenkiez zwischen Nollendorf-
       und Winterfeldtplatz, gern weitermachen. Doch das ist Wunschdenken. Denn
       „der Mietvertrag läuft zum 30. September einfach aus“, sagt Schork. Das
       wäre an sich nichts Ungewöhnliches. Gewerbemietverträge sind in der Regel
       befristet. „Seit Jahren habe ich immer wieder das Gespräch mit den
       Eigentümern gesucht. Aber völlig vergeblich. Es gab kein Gespräch und damit
       auch keine Einigung. Mitte September sind wir hier raus.“
       
       Auch auf verschiedene Medienanfragen und Briefe von Politikern reagieren
       die Hauseigentümer nicht. Allein Jan-Marco Luczak, der für die CDU im
       Bundestag sitzt und sich an den Vermieter wandte, bekam eine schriftliche
       Reaktion. Gebracht hat es nichts, sagt Schork im nüchternen Ton. Dennoch
       schwingt Enttäuschung mit. Landespolitiker wie Klaus Lederer, der
       queerpolitische Sprecher der Linksfraktion, hätten von sich aus im Café
       vorbeigeschaut und gefragt, wie man helfen könnte.
       
       Auch Grüne, SPD und Linke in der Bezirksverordnetenversammlung
       Tempelhof-Schöneberg haben sich in einer gemeinsamen Erklärung für das Café
       Berio starkgemacht. Mit einem gemeinsamen Antrag wollen sie bei der
       nächsten BVV-Sitzung nach der Sommerpause noch einmal alles für den Erhalt
       versuchen. Das Bezirksamt soll sich bei der Hauseigentümergemeinschaft des
       Gebäudes dafür einsetzen, den Vertrag zu verlängern.
       
       ## „Den Fortbestand sichern“
       
       Mit dem Antrag appelliere die BVV zudem direkt an die Eigentümer, den
       Mietvertrag mit dem Cafébetreiber zu verlängern und „so den Fortbestand
       dieses für den Regenbogenkiez unverzichtbaren kulinarischen und kulturellem
       Treffpunkts zu sichern“, so Elias Joswich, der queerpolitische Sprecher der
       Grünen-Fraktion.
       
       Karsten Schork ist seit 1985 Inhaber der queeren Institution mit langer
       Tradition. Das Café heißt bereits seit 1970 „Berio“ – übrigens eine
       eingetragene Marke – und besteht mit dem Vorläufercafé namens „Maurer“ seit
       1951. Nach 73 Jahren soll also Schluss sein. „Mit schwerem Herzen und
       tiefer Enttäuschung müssen wir euch mitteilen, dass wir gezwungen sind,
       Mitte September unsere Türen für immer zu schließen“, heißt es auf der
       Homepage. Rund 20 Mitarbeitende verlieren ihren Job.
       
       Schork sieht die Sache realistisch. „Ich kenne ja meine Papiere“, sagt er.
       „Von daher bin ich nicht überrascht vom Ende des Mietvertrages. Wir wollten
       im Café schon vor Jahren sanieren, haben aber nie einen Termin bekommen, um
       das zu besprechen.“
       
       Die Kundschaft weiß von der bevorstehenden Schließung bereits seit Ostern.
       „Viele Stammgäste“, erzählt Schork, „waren persönlich erschüttert, viele
       verbinden mit dem Berio eine ganz eigene Geschichte, viele würden alles
       tun, damit wir nicht schließen.“ Zum Beispiel für die Petition werben und
       daran teilnehmen. Das würde von der engen Bindung vieler Stammkunden
       zeugen.
       
       ## „Zu uns kommen alle“
       
       „Unser Café ist eben nicht nur ein gastronomisches Zentrum, sondern auch
       ein Ort der Begegnung, des Austauschs und der Gemeinschaft“, sagt Schork.
       Auch habe man keineswegs nur queere Gäste. „Zu uns kommen alle, Heteros,
       Familien, Freaks und Kreative, auch Prominente, die hier nicht weiter
       auffallen und inkognito ihren Aufenthalt genießen können. Hier geht es
       extrem tolerant zu.“
       
       Wie zur Bestätigung kommt Diane Wolf die Treppe zum Obergeschoss hoch, sie
       ist eine halbe Stunde zu früh dran, entschuldigt sie sich bei Schork. Die
       beiden kennen sich gut, Wolf ist eine Stammkundin. Sie will in einem
       Separee alles für die Geburtstagsfeier ihrer Tochter Dominique vorbereiten
       und hat Zeit für ein kurzes Gespräch.
       
       Diane Wolf ist etwa seit Ende der 1980er Jahre zu Gast im Berio. „Ich war
       regelmäßig zum Frühstück mit einer Freundin hier und nachdem unsere Tochter
       1991 geboren wurde, sind wir echte Stammgäste geworden.“ Die Wolfs feiern
       hier Geburtstage und andere Feste, auch eine Hochzeit. Manchmal schauen sie
       auch nur kurz vorbei, wenn sie auf dem Winterfeldtmarkt einkaufen waren.
       
       Sie wohnen in Steglitz, die Tochter seit ein paar Jahren im Regenbogenkiez.
       „Das Berio war schon immer unser Wohnzimmer.“Wie geht es ihr mit der
       bevorstehenden Schließung? „Ich bin traurig, ich bin wütend. Als ich davon
       gehört habe, habe ich geweint, meine Tochter auch. Für uns ist das ganz
       schlimm.“ Sie wird die herzliche Atmosphäre vermissen.
       
       ## „Exzesse im Gewerbemietenmarkt“
       
       An der Stelle mischt sich ihr Ehemann ins Gespräch ein. „Die Kündigung
       dieses Etablissements macht für den Hauseigentümer wirtschaftlich gar
       keinen Sinn“, sagt Peter Wolf. Schließlich stehe das Haus unter
       Denkmalschutz – und das würde bauliche Veränderungen erschweren.
       
       Wolf spricht von der „Gier der Hauseigentümer“ und „Exzessen im
       Gewerbemietenmarkt“, denen das Land Berlin entschlossenen entgegentreten
       müsse. „Ich wünsche diesem Hauseigentümer und seinem Verwalter einen sehr
       genauen Steuerprüfer, einen sehr pingeligen Denkmalschützer und auch einen
       Sachbearbeiter, der dieses Geschäft oder das ganze Haus hinterher für die
       Neufestsetzung der Grundsteuer zu bewerten hat, der alle Möglichkeiten
       ausschöpft, die das Gesetz zulässt.“ Peter Wolf muss es wissen, er sagt, er
       sei pensionierter Finanzbeamter.
       
       Die nahende, scheinbar unabwendbare Schließung des queeren Traditionscafés
       ist in Berlin beileibe kein Einzelfall. Auch queere Kneipen und Restaurants
       sind von der allgemeinen Wirtschaftsmisere betroffen, sagt Schork.
       „Hauseigentümer machen in ihren Entscheidungen immer wieder Fehler und
       haben einen entscheidenden Einfluss darauf, wie sich die Kieze entwickeln,
       weil sich wegen immer weiter steigender Gewerbemieten die falschen Gewerbe
       ansiedeln und alteingesessene Betriebe das Nachsehen haben.“
       
       Dazu kommen die Nachwirkungen der Pandemie, Preissteigerungen und die
       ausufernde Bürokratie, Nachwuchssorgen, der Fachkräftemangel (gerade in der
       Gastronomie) und der gestiegene Mindestlohn – „an sich ja eine super Sache,
       aber all das muss ich an meine Kunden weitergeben“. Früher habe er alle
       drei Jahre eine neue Preisliste gemacht. „Heute muss ich sie öfter ändern.
       Das alles ist frustrierend.“
       
       Den Kopf in den Sand zu stecken, ist aber nicht sein Ding. Karsten Schork
       hat mehrere Optionen, was er nach dem Ende des Café Berio machen könnte.
       „Es muss ja auch nichts mit Gastro sein.“ Mehr verrät er nicht. Nur soviel:
       Er macht im Oktober erst mal Urlaub und wird mit etwas Abstand nachdenken,
       in welche Richtung es ihn treibt.
       
       Aber erst mal steht am Wochenende das Lesbisch-schwule Stadtfest an. Ein
       Höhepunkt im queeren Kalender. Da wird das Café Berio wieder rappelvoll
       sein. Viel zu tun, wie so oft. Doch diesmal wird ein Hauch von Wehmut und
       Abschied in der Luft liegen.
       
       19 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.change.org/p/aufruf-rettet-das-berio-stoppt-die-verdr%C3%A4ngung-erhaltet-den-regenbogenkiez-bafb12df-4596-4381-919a-ac94bad529b2
   DIR [2] https://berio-berlin.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Hergeth
       
       ## TAGS
       
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