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       # taz.de -- Fußball und Nationalismus: Ein kräftiges Aufbäumen
       
       > Der bessere Fußball wird von Klubs mit Milliardenumsätzen gespielt. Aber
       > die Europameisterschaft ist längst noch nicht tot.
       
   IMG Bild: Nationalflaggen und ihre Bedeutung: Identität, Stärke, Zugehörigkeit
       
       Alles hat diese [1][Europameisterschaft] aufzubieten gehabt: von lustigen
       Schotten, enttäuschten Italienern, tanzenden Niederländern, betrunkenen
       Engländern, beflissenen Georgiern bis zu beleidigten Deutschen. Kein
       Klischee fehlte, aber doch ist ein solches Turnier letztlich auch dies: ein
       [2][Kampf der Nationen], die von ihren Männerfußballauswahlen vertreten
       werden, wer sich denn letztlich Meister des Kontinents nennen darf.
       
       Dabei ist die im Wort Fußball-EM angelegte Bedeutung, es gehe darum, wer
       den besten Fußball spielt, historisch längst überholt. Nicht
       [3][Nationalmannschaften], sondern Klubteams, kapitalistisch organisiert,
       mit Umsätzen im Milliarden-Euro-Bereich, bieten den besten Fußball. Ihre
       Bühne ist nicht die EM, sondern die Champions League, dazu noch die
       nationalen Spielklassen und irgendwann vielleicht eine Super League. Nicht
       wenige der besten Fußballprofis der Gegenwart spielen längst nicht mehr in
       Europa, sondern etwa in [4][Saudi-Arabien].
       
       Dennoch sind die Europameisterschaft, die [5][Copa América], der [6][Africa
       Cup of Nations] oder auch die [7][Weltmeisterschaft] keine Auslaufmodelle.
       Die Auftritte von Nationalmannschaften binden größere Emotionen als
       [8][Champions-League]-Auftritte von etwa [9][Bayern München] oder
       [10][Borussia Dortmund]. Hinter denen stehen bestenfalls gewachsene
       Vereinsloyalitäten, die historisch gesehen immer eher regional verankert
       waren. Mit dem Bedeutungszuwachs wurden diese Klubs zu weltweiten Marken,
       die global zwar Supporter haben, aber das ist auf dem Weltmarkt
       austauschbar. Es sind oft Messi-Fans, Ronaldo-Fans, Mbappé-Fans, die in der
       jeweiligen Saison dann PSG-, Real- und vielleicht auch Inter-Miami- oder
       Al-Nassr-FC-Trikots kaufen.
       
       Trikotwechsel, die den Verkauf in Fanshops antreiben, gibt es für
       Nationalteams auch, aber die geschilderten Instabilitäten, die die Klubs
       aufweisen, fehlen einem Nationalteam sogar dann, wenn es über längere Zeit
       erfolglos bleibt und sich etwa nicht für eine WM- oder EM-Teilnahme
       qualifizieren kann. Schließlich repräsentieren diese Auswahlmannschaften in
       der Regel Nationalstaaten und solche Gebilde, die gerne Staaten wären.
       Schon der Umstand, dass es mehr Mitgliedsländer im Weltfußballverband Fifa
       als in der Uno gibt, zeigt, wie wichtig es für Länder ist, eine
       Nationalmannschaft zu unterhalten. Das gilt besonders für [11][kleine
       Nationen], die mit dem Sport auf „die politische Weltkarte“ wollen, etwa
       bei dieser EM Georgien oder Albanien. Das galt in der Vergangenheit auch
       etwa für die Färöer, das Kosovo oder Gibraltar, also Teams, die keine
       eindeutig anerkannten Nationalstaaten repräsentieren.
       
       Der Fußball und sein Wettbewerb der besten Auswahlmannschaften passt zu
       diesem Ziel sehr gut: Im Fußball zeigt sich Nationalismus als etwas
       Urwüchsiges, beinah Natürliches. Man jubelt halt dem Land zu, in dem man
       geboren wurde, da kicken „unsere Jungs“. Das war schon immer so, seit es
       diese Wettbewerbe gibt, aber doch hat sich in den vergangenen Jahren
       einiges verändert. Als verstärkendes Element wirkt der sogenannte
       Eventkapitalismus, der große Menschengruppen mit Billigfliegern in
       Metropolen gelangen lässt: zu EM-Spielen wie auch zu Konzerten oder zum
       Shopping.
       
       ## Fans als PR-Botschafter ihres Landes
       
       Auch bei dieser EM war zu beobachten, wie anreisende Fans faktisch PR für
       ihr Land machen. Landesfarben und Nationaltrikots prägten die Bilder, die
       wir von Innenstädten zu sehen bekamen, und das ganze geschah durchaus
       orchestriert: Auf den Fan Walks wurden große Gruppen durch die schöneren
       Ecken der Ausrichterstädte geführt, damit global einsetzbare Fernsehbilder
       entstehen, die sowohl deren Nation als auch die gastgebende Stadt in bestem
       Licht erscheinen lassen.
       
       Nun sind die Verhältnisse aber nicht so, dass die Konkurrenz von
       Nationalstaaten nur lachende Gesichter, freundliche Menschen und schöne
       Bilder produziert. Zwar hält die SPD-Vorsitzende Saskia Esken die EM für
       das „Zusammenspiel befreundeter Völker“ und tatsächlich haben keine
       marodierenden Banden Fußgängerzonen zerlegt, aber zum einen war diese EM
       polizeilich gesichert wie noch kein anderes Event in Deutschland zuvor, und
       zum anderen haben allerspätestens die Pfiffe und andere Aggressionen gegen
       den spanischen Spieler [12][Marc Cucurella] beim Halbfinale
       Spanien–Frankreich gezeigt, was all die schönen Bilder nicht verdecken
       können: Es geht immer noch um nationale Konkurrenz.
       
       Der Nationalismus lebt, und er ist sozusagen die Geschäftsgrundlage eines
       Events wie der Fußball-Europameisterschaft, vor allem der der Männer.
       Entsprechend können mit den hier symbolisch erkämpften nationalen Siegen
       auch politische Anliegen scheinbar plausibel vorgetragen werden.
       Forderungen nach einem Großungarn oder Großalbanien basieren ebenso auf
       behaupteter Größe wie das Selbstbewusstsein, mit dem türkische
       Rechtsextremisten den Wolfsgruß zeigen. Das unterscheidet den
       Nationalmannschaftsfußball fundamental vom Klubfußball. Dem geht es nicht
       um geografische Grenzen, deren Ausdehnung gewünscht würde. Dortmund will
       nicht Gelsenkirchen eingemeinden, Manchester nicht Liverpool.
       
       Schwer fällt es auch vor diesem Hintergrund, sich etwa einen
       Europa-Nationalismus vorzustellen. Im Golf beispielsweise spielt schon seit
       Jahrzehnten beim [13][Ryder Cup] Europa gegen die USA, dort feuern Fans mit
       EU-Fähnchen die Spieler an – aber das ist eben Golf. Hypothetisch denkbar
       wäre so etwas im Fußball ja auch, etwa eine europäische gegen eine
       lateinamerikanische Auswahl – aber wer in dem monopolistisch aufgeteilten
       Fußballmarkt sollte so etwas jemals organisieren? Die Uefa verdient mehr
       mit mittlerweile 24 EM-Teilnehmern und hat ja noch mit der Nations League
       und einigen Klubwettbewerben weitere Geldesel auf den Fußballplatz geführt.
       Der Weltverband Fifa verdient mehr mit den mittlerweile 48 WM-Teilnehmern
       und den weiteren Wettbewerben wie Klub-WM oder Confed-Cup. Und die Klubs?
       Scheiden bei einem denkbaren Kontinent-vs.-Kontinent-Event ohnehin aus.
       
       Was bleibt, ist dies: So sehr die kapitalistische Durchdringung des Sports
       dafür sorgt, dass der bessere und profitablere Fußball in als Konzernen
       organisierten Klubs gespielt wird, so sehr bleibt doch das Interesse am
       Zeigen nationaler Größe. 2028 geht es weiter, in Großbritannien und Irland.
       
       14 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwerpunkt-Fussball-EM-2024/!t5308320
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=hfPiNp2L0so
   DIR [3] /Deutsche-Fussball-Nationalmannschaft/!t5013296
   DIR [4] /Fussball-Profiliga-in-Saudi-Arabien/!6015901
   DIR [5] /Copa-America/!t5210017
   DIR [6] /Afrika-Cup/!t5020938
   DIR [7] /Fussball-WM/!t5010455
   DIR [8] /Champions-League/!t5007807
   DIR [9] /FC-Bayern-Muenchen/!t5411062
   DIR [10] /Borussia-Dortmund/!t5007865
   DIR [11] /Fussball-in-Andorra/!5629690
   DIR [12] /Pfeifkonzert-gegen-Marc-Cucurella/!6019593
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       ## AUTOREN
       
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