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       # taz.de -- Frankreich nach der Wahl: Linkes Bündnis droht zu zerbrechen
       
       > In Frankreich können die linken Wahlsieger sich nicht auf einen
       > Personalvorschlag einigen. Präsident Macron will vorerst eh keinen neuen
       > Premier.
       
   IMG Bild: Drei der vier Parteien im Linksbündnis hatten sich auf die parteilose Diplomatin Laurence Tubiana geeinigt, doch die LFI lehnte ab
       
       Paris taz | Bricht [1][die linke Volksfront in Frankreich] schon
       auseinander? Diesen peinlichen Eindruck vermittelte die Wahlunion von
       Sozialisten, Kommunisten, Grünen und La France insoumise (LFI) [2][nach
       mehr als einer Woche vergeblichen Ringens] um die Frage, wer in ihrem Namen
       nun regieren soll. Die Namen verschiedener Personen wurden publik, alle
       aber stießen bei den einen oder den anderen auf Ablehnung.
       
       Bereits am Freitag fragte Le Figaro, ob diese Linke, die sich trotz ihrer
       Differenzen für die Parlamentswahlen vereint hatte, überhaupt regieren
       wolle. Bei den Wählern und Wählerinnen des Nouveau Front Populaire (NFP),
       der bei ihnen große Hoffnungen geweckt hatte, wächst angesichts des
       Spektakels der Eitelkeiten und Empfindlichkeiten der beteiligten Parteien
       der Frust.
       
       Wie alle in Frankreich waren auch die Linksparteien von ihrem (relativen)
       Sieg überrascht. Sie hatten ihr Bündnis in aller Eile und auch mit einer
       gewissen Improvisation mit dem einzigen gemeinsamen Ziel geschlossen, die
       Machtergreifung durch die extreme Rechte zu verhindern, was dann auch
       gelang. Was jedoch zunächst den Zusammenhalt ermöglicht hat, fällt damit
       weitgehend weg.
       
       Und ein Mechanismus, sich in demokratischer Weise auf einen eventuellen
       Premierminister oder -ministerin oder gar ein Kabinett zu einigen, war
       nicht vorgesehen. Auch eine gemeinsame Kandidatur für den Vorsitz der
       Nationalversammlung und für andere parlamentarische Ämter ist problematisch
       geworden.
       
       ## Macron gewinnt Zeit
       
       Die Linksparteien stellen zwar aufgrund der Wahlergebnisse vom 7. Juli
       zusammen den größten Block von Abgeordneten in der Nationalversammlung,
       aber sie verfügen nicht über eine regierungsfähige Mehrheit. Die
       Perspektive, eventuell mit den gegnerischen Macronisten kooperieren zu
       müssen, spaltet die linke Allianz. Für die LFI von Jean-Luc Mélenchon steht
       so etwas nicht zur Debatte. Sozialisten und Grüne dagegen hätten offenbar
       weniger Bedenken. Da sich die NFP nicht auf einen gemeinsamen Vorschlag für
       den Namen eines Premierministers oder Premierministerin einigt, kann Macron
       wie gewollt Zeit für eine andere Lösung gewinnen.
       
       Nach einer letzten Ministerratssitzung hat Staatspräsident Emmanuel Macron
       den Rücktritt von Premierminister Gabriel Attal und seiner Regierung
       akzeptiert. Ein neues Kabinett und einen neuen Regierungschef bekommt
       Frankreich aber nicht sofort. Attal und seine Regierung müssen bis auf
       Weiteres die „laufenden Geschäfte“ weiterführen und wären auch im Krisen-
       oder Katastrophenfall zum Handeln berechtigt. Die Verfassung der Fünften
       Republik sieht dies für einen solchen außergewöhnlichen Fall vor.
       
       Ein Machtvakuum soll es nach dem Regierungsrücktritt nicht geben. Es
       handelt sich um eine sonderbare Übergangszeit, [3][da zum Beispiel Attal
       gleichzeitig Noch-Premier,] aber zugleich auch Abgeordneter der
       Nationalversammlung sein wird, was grundsätzlich einen Verstoß gegen das
       demokratische Prinzip der Gewaltenteilung darstellt.
       
       Wie lange dieses Provisorium dauern soll, ist unklar. Macron hat aber
       angedeutet, dass es ihm nicht unlieb wäre, wenn diese Interimsperiode bis
       nach den Olympischen Spielen in Paris, das heißt bis Mitte September,
       dauern könnte. Wenige Stunden vor ihrem offiziellen Rücktritt hat die
       Regierung Attal noch diverse Dekrete im Amtsblatt publiziert, namentlich
       Ausführungsbestimmungen zum Immigrationsgesetz, das nach einer hitzigen
       Debatte im Januar verabschiedet wurde, anschließend aber vom
       Verfassungsgericht für teilweise ungültig erklärt worden war.
       
       ## Kommt eine formelle Allianz
       
       Macron hofft weiter, dass seine Parteien der Mitte bei ihren Diskussionen
       hinter den Kulissen mit diversen Gesprächspartnern von links und rechts
       (etwa mit Sozialisten und Grünen sowie mit Konservativen und Zentristen)
       eine breite Koalition samt regierungsfähiger Mehrheit zustande bringen.
       
       Der bisherige Innenminister Gérald Darmanin äußerte sich dagegen sehr
       interessiert an einer formellen Allianz der Macronisten mit den
       Konservativen der Partei Les Républicains (LR), selbst auf der Grundlage
       der politischen Bedingungen, die LR-Chef Laurent Wauquiez für einen Pakt
       genannt hat. Für den Moment scheint in Frankreich so ziemlich die ganze
       Politik in der Schwebe zu sein.
       
       16 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Balmer
       
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