# taz.de -- DFB-Abschied von Thomas Müller: Einparken im Kleinstraum
> Mit Thomas Müller verliert die DFB-Elf einen Meister des effektiven
> Spiels. Nur wieso verkündet der Bayern-Profi den Rücktritt im
> Bierhoff-Stil?
IMG Bild: One-Touch-Künstler und Klartexter: Thomas Müller im Jahr 2021
Große Turniere sind immer auch Zeiten des Abschieds. Kaum dass irgendwer
den Pokal in die Höhe gestemmt hat, kommen frisch aus dem Eisbad die
Altvorderen – jene lieb- oder auch bösgewonnenen Gesichter, die die
Zuschauenden seit Jahren oder gar Jahrzehnten begleitet haben – und
verkünden ihre Rücktritte. Es gibt Blumen, pathetische Rückblicke,
Bilderstrecken.
Nun hat es auch den ewig lausbübischen Thomas Müller erwischt, Kampfname
„Der Wurschtler“. In einem eigens produzierten Abschiedsvideo sagte er im
Tonfall eines Oberstufenreferates der Nationalmannschaft „Servus“. Es ist
ein bitter dröges Video mit Fotoslides, im Hintergrund läuft
Warteschleifenmusik, und Thomas Müller leiert seine Texte herunter, die
vielleicht ein ausgebildeter Bankberater für ihn vorformuliert hat.
An der Machart wird schon auch deutlich, dass da ein Teil von „Die
Mannschaft“ geht, diesem Bierhoff’schen Marketingkonstrukt, das immer
versucht hat, eine Nähe zu den Fans zu simulieren, ohne sie je ernst zu
nehmen. Fans waren für Bierhoff bestenfalls Klatschpappenhalter*innen,
Bildmaterial für die Fernsehkameras, Verfügungsmasse zur Inszenierung der
Fußballermarken auf dem Platz. Auch das hat sich während dieser EM jetzt
geändert, Ton und Haltung der neuen Nationalmannschaft unter Julian
Nagelsmann sind gleichermaßen bescheidener und nahbarer, [1][als es in
dieser Businesskasper-Zeit unter Bierhoff der Fall war].
## Sinn fürs Anarchische
Trotzdem bitter, [2][dass Thomas Müller jetzt bei seinem Abschied auf diese
schlecht durchgescriptete Ästhetik zurückgreift], der wir sehr viele
uninteressante Dokumentationen zu verdanken haben. Ausgerechnet Thomas
Müller, möchte man sagen, der doch immer durch seine Unkonventionalität,
Spontanität und diesen gewissen bayerischen Sinn fürs Anarchische
aufgefallen war. Als wär aus dem Lausbub jetzt doch noch was Vernünftiges
geworden – ein Mitarbeiter beim Landesvermessungsamt Bayern zum Beispiel.
Thomas Müller war kein Zauberer am Ball, kein Genie der Beherrschung des
Spielgeräts. Was er beherrschte, war etwas anderes: Er beherrschte viel
besser als andere die Möglichkeiten, die der Platz ihm bot. Vor allem
anderen ist er ein Nonkonformist, der denkt: In diese bobbycargroße Lücke
könnte mein Škoda gut reinpassen.
Man hat ihn oft einen Raumdeuter genannt, dabei war er eher ein
Raumerkenner, weil er – anders als zum Beispiel Cruyff oder andere große
Spielmacher*innen – die Räume nie wirklich geschaffen hat, sondern sich
schlicht sehr gut hineingeparkt bekam. Und wenn sich dann die Möglichkeit
bot, mit seinen viel zu dürren Haxen an den Ball zu kommen, kam er auch an
den Ball ohne viel Federlesen; Müllertore sind von einer erstaunlichen
Schlichtheit. Zackbumm. Er ist ein Interpret des Spiels und keiner, der es
schreibt.
Das verstanden zu haben, gehört zu seinen größten Qualitäten; es grämt ihn
nicht. Thomas Müller ist jemand, der das Spiel über den Platz hinausdenkt,
der an die Gemeinschaft denkt, die eine Mannschaft sein muss. Einem Sandro
Wagner nicht unähnlich, ist er nicht deswegen Type, weil ihn die Eitelkeit
zwingt, sondern weil er verstanden hat, dass es Typen wie ihn braucht.
Dass er jetzt noch ein Jahr bei Bayern München spielt, dass sein Vertrag
verlängert wurde, liegt vermutlich gar nicht an seinen inzwischen relativ
übersichtlichen Leistungsdaten, sondern weil er nicht nur als
Integrationsfigur taugt, sondern eben auch eine ist: Thomas Müller hat nie
mehr versprochen als er geliefert hat. Das macht ihn zum Link zwischen der
Ära Bierhoff und der Ära Rudi Völler/Julian Nagelsmann.
Wenn es ganz dumm läuft, das heißt, wenn der FCB weder CL- noch
DFB-Pokal-Finale erreicht, wird nächstes Jahr Thomas Müller seine Karriere
in Hoffenheim beenden. Das wäre traurig für ihn, aber die Ära Bierhoff käme
da immerhin zu ihrem berechtigten Ende.
17 Jul 2024
## LINKS
DIR [1] https://www.dfb.de/news/detail/dfb-unveil-new-die-mannschaft-branding-124573/
DIR [2] https://www.youtube.com/@esmuellert
## AUTOREN
DIR Frédéric Valin
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