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       # taz.de -- Rechte Fraktionen in der EU: Zu früh für Entwarnung
       
       > Zerstritten und zersplittert: Im neuen Europaparlament spielen die
       > Rechten keine große Rolle. Doch das kann sich bald ändern.
       
   IMG Bild: Im neuen EU-Parlament sitzen drei rechte Fraktionen. Tun sie sich zusammen, würden sie zweitstärkste Kraft
       
       Der „Cordon sanitaire“ – die europäische Brandmauer gegen rechts – hält.
       Bei der Verteilung der wichtigsten Posten im neu gewählten Europaparlament
       in Straßburg sind die Rechtsradikalen und Nationalisten leer ausgegangen.
       Sie konnten keine großen Parlamentsausschüsse übernehmen und haben nur
       einen Vizepräsidenten ergattert.
       
       Zwar wird mit Antonella Sberna künftig auch ein Mitglied der
       rechtsradikalen Fratelli d’Italia die mit großer Mehrheit wiedergewählte
       Parlamentspräsidentin Roberta Metsola vertreten. Mehr als ein
       Achtungserfolg für Italiens postfaschistische Regierungschefin Giorgia
       Meloni, die die Fratelli leitet, ist das aber nicht. Von einer zentralen
       Rolle in der EU ist Meloni, anders als erwartet, weit entfernt. Vor der
       Europawahl war die machtbewusste Italienerin oft als „Königsmacherin“
       beschrieben worden. Denn EU-Kommissionspräsidentin [1][Ursula von der Leyen
       hatte offen um Meloni] und die Stimmen ihrer rechten Parteifreunde im
       Europaparlament geworben.
       
       Doch die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), die Meloni anführt,
       sind nur die viertgrößte Fraktion im neuen Parlament geworden. Auf Platz
       drei hat sich die [2][neue Fraktion der Patrioten für Europa] geschoben, in
       der Frankreichs Nationalistenführerin Marine Le Pen und Ungarns
       Rechtspopulist Viktor Orbán den Ton angeben.
       
       Die EKR ist nicht mehr so wichtig; selbst als Mehrheitsbeschafferin für von
       der Leyen wird sie bei der entscheidenden Abstimmung am Donnerstag wohl
       nicht mehr gebraucht. Denn diese Rolle haben die Grünen übernommen – sie
       haben sich dem Wahlbündnis für von der Leyen angeschlossen, um eine
       Mehrheit auch ohne die Rechten zu sichern.
       
       ## AfD und ENS sind fast bedeutungslos
       
       Praktisch bedeutungslos ist die AfD und ihre in letzter Minute aus dem
       Boden gestampfte [3][Fraktion Europa der Souveränen Nationen] (ENS).
       Fraktionschef René Aust (AfD) gebietet lediglich über 25 Abgeordnete aus
       rechtsextremen Klein- und Kleinstparteien. Aus Sicht der anderen beiden
       Rechts-Fraktionen ist er das (entbehrliche) dritte Rad am Wagen.
       
       Es wäre allerdings falsch, die zersplitterte Rechte völlig abzuschreiben.
       Zum einen ist sie stärker denn je: Nimmt man alle drei Fraktionen zusammen,
       so erreichen sie mit 187 Abgeordneten fast so viele wie die seit
       Jahrzehnten tonangebende Europäische Volkspartei (EVP) um von der Leyen
       (188). Sie hängen auch [4][die Liberalen] ab, die mit 53 Parlamentariern
       nur noch die fünftgrößte Fraktion bilden (früher war Renew die Nummer
       drei).
       
       Zum anderen ist nicht auszuschließen, dass sich die bisher fast
       lehrbuchmäßig verfeindeten, weil national dominierten Fraktionen – EKR für
       Italien, Patrioten für Frankreich und ENS für Deutschland – irgendwann doch
       noch vereinen. Eine „nationalistische Internationale“ klingt zwar paradox,
       ist aber durchaus noch möglich.
       
       ## Rechte auch in EU-Staaten stärker
       
       Außerdem sind die Rechten nicht nur im Europaparlament stärker geworden,
       sondern auch in den EU-Staaten. In Italien, den Niederlanden und Kroatien
       sind Rechtsextreme sogar an der Regierung beteiligt – dort hat der „Cordon
       sanitaire“ nicht gehalten. In Den Haag paktieren die Liberalen mit den
       Rechten, in Kroatien die EVP.
       
       „Die Mitte hält“, haben die proeuropäischen Parteien nach der Europawahl
       erleichtert ausgerufen. Doch in vielen Ländern franst die Mitte bedenklich
       aus. Und die Europapolitik wird nicht nur im EU-Parlament gemacht, sondern
       auch im Rat, der Vertretung der 27 EU-Staaten. Dort könnten die Rechten
       auch Einfluss auf die Gesetzgebung bekommen.
       
       Für Entwarnung ist es also zu früh – auch wenn der „Cordon sanitaire“ im
       neuen Europaparlament hält.
       
       18 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
       
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