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       # taz.de -- Rad als nachhaltige Verkehrsmobilität: Schulbus auf zwei Rädern
       
       > Jeden Freitag fahren Grundschüler*innen mit erwachsenen
       > Begleitpersonen mit dem Fahrrad zur Schule. Ziel des Bicibus: Kinder von
       > klein auf für nachhaltige Verkehrsmittel begeistern.
       
   IMG Bild: Der Bicibus bietet einen sicheren Rahmen für Kinder, um Fahrradfahren zu üben und sich an den Straßenverkehr zu gewöhnen
       
       Berlin taz | Freitag früh um halb acht: Eine kleine Gruppe aus acht
       Grundschüler*innen und fünf Erwachsenen fährt gemächlich durch die
       kleinen Gassen von Bohnsdorf, einem Ortsteil in Treptow-Köpenick im
       Südwesten Berlins. Da wenig Verkehr ist, können sie gemütlich nebeneinander
       statt hintereinander fahren. Zwei Mädchen besprechen ihre Pläne für das
       Wochenende, ein anderes diskutiert mit ihrem Vater, ob sie noch Eis essen
       gehen. An der nächsten Straßenecke wartet ein Schüler. Der Tornister sitzt
       schon auf dem Rücken, der Helm ordentlich auf dem Kopf. Der Junge tritt in
       die Pedale und reiht sich in die fahrende Gruppe ein.
       
       Bei der Gruppe handelt es sich um die Initiative Bicibus, eine Art
       Fahrrad-Bus. Jeden Freitag fahren Grundschüler*innen mit erwachsenen
       Begleitpersonen nach festgelegtem Fahrplan mit dem Fahrrad zur Schule. Ihr
       Ziel: Kinder von klein auf für nachhaltige Verkehrsmittel begeistern.
       Entstanden ist die Idee 2021 in Barcelona. Daher auch der Name Bicibus.
       Abgeleitet von Bicicletta – Spanisch für Fahrrad – und Bus für einen
       geschlossenen Verband aus 16 oder mehr Verkehrsteilnehmenden gemäß der
       Straßenverkehrsordnung.
       
       Mittlerweile gibt es nach Angaben von Bicibus 470 Fahrradbusse weltweit,
       die jede Woche etwa 32.000 Kinder zur Schule bringen. In Deutschland gibt
       es das Projekt in 24 Städten, darunter seit Mai 2023 in Berlin. Gegründet
       hat die Berliner Gruppe Moritz Müller. Der zweifache Familienvater hatte
       assistiert, als sein Sohn in der vierten Klasse die Fahrradprüfung ablegte.
       „Viele Kinder waren auf dem Fahrrad sehr wackelig unterwegs“, erzählt der
       42-Jährige.
       
       Seine Beobachtungen decken sich mit Untersuchungen in allen Regionen
       Deutschlands. Josef Weiß von der Deutschen Verkehrswacht bestätigt
       beispielsweise, dass immer mehr Kinder Probleme beim Losfahren, Spurhalten
       und Bremsen haben. Er erklärt sich die Entwicklung so: „Aufgrund
       veränderter Freizeit- und Mediengewohnheiten bewegen sich Kinder immer
       weniger, die motorischen Defizite nehmen zu.“ Aus Angst vor Unfällen würden
       sie eher gefahren, als dass sie zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad eigene
       Erfahrungen im Straßenverkehr sammeln können. „Besonders in größeren
       Städten haben Kinder immer weniger Gelegenheit, Rad zu fahren. Zudem ist
       Radfahren nicht mehr überall eine Selbstverständlichkeit.“
       
       [1][Dass Kinder weniger Fahrrad fahren, ist wiederum ein Problem für die
       Verkehrswende]. Denn Fuß- und Radverkehr sind die umweltfreundlichsten
       Verkehrsformen und damit gerade in den Städten ein wichtiger Teil
       nachhaltiger Mobilität. Weiß vermutet, dass Kinder, die immer mit dem Auto
       gefahren werden, später eher dazu neigen, selbst öfter das Auto zu
       benutzen.
       
       Zum einen bietet der Bicibus einen sicheren Rahmen, um Fahrradfahren zu
       üben und sich an den Straßenverkehr zu gewöhnen. Die Berliner Gruppe muss
       beispielsweise einen Teil der Strecke auf einer etwas stärker befahrenen
       Straße zurücklegen, der Schulzendorfer Straße. Hier fahren die Kinder in
       einer langen Reihe hintereinander am Fahrbahnrand, die Erwachsenen vor,
       neben und hinter den Kindern, um ihre Schützlinge abzuschirmen.
       
       Da die Gruppe auf diesem letzten Stück der gemeinsamen Strecke groß ist,
       dürfen sie eine ganze Fahrbahn blockieren. Die Autofahrer*innen
       respektieren das: Autos hinter der Gruppe versuchen nicht, zu überholen,
       Autos auf der Gegenspur halten sogar an und lassen die Gruppe vorbeifahren.
       Auch die Kinder wissen, dass sie hier vorsichtig sein müssen. Sie
       unterhalten sich nicht mehr, sondern fahren konzentriert hintereinander
       her.
       
       Gruppengröße und das Alter der Kinder erhöht die Hemmschwelle, die Kinder
       zu überholen. Die Initiative bietet damit einen sicheren Rahmen, um auch
       das Fahren auf der Straße und den Umgang mit Autos zu üben. Auch der
       Automobilclub ADAC rät auf seiner Webseite, dass Kinder den Schulweg
       selbstständig absolvieren sollten: „Kinder sollten früh und altersgerecht
       an den Straßenverkehr herangeführt werden und den Schulweg selbstständig
       absolvieren“, heißt es. „Risikobewusstsein und Verständnis für den
       Straßenverkehr entwickeln sie allerdings nicht, wenn sie von den Eltern
       regelmäßig mit dem Auto zur Schule gebracht werden“, so der
       Auto-Lobbyverein.
       
       Um eine sichere Fahrt zu gewährleisten, gibt es für die Kinder
       Mindestanforderungen: Sie müssen ohne Wellen geradeaus und sicher Kurven
       fahren können. Müller berichtet, dass die regelmäßige Teilnahme beim
       Bicibus schnell Wirkung zeige: Man merke schon nach wenigen Wochen, dass
       die Kinder das Fahrrad besser im Griff haben und die Verkehrsregeln
       beherrschen.
       
       Mittlerweile sind die Kinder sicher an der Schule angekommen. Die
       Startgruppe hat 3,3 Kilometer zurückgelegt und war 25 Minuten unterwegs.
       Aus allen Richtungen strömen Schüler*innen zu Fuß oder mit Fahrrädern
       Richtung Schuleingang. Dort stehen schon einige Kinder mit Smartphone in
       der Hand und warten. Die Fahrräder werden schnell angeschlossen und Müller
       verteilt noch Sticker für die nächste Kidical Mass.
       
       An der Kreuzung vor der Schule und in den umliegenden Einfahrten stauen
       sich derweil die Autos, weil Eltern ihre Kinder aussteigen lassen.
       Elterntaxis sind auch hier ein Problem, wenn auch nicht so stark wie an
       manchen anderen Schulen, berichtet Müller. Manchmal sanktioniere die
       Polizei oder das Ordnungsamt das Verhalten der Eltern. Danach würde es
       zumindest kurzzeitig besser. „Solange es nicht schmerzhaft ist, rührt sich
       keiner“, sagt Müller.
       
       Bei einer ADAC-Umfrage aus dem vergangenen Jahr stimmten 59 Prozent der
       Eltern zu, dass durch Elterntaxis gefährliche Verkehrssituationen
       entstehen. Darunter auch relativ viele Eltern, die ihre Kinder selbst mit
       dem Auto zur Schule bringen. Bisher kann der Bicibus Elterntaxis jedoch
       kaum ersetzen: Er erreicht eher Familien, in denen die Kinder sonst alleine
       zur Schule fahren, zu Fuß gehen oder mit dem Bus fahren. „Wer selten mit
       dem Fahrrad fährt, hat Angst um die Sicherheit seiner Kinder, wenn sie mit
       dem Fahrrad fahren“, erklärt sich Müller das Verhalten der autofahrenden
       Eltern.
       
       [2][Dabei hat der Bicibus gegenüber dem Elterntaxi noch weitere Vorteile:]
       Die Kinder bewegen sich mehr, sind an der frischen Luft, erleben mehr
       Eigenverantwortung und entwickeln dadurch mehr Selbstvertrauen. Außerdem
       verbringen sie mehr Zeit mit Gleichaltrigen. Daraus entwickeln sich zwar
       nicht unbedingt Freundschaften, erzählt Müller, aber die Kinder würden sich
       zumindest klassenübergreifend kennenlernen. Oder wie Marcel Schulz-Uteß,
       einer der begleitenden Väter, zusammenfasst: „Die Kinder haben mit Bicibus
       mehr Kindheit.“
       
       Damit die Eltern sichergehen können, dass die Kinder auch pünktlich und
       sicher ankommen, können sie die Fahrt der Gruppe live auf der Webseite
       verfolgen. Müller lässt dafür sein Handy trecken. Die Berliner Gruppe
       versucht auch Eltern zu erreichen, denen es zu gefährlich ist, ihr Kind auf
       der Straße fahren zu lassen. [3][Beim diesjährigen Stadtradeln] ist die
       Gruppe jeden Morgen gefahren. Die erste und letzte Fahrt hat Müller als
       Versammlung angemeldet, sodass die ganze Straße für die
       Nachwuchs-Fahrradfahrer*innen abgesperrt war und die Gruppe von
       Polizeiautos geschützt wurde. An der letzten Fahrt haben insgesamt 145
       Kinder und Erwachsene teilgenommen. Viele Eltern hat das überzeugt, erzählt
       Müller, einige neue Erstklässler*innen würden seitdem regelmäßig
       mitfahren: „Die Eltern von einem Geschwisterpaar waren erst zurückhaltend,
       ihre Kinder allein mit dem Rad zur Schule fahren zu lassen. Wir bekamen
       eine Mail mit ihren Befürchtungen und einem großen Lob, dass wir das machen
       und die Kinder jetzt allein fahren.“
       
       11 Jul 2024
       
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