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       # taz.de -- Wahl in Großbritannien: Gigantischer Triumph für Labour
       
       > Die oppositionelle Labour-Party holt 412 der 650 Sitze im künftigen
       > Parlament. Damit wird Keir Starmer am Freitag neuer Premierminister.
       
   IMG Bild: Euphorie bei Labour-Anhänger*innen: Labour gewinnt die Wahlen und Keir Starmer wird neuer britischer Premierminister
       
       London taz/dpa/rtr/ap/ | Die Labour-Partei hat die Parlamentswahlen in
       Großbritannien gewonnen. Der gemeinsame „Exit Poll“ der großen britischen
       TV-Sender gibt der bisherigen Oppositionspartei 412 der 650 Sitze im
       Unterhaus – mehr als doppelt so viele wie bei den letzten Wahlen 2019.
       [1][Labour-Führer Keir Starmer wird damit am Freitag der nächste
       Premierminister] des Vereinigten Königreichs.
       
       Die bisher regierenden Konservativen rutschen demnach auf 121 Sitze ab, nur
       gut ein Drittel ihres Ergebnisses 2019. Nach ersten Prognosen haben
       zahlreiche Kabinettsminister ihre Direktmandate verloren, Premierminister
       Rishi Sunak aber behält voraussichtlich sein Parlamentsmandat.
       
       Zweiter großer Verlierer ist die bisher in Schottland dominante Schottische
       Nationalpartei (SNP), die nur noch 10 der 56 schottischen Direktmandate
       hält. Damit sind ihre Ansprüche, auf der Grundlage eines guten Ergebnisses
       bei diesen Wahlen ein neues Unabhängigkeitsreferendum zu verlangen,
       voraussichtlich tot.
       
       Die rechtspopulistische Partei „Reform UK“ von Nigel Farage erringt einen
       Achtungserfolg mit vier Sitzen, mehr als weithin erwartet. Große Zugewinne
       werden auch den Liberaldemokraten zugeschrieben, die mit 71 Sitzen ihr
       bestes Ergebnisses seit 100 Jahren einfahren.
       
       ## Schlechtestes Ergebnis seit 200 Jahren
       
       Für die Konservativen wiederum ist es voraussichtlich das schlechteste
       Ergebnis seit fast 200 Jahren. Die siegreiche Labour-Partei bleibt knapp
       unter dem Rekordergebnis von Tony Blair beim Machtwechsel 1997, als Labour
       mit 418 Sitzen die Konservativen abgelöst hatte. Ersten Prognosen der
       Stimmanteile zufolge bleibt die Partei auch hinter den meisten
       Meinungsumfragen der vergangenen Wochen zurück und landet bei deutlich
       unter den vorhergesagten 40 Prozent.
       
       Dennoch ist diese Wahl ein gigantischer Triumph für Labour und mehr noch
       eine verheerende Niederlage für die Konservative nach 14 Jahren an der
       Macht.
       
       Eine [2][ganze Reihe von Krisen und Skandalen hatte der seit 2010
       regierenden Partei zugesetzt]. Ende Mai hatte Sunak – angespornt durch gute
       Inflationszahlen – die Wahl für den 4. Juli anberaumt. So konnten die
       Briten am Donnerstag bis 23 Uhr ihre Stimme abgeben.
       
       Die Wahl hätte spätestens bis Januar 2025 stattfinden müssen. Der frühere
       Wahltermin änderte aber nichts daran, dass Labour weiter die Umfragen
       dominierte, auch wenn Parteichef Starmer nicht als großer Charismatiker
       gilt.
       
       ## Auszählung bestätigt Labours Wahlsieg
       
       Alle 650 Sitze im Unterhaus [3][werden per Direktmandat vergeben]. Die
       absolute Mehrheit im Unterhaus (House of Commons) beträgt 326 Sitze. Diese
       Marke wurde erreicht, als Labour es um 5 Uhr (Ortszeit) auf 326 Sitze
       brachte, während die Stimmauszählung in vielen Wahlkreisen noch andauerte.
       Damit steht fest, dass Labour-Chef Keir Starmer der nächste britische
       Premierminister wird.Bei der bisher letzten Wahl 2019 hatten die Tories 365
       Sitze gewonnen, Labour hatte 202 Mandate.
       
       Amtsinhaber Rishi Sunak gestand die Niederlage seiner Konservativen Partei
       ein. Das britische Volk habe ein „ernüchterndes Urteil“ gefällt, Labour
       habe gewonnen. Der Premier konnte zwar seinen Parlamentssitz in North
       Yorkshire verteidigen, sagte aber, er übernehme die Verantwortung für die
       Niederlage seiner Partei. Er habe Labour-Chef Keir Starmer angerufen und
       ihm dazu gratuliert, dass er der nächste Premier des Landes werde.
       
       In den kommenden Stunden werde er sich nach London begeben, erklärte er und
       versprach einen geordneten Machtübergang. Es wurde erwartet, dass Sunak am
       (heutigen) Freitag König Charles III. im Buckingham-Palast trifft, um
       offiziell sein Amt niederzulegen. Anschließend dürfte sich Starmer dorthin
       begeben, um vom König einen Auftrag zur Regierungsbildung zu erhalten.
       
       ## Corbyn drin, Truss draußen
       
       Der ehemalige Vorsitzende der britischen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, ist
       bei der Parlamentswahl als unabhängiger Kandidat ins Unterhaus gewählt
       worden. Der 75-Jährige gewann den Sitz in seinem Wahlkreis Islington North,
       den er seit mehr als 40 Jahren vertritt, mit komfortablem Vorsprung. Sein
       Wiederwahl sei eine „widerhallende Botschaft“, dass seine Wähler „etwas
       anderes wollen“, erklärte er.
       
       Corbyn führte Labour in die letzte Parlamentswahl im Jahr 2019, bei der die
       Partei das schlechteste Ergebnis seit Jahrzehnten erzielte. Daraufhin trat
       er als Parteichef zurück. 2020 schloss Labour Corbyn aus, weil er sich
       weigerte, die Erkenntnisse eines Untersuchungsausschusses zu akzeptieren,
       wonach Antisemitismus in den Reihen der Labour-Partei unter seiner Führung
       überhand genommen hatte.
       
       Eine Reihe von prominenten Politikern in ihren Wahlkreisen wurde hingegen
       abgewählt. So verlor Liz Truss, Vorgängerin von Sunak als Regierungschefin,
       ihren Sitz im Parlament. Sie war die mit 44 Tagen am kürzesten amtierende
       Premierministerin Großbritanniens aller Zeiten, nachdem sie mit bestimmten
       Äußerungen Turbulenzen am Anleihemarkt und einen Absturz des Pfund Sterling
       ausgelöst hatte.
       
       Auch zehn Kabinettsmitglieder verloren ihren Sitz im Parlament, darunter
       Verteidigungsminister Grant Shapps und die Vorsitzende des Unterhauses,
       Penny Mordaunt. Es kommt relativ selten vor, dass britische
       Regierungsmitglieder in ihrem Wahlkreis unterliegen. Bisher hatten bei den
       vergangenen sechs Wahlen in 27 Jahren nur vier Kabinettsminister ihren Sitz
       verloren.
       
       Anm. der Redaktion: Dieser Text wurde nach Schließung der Wahllokale
       mehrfach aktualisiert.
       
       4 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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