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       # taz.de -- Haushaltsverhandlung der Ampelkoalition: Der Hoffnungshaushalt
       
       > Bis 5 Uhr morgens brannte im Kanzleramt noch Licht. Jetzt haben sich die
       > Koalitionsspitzen auf einen Haushaltsentwurf geeinigt. Was drinsteht.
       
   IMG Bild: Gerade noch geschafft vor der parlamentarischen Sommerpause: der Haushaltsentwurf für 2025 steht
       
       So, jetzt kann die Nation endlich wieder nur über Fußball reden. Denn die
       Führungsspieler der Ampelregierung – Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD),
       Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner
       (FDP) haben sich tatsächlich am Freitag im Morgengrauen nach mehrwöchigem
       Verhandlungsmarathon auf gemeinsame Eckpunkte für einen Haushalt geeinigt.
       
       „Schlaf wird überschätzt“, so ein übernächtigter, aber gutgelaunter
       Bundeskanzler am Freitagvormittag in der Bundespressekonferenz. Bis 5 Uhr
       morgens brannte im achten Stock des Kanzleramts noch Licht. „Wir wollten
       unbedingt vor der Sommerpause und dem Spiel unserer Mannschaft fertig
       sein“, so Scholz.
       
       Was der nonchalante Auftritt des Kanzlers überdeckte: Auf dem Spiel stand
       weit mehr, als dass er zu spät zum Anpfiff ins Stuttgarter Stadion kam. Die
       Wirtschaft schwächelt, die Staatseinnahmen auch, Schulen und Straßen
       bröckeln und im Haushalt klaffte ein zweistelliges Milliardenloch. Wie das
       zu schließen sei, darüber gingen die Ansichten in der Ampel weit
       auseinander – die FDP beharrt auf der grundgesetzlichen Schuldenbremse und
       wollte beim Sozialstaat sparen, die SPD war partout dagegen und wollte
       lieber die Schuldenbremse einmalig aussetzten.
       
       ## Das Wort „Vertrauensfrage“ machte bereits die Runde
       
       Ein Scheitern der Haushaltsverhandlungen wäre einem Scheitern der Ampel
       gleichgekommen. Das Wort „Vertrauensfrage“ machte bereits die Runde. Aber
       nein – „die Nerven zu verlieren, hinzuschmeißen und vor der Verantwortung
       wegzulaufen“, wäre für ihn nicht in Frage gekommen, so Scholz am Freitag.
       Also rauften sich die drei ungleichen Partner noch einmal zusammen.
       
       Was Scholz, Habeck und Lindner am Freitag präsentierten, gleicht auf den
       ersten Blick einem kleinen Wunder: Die [1][Schuldenbremse] wird im
       kommenden Jahr eingehalten, Kürzungsorgien im Sozialbereich werden
       vermieden, Kindergeld und -zuschlag sollen sogar steigen, wenn auch
       minimal.
       
       Der Klima- und Transformationsfonds bleibt – mit kleineren Kerben –, und
       auch die Landesverteidigung oder die Unterstützung der Ukraine will die
       Regierung nicht einkürzen. „Ein Haushalt“, so Scholz, „in dem alle drei
       Koalitionspartner sich und ihre Projekte, die ihnen wichtig sind,
       wiederfinden.“
       
       Gelungen ist dies, weil man, so Finanzminister [2][Christian Lindner],
       „jeden Stein umgedreht habe“. Und durch einige „Kunstgriffe“, die zum Teil
       noch juristisch geprüft werden. So will der Bund seine Zuschüsse an
       staatliche Unternehmen wie die Bahn oder die Autobahngesellschaft
       verringern und ihnen stattdessen Darlehen gewähren. Diese zählen dann nicht
       als Ausgaben, weil ihnen ein Gegenwert in Form von Aktien entspräche.
       Außerdem setzt man auf Wirtschaftswachstum und damit auf sprudelnde
       Einnahmen. Ein Dynamisierungspaket, das parallel verhandelt wurde, soll die
       Wirtschaft ankurbeln. Positiv formuliert kann man sagen: Ein Haushalt, der
       auf Hoffnung baut.
       
       ## Nur noch ein Drittel der Unternehmen fällt unter das Lieferkettengesetz
       
       Der Teufel steckt jedoch im Detail. So wird etwa im Entwicklungsministerium
       jeder zehnte Euro gestrichen, trotz des Bekenntnisses der Bundesregierung,
       sich verstärkt um die Partner im Globalen Süden zu bemühen und den
       russischen Einfluss in Afrika einzudämmen. Das Lieferkettengesetz, das
       Arbeitnehmer:innen im Süden stärken sollte, wird so entkernt, dass nur
       noch ein Drittel der Unternehmen darunter fällt.
       
       Und die [3][Kindergrundsicherung] ist halb abgeblasen – von einer Leistung,
       die alle Kinder aus einer Hand bekommen, ist nicht mehr die Rede. Kinder,
       deren Eltern Bürgergeld bekommen, werden davon erst mal nichts haben.
       
       Überhaupt wird es für Bürgergeldempfänger:innen ungemütlicher. Für
       sie werden Sanktionen verschärft – wer nicht gewillt ist, bis zu drei
       Stunden zur Arbeit zu pendeln oder eine „zumutbare“ Arbeit oder Fortbildung
       ablehnt, dem können bis zu drei Monate 30 Prozent des Regelsatzes gekürzt
       werden. Auch die Karenzzeit für das Schonvermögen wird halbiert.
       
       Als Lindner in der Bundespressekonferenz davon sprach, dass man diejenigen,
       die nicht arbeiten wollen, nicht besser stellen wolle als diejenigen, die
       arbeiten, widersprach der sozialdemokratische Kanzler nicht. „Florida-Rolf“
       ist wieder auferstanden, die Erzählung vom faulen Arbeitslosen hat sich
       durchgesetzt.
       
       ## Augen müde, Stimmung gut
       
       In der SPD, die das Bürgergeld in der Ampel durchsetzte, bleibt der
       Aufstand jedenfalls aus. Um sieben Uhr morgens hatte man sich zur
       Fraktionssitzung getroffen. Als die Abgeordneten rund eineinhalb Stunden
       später den Sitzungssaal verließen, waren die Augen müde, die Stimmung aber
       ganz gut. „Für uns war wichtig, dass es keine Leistungskürzungen für
       Menschen geben wird“, sagte Fraktionsvize Sönke Rix er der taz. „Man kann
       also nicht sagen, dass sich die FDP durchgesetzt hat, im Gegenteil.“ Und
       Fraktionschef Rolf Mützenich betonte: „Andere waren der Meinung, dass nur
       der Kinderfreibetrag erhöht werden solle, da haben sich Sozialdemokratinnen
       und Sozialdemokraten durchgesetzt“. Na bitte.
       
       Um sieben Uhr am Morgen kamen auch die Grünen zu einer Sondersitzung der
       Fraktion zusammen, wo Robert Habeck die Vereinbarung der letzten Nacht
       vorstellt. Die Stimmung: gemischt. Einerseits waren die meisten – auch mit
       Blick auf die politische Instabilität in Frankreich, den USA und anderen
       Teilen der Welt – erleichtert, dass sich die Ampel nicht zerlegt, sondern
       auf ein gemeinsames Papier zum Haushalt geeinigt hat, Neuwahlen also erst
       einmal ausbleiben. Und dass Habeck einiges rausgeholt hat, etwa für den
       Klimaschutz.
       
       „Wirtschaft, Klima, Kinder“, auf diesen Dreiklang wird der
       Wirtschaftsminister das später in der Pressekonferenz bringen. Da
       allerdings sind längst die Presserklärungen mit Kritik aus Sozialverbänden
       auf dem Weg, die Bundesregierung beerdige gerade die Kindergrundsicherung.
       
       Auch in der Fraktionssitzung gibt es viele kritische Nachfragen. Ein Thema
       dabei ist die Sicherheitspolitik, innen wie außen, und die deutlichen
       Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit. „Es ist bitter, dass bei der
       internationalen Gerechtigkeit gekürzt wird“, sagt Haushaltspolitiker
       Sven-Christian Kindler. „Die Mittel für die Humanitäre Hilfe und die
       Entwicklungszusammenarbeit reichen nicht aus, um in einer immer unsicheren
       Zeit mehr Gerechtigkeit und Frieden zu schaffen.“ Das konterkariere die
       Sicherheitsstrategie der Bundesregierung. Dass die Bundesregierung
       gleichzeitig Steuern für Besserverdienende senken will, sei schwer
       verständlich.
       
       Thema Schuldenbremse ist für die SPD noch nicht ausdiskutiert 
       
       Groß ist auch das Unverständnis darüber, dass FDP und Union weiter so
       strikt an der Schuldenbremse festhalten. Im Vergleich zur SPD hielten sich
       die Grünen während der Verhandlungen jedoch auffällig zurück.
       
       Es waren vor allem die SPD-Fraktion und Fraktionschef Rolf Mützenich, die
       Druck aufgebaut hatten – mit gemeinsamer Erklärung der Parteiflügel, aber
       auch, indem sie den Kanzler drängten, vor der Sommerpause Klarheit zu
       schaffen. Auch das Thema Schuldenbremse ist für die SPD noch nicht
       ausdiskutiert. Im Falle einer Notlage wird man darauf dringen, sie
       auszusetzen. „Dieses Instrument behalte ich mir weiter vor“, so Mützenich.
       Lindner sagte dazu, er sehe dafür keine parlamentarische Mehrheit.
       
       Die Auseinandersetzungen in der Ampel werden weitergehen. Spätestens nach
       der Sommerpause, wenn der Haushalt erstmals im Bundestag debattiert wird.
       „Wir stehen vor schwierigen Haushaltsplanberatungen“, meint
       Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann. Und die EM endet ja schon am
       nächsten Sonntag. Dann wird man auch wieder mehr über Politik sprechen.
       
       5 Jul 2024
       
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