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       # taz.de -- Queer Public Viewing: Peace, Love, Erdnussflips & Schland
       
       > Im Poststadion lädt das „Pride House“ während der EM zum queeren Public
       > Viewing ein. Das läuft weitaus harmonischer ab als auf der Fanmeile.
       
   IMG Bild: Robert Andrich überrascht im Viertelfinale mit pinken Haaren
       
       Berlin taz | Der Weg aus Neukölln an der Fanmeile vorbei zum Moabiter
       Poststadion am Freitagabend ist Sinnbild für die Vielfalt der Stadt: Auf
       der Sonnenallee wird Kufija getragen, in Mitte sind es Deutschlandtrikot,
       Blumenkette und Vuvuzela, und in Moabit weht die Regenbogenflagge.
       Jedenfalls beim „Pride House“, dem queeren Public Viewing im Poststadion
       zwischen Justizvollzugsanstalt und Europacity.
       
       Auch hier sparen die Zuschauer*innen nicht an Schland-Fanartikeln, mit
       den obligatorischen Bratwurst- und Bierständen wirkt es zunächst auch nur
       wie alle anderen Public Viewings. Erst auf den zweiten Blick wird deutlich,
       dass Alkohol nur außerhalb des Veranstaltungsgeländes verkauft wird,
       striktes Rauchverbot herrscht und ein Awarenessteam für das Wohlbefinden
       aller sorgt.
       
       „Alles Teil des maßgeschneiderten Konzepts, das Risiken minimieren soll“,
       sagt Alice Drouin vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Berlin-Brandenburg
       zur taz. Drouin ist Leiterin des Projekts „Pride House Berlin“, das in
       Zusammenarbeit des LSVD mit der von der Senatsverwaltung für Inneres und
       Sport initiierten „AG LSBTIQ+ im Berliner Sport“ entstanden ist. Während
       der EM gibt es hier bei allen Spielen ein kostenloses Viewing.
       
       „Es soll ein Safer Space sein, in dem sich queere Menschen wohlfühlen“,
       sagt Drouin. Die Veranstaltung richtet sich nicht nur an queere Menschen,
       sondern an alle, die sich für ein respektvolles Miteinander einsetzen. Das
       internationale Konzept wird seit über 10 Jahren während
       Sportgroßveranstaltungen durchgeführt. Initiiert wurde es unter anderem, so
       Drouin, „[1][weil es immer noch zu wenig Sichtbarkeit für queere Menschen
       im Sport gibt]“.
       
       ## Pinke Haare und pinke Trikots bei homophoben Fans unerwünscht
       
       Denn entgegen der Behauptung des Moderators beim Spiel am Freitag ist
       Fußball noch lange nicht „mitten in der Gesellschaft angekommen“. [2][Im
       Profifußball haben sich weltweit nur 7 Männer öffentlich als schwul
       geoutet]. Das pinke Nationaltrikot war für viele Fans kaum zu verkraften,
       dass Mittelfeldspieler Robert Andrich am Freitag mit pinken Haaren zum
       Spiel erschien, ein Affront. Beispielhaft die Reaktion des Ex-Torwarts Jens
       Lehmann, der im Fernsehen als „Experte“ fungiert: „Vielleicht fühlt er sich
       heute ja auch als Frau oder so.“ Für eine deutsche Nationalmannschaft, die
       ja die „Elite“ repräsentiere, sei das für seinen Geschmack „ein bisschen zu
       viel“.
       
       Von solchen Aussagen lassen sich die Zuschauer*innen im Poststadion
       nicht irritieren. Es ist kurz vor Anpfiff, während auf der Fanmeile
       Schweiß, Bier (und rechtsextreme Grüße) den Ton angeben, herrscht hier
       Kaffeeklatsch-Stimmung: Es wird freudig geschnattert, Chips und selbst
       gebackene Pizzarollen ausgetauscht, von Anspannung keine Spur. Der Müll
       wird fein säuberlich getrennt, das Awareness-Team sorgt dafür, dass sogar
       vereinzelte provozierende „Vamos España!“-Rufe lächelnd hingenommen werden.
       „Ist wie Picknick, und nebenbei läuft ein Spiel“, sagt ein Besucher.
       
       Dabei geht es um viel: Deutschland ist schon seit acht Jahren nicht mehr
       ins Viertelfinale einer EM gerückt, ein Pflichtspiel gegen Spanien gewann
       „die Mannschaft“ zuletzt vor 36 Jahren. [3][Um mitzufiebern, haben sich auf
       der Fanmeile 70.000 Menschen versammelt], beim drittgrößten Public Viewing
       im Poststadion 1.500 – Maximalkapazität und bislang Rekord, so Drouin.
       Rasch ist Einlassstopp, Drouin wertet es als „vollen Erfolg“.
       
       Gegen Ende kommt noch mal richtig Stimmung auf. Sprechchöre, Trommeln und
       Gesänge erfüllen die Tribüne. Just als die Sonne sich durch die Wolkendecke
       über dem Stadion kämpft, die Erlösung: das Ausgleichstor von Florian Wirtz.
       Nur um kurze Zeit später das vernichtende 2:1 der Spanier mit ansehen zu
       müssen. Manche Dinge sind bei allen Public Viewings gleich: Die
       Enttäuschung ist bitter.
       
       7 Jul 2024
       
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