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       # taz.de -- Bewegungstermine in Berlin: Ausbruch aus dem Fahnenterror
       
       > Überraschung – einen großen Wettkampf der Nationen zu simulieren führt zu
       > Nationalismus. Eine Liste von Aktivitäten, um durchzuhalten.
       
   IMG Bild: Machen keine guten Gefühle: Deutschlandflaggen an Balkonen
       
       Die gute Nachricht zuerst: Das Schlimmste ist vorbei. Deutschland und die
       Türkei sind beide aus der EM rausgeflogen. Man darf hoffen, dass nun auch
       die wandelnden Schwarz-Rot-Gold-Merchstände aufhören, durch die Kieze zu
       stolpern. Dass die nächtlichen Autokorsos verstummen und die
       Nationalflaggen der Verliererteams von den Balkonen geholt werden. Dass es
       schon jetzt etwas besser wird, bevor der ganze Nationalismusspuk in paar
       Wochen wieder aufs Normalniveau abebbt.
       
       Oh ja, liebe Linksliberale im Publikum: Das wird eine Anti-EM-Kolumne.
       Knacksen Sie also schon mal Ihre Finger, um gleich wortreich in den
       Kommentaren das Bedürfnis zu erklären, sich Nationalfarben ins Gesicht zu
       schmieren. Schwarz-Rot-Gold, das sind immerhin die Farben der Republik, des
       Grundgesetzes! Um die muss man doch kämpfen, gerade dagegen, dass sich die
       Rechten diese aneignen! Ein Akt von Verfassungspatriotismus ist es doch,
       sich auf der Fanmeile für „unsere Jungs“ zu besaufen!
       
       Und natürlich sind nicht alle Deutschlandfans Nazis, was auch keine:r
       ernsthaft behauptet hat. Einige Fans sind stabil, wie etwa die Kundschaft
       der „Eck-Kneipe“ am Mariannenplatz vergangenen Freitag bewies, als
       Deutschland gegen Spanien spielte. Während dort die Solidemo für Maja T.
       vorbeizog, ein:e [1][gerade nach nach Ungarn ausgelieferte:r
       Antifaschist:in], echauffierte sich die Polizei mal wieder wegen eines
       Rauchtopfes. Dem begegnete die Kneipe mit lautstarken „Pyrotechnik ist doch
       kein Verbrechen“-Gesängen. Auch bei Antifa-Sprechchören wurde munter
       eingestimmt.
       
       ## Nationalismus raus aus den Köpfen
       
       Ein Zusammenhang zwischen Party-Patriotismus, Nationalismus und
       Fremdenfeindlichkeit ist dennoch [2][wissenschaftlich bewiesen]. Schon die
       WM 2006 – oft als Erwachungsmoment des deutschen Patriotismus gedeutet –
       hat zu einem Anstieg von Nationalismus geführt, wobei dieser laut erwähnter
       Studie ungebrochen mit einer Abwertung von Migrant:innen einherging. Die
       Idee des „toleranten Patriotismus“ bezeichnete der Herausgeber, der
       Soziologe Wilhelm Heitmeyer, einst als [3][„gefährlichen Unsinn, ein Stück
       Volksverdummung“].
       
       Das nationale „Wir“ war eben schon immer eine unreformierbar beschissene
       Idee. Und so ist es kein Wunder, dass die Polizei allein in den ersten zwei
       Tunierwochen [4][laut der „Zeit“] 52 Fälle von „Deutschen den
       Deutschen“-Gesängen registriert hat. Auch [5][österreichische] und
       [6][ungarische] Fans skandierten „Ausländer raus!“, auf X trendete nach
       einem Englandspiel der Hashtag #Inselaffen. Fans der Balkan-Staaten
       signalisierten in Sprechchören ihren Wunsch, [7][sich gegenseitig zu töten
       und ihre jeweiligen Nachbarländer einzuverleiben].
       
       Der türkische Nationalspieler Merih Demiral und etliche Türkeifans zeigen
       öffentlich den faschistischen „Wolfsgruß“ – ein klare Botschaft an all die
       Betroffenen der mörderischen „[8][Grauen Wölfe]“, deren politischer Arm zum
       Regierungsbündnis Erdoğans gehört. Dass die Türkei trotz eines
       [9][unfreiwillig komischen Propagandavideos] der Armee und dem
       Erdoğan-Besuch rausgeflogen ist, es ist noch die schönste Seite dieser
       simulierten Völkerschlacht. Beim Rassismus von AfDlern, denen die
       Nationalelf nicht weiß genug ist (eine Position, die [10][ein Fünftel
       dieses Landes teilt]), verschwindet die kurze Freude allerdings wieder.
       
       ## Termine, um durchzuhalten
       
       Nun ist es allzu verständlich, bei all dem Nationalismus Magenprobleme zu
       bekommen und sich auf der Toilette einzuschließen. Wo aber würde so der
       Geist des sportlichen Wettbewerbs bleiben? Mitmachen ist angesagt,
       wenngleich die Disziplinen autonom gedreht werden müssen. Ein Beispiel:
       Flaggenklauen – eine lustige Beschäftigung, die angesichts des erhöhten
       Alkoholpegel der meisten Fußballfans auch für Anfänger:innen geeignet
       ist. Und bei der VoxKüfa* in der Kadterschmiede gibt es für jede 10
       gestohlenden Flaggen auch noch ein Getränk umsonst! ([11][Mittwoch] und
       [12][Donnerstag], 10. und 11. 7., Rigaer Str. 83, jeweils 20 Uhr)
       
       Sich mit dem positiven Potenzial des Fußballs auseinanderzusetzen ist bei
       der Vorführung des Films [13][„Les Rebelles du Foot – Rebellen am Ball“] im
       K9 (Kinzigstr. 9) möglich. Beim Film des Exkickerstar Eric Cantona geht es
       um fünf Profikicker, die zu Galionsfiguren für politischen Widerstand
       wurden – zum Beispiel der französische Nationalspieler Rachid Mekhloufi,
       der während des Algerienkrieges desertierte und ab 1958 für die Auswahl der
       algerischen Unabhängigkeitsbewegung FLN stürmte. Los geht es am Sonntag
       (14. 7.) um 19 Uhr.
       
       Sich dem Fußball aus feministischer Perspektive zu nähern ist das Anliegen
       des [14][Thesmophoria Theater Kollektivs]. Am Samstag (13. 7., 19 Uhr)
       tritt die Gruppe in der Wagenburg Lohmühle (Lohmühlenstr. 17) auf. Das
       [15][Outdoor-Kabarett mit dem Titel „ANPFIFF!“] tastet sich an Fankultur
       und die Geschichte des Frauenfußballs heran – und das auf Spendenbasis. Die
       Aufführung findet auf Englisch und Deutsch statt.
       
       ## Es gibt Widerstand
       
       Klar sollte in jedem Fall sein: Der Nationalismus wird mit dem Ende der EM
       nicht verschwinden, wie die Flaggen von den Balkonen. Dafür muss schon
       antifaschistischer Widerstand geleistet werden. Einstimmen auf diesen lässt
       es sich am Donnerstag auf einer PunkRock-Lyrik-Lesung mit dem [16][Motto
       „Nazis klatschen“] (weil sie gerade so erfolgreich sind), die für eine
       Antifa-Kundgebung am 17. August im Görlitzer Park mobilisieren will.
       Präsentiert werden Texte und Punktracks aus 100 Jahren antifaschistischer
       Bewegung (Donnerstag, 11. 7., Syndikat, Emser Str. 131, 20 Uhr).
       
       Die so gesammelte Energie in die Tat umsetzen lässt sich gleich am Freitag.
       Da will der Oberfascho Martin Sellner im bürgerlichen Steglitz-Zehlendorf
       seine faschistischen Deportationsfantasien verbreiten. Der Ex-AfDler
       Andreas Wild hat ihn dafür in die sogenannte „Staatsreparatur“ eingeladen,
       ein einschlägig bekannter rechter Verein gelegen im Jungfernstieg 4B nahe
       des S-Bahnhofs Lichtferfelde Ost. Es gibt es [17][Protest von
       Anwohner:innen und antifaschistischen Initiativen] (Freitag, 12. 7., S
       Lichterfelde Ost, 17.30 Uhr).
       
       Gleich am Folgetag (Samstag, 13. 7.) geht es weiter. Da will der
       rechtsextreme Publizist und dessen ebenso rechtsextremes Compact-Magazin in
       Falkensee demonstrieren. Unter dem griffigen Motto [18][„Elsässer, halts
       Maul!“] gibt es eine Gegendemo. Es gilt, das Hinterland zu supporten, wo
       sich die Rechten oft viel zu ungestört fühlen. Dass sich viele Menschen zur
       gemeinsamen Anreise versammeln, ist nach dem schweren Neonaziangriff am
       Ostkreuz vergangenes Wochenende noch einmal wichtiger geworden. Treffpunkt
       ist auf Gleis 2 um 14.05 Uhr. Die Demo in Falkensee beginnt um 15 Uhr.
       
       9 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Auslieferung-von-Antifaschistin/!6018089
   DIR [2] https://www.researchgate.net/publication/344438640_Nationalismus_und_Patriotismus_als_Ursache_von_Gruppenbezogener_Menschenfeindlichkeit
   DIR [3] http://agora.free.de/sofodo/themen/allgem-gesamt/ein-stueck-volksverdummung/
   DIR [4] https://www.zeit.de/entdecken/2024-06/rechtsextremismus-fussball-em-rassismus-europa-sylt-l-amour-toujours
   DIR [5] https://www.dw.com/de/%C3%B6sterreich-fans-sorgen-bei-em-2024-f%C3%BCr-rassismus-eklat/a-69544855
   DIR [6] /Ungarische-Fans-und-Lamour-toujours/!6014865
   DIR [7] https://www.n-tv.de/sport/fussball-em/Bietet-sich-fuer-Extremisten-an-die-haessliche-Fratze-der-EM-in-Deutschland-article25051418.html
   DIR [8] /Viertelfinale-Tuerkei--Niederlande/!6018263
   DIR [9] https://x.com/bpthaber/status/1809557490201243720
   DIR [10] /Rassismus-im-Fussball/!6011761
   DIR [11] https://stressfaktor.squat.net/node/304668
   DIR [12] https://stressfaktor.squat.net/node/303418
   DIR [13] https://stressfaktor.squat.net/node/305607
   DIR [14] https://www.instagram.com/itsthesmo/
   DIR [15] https://stressfaktor.squat.net/node/306128
   DIR [16] https://kontrapolis.info/13463/
   DIR [17] https://stressfaktor.squat.net/node/306498
   DIR [18] https://stressfaktor.squat.net/node/306450
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Timm Kühn
       
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