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       # taz.de -- Sommerserie „Im Schatten“, (1): Fresh durch die Sommerhitze
       
       > Mit der interaktiven Erfrischungskarte können Berliner*innen gezielt
       > schattige Plätze, kühle Trinkbrunnen und erfrischende Ruheorte entdecken.
       
   IMG Bild: Die interaktive Erfrischungskarte zeigt Nutzer*innen kühle und schattige Orte als Schutz vor der Hitze in der Stadt
       
       Berlin taz | Es ist 12 Uhr mittags, und die Sonne knallt. Für diesen Text
       wollen wir eine fiktive Berlinerin begleiten. Sie ist gerade – wegen eines
       am Morgen hektisch gebuchten Termins beim Bürgeramt – am Tempelhofer Damm:
       In einem Teil der Stadt, in dem sie sich nicht gut auskennt. Sie hätte nun
       nach erledigter Beantragung noch Zeit für eine kurze Mittagspause. Und ein
       Blick auf die Berliner Erfrischungskarte verrät ihr: Ganz in der Nähe gibt
       es einen Park mit Sitzbänken.
       
       Ein kleiner Schlenker auf dem Weg zu den Bänken, dann käme sie noch an
       einem Trinkbrunnen vorbei. Im Bürgeramt selbst kann sie noch kurz auf die
       öffentlich zugängliche Toilette, auch die ist in der Karte verzeichnet. Die
       Karte zeigt außerdem, dass der Weg zu dem Trinkbrunnen und den Bänken teils
       schattig sein wird und dass einige der Sitzbänke im Schatten stehen. Und
       sie zeigt, dass die Umgebungsluft in dem kleinen Park wahrscheinlich kühler
       ist als direkt an der Straße. Auch, dass dort möglicherweise eine leichte
       Brise weht, ist ersichtlich.
       
       Die Berliner Erfrischungskarte ist online abrufbar und interaktiv. Sie soll
       ihre Nutzer*innen [1][durch heiße Tage leiten] und ihnen den Weg weisen
       zu „kühlen, windigen oder schattigen Flächen“ in der Stadt. Es geht laut
       Beschreibung um Orte, die „besonders zum Erfrischen und Verweilen im Sommer
       geeignet“ sind. Das können etwa Plätze sein, die in Parks und Grünanlagen
       liegen, Orte, an denen im Vergleich zur Umgebung mehr Wind weht, oder
       Stellen in der Nähe von Flüssen, Kanälen oder Seen, in denen die Luft
       feuchter und kälter ist als in den Straßen mit ihrem aufgeheizten Asphalt
       und Beton. Über eine Art Uhr in der rechten oberen Ecke der Karte lässt
       sich die Tageszeit einstellen, die Karte zeigt dann, wo und wie weit zu der
       Uhrzeit der Schatten fällt. Auch die Infrastruktur spielt eine Rolle: Die
       Karte weist Sitzbänke, Brunnen und Toiletten aus und neuerdings auch kühle
       Innenräume, etwa Kirchen oder Ämter mit dicken Wänden.
       
       „Für die Karte haben wir Daten kombiniert, die die Berliner Verwaltung
       sowieso erhebt“, erklärt Entwicklerin Lisa Stubert. „Über die interaktive
       Anwendung bereiten wir diese Daten auf und machen sie den
       Berliner*innen zugänglich.“ Stubert ist Geoinformatikerin und
       Projektleiterin bei Berlins Open Data Informationsstelle (Odis). Odis
       wiederum der Technologie-Stiftung Berlin. Die Karte haben sie in
       Kooperation mit City Lab Berlin erstellt, einem „Innovationslabor“ der
       Berliner Verwaltung, das sich insbesondere mit Digitalisierung beschäftigt.
       Gefördert werden sei von der Senatskanzlei. Stubert erklärt, wie es zu der
       Karte gekommen ist. „Wir fragen: Welche Daten erhebt das Land? Und wie
       können wir die Daten nutzen, teilen und nach draußen geben?“, sagt sie.
       „Uns geht es darum, dass die Stadtgesellschaft davon profitiert. So können
       die Daten einen Mehrwert bekommen über ihren eigenen Zweck hinaus.“ Die
       Daten für die Erfrischungskarte etwa kommen teilweise aus einem Klimamodell
       von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen. Den
       Schattenfall etwa hat Odis über ein Geländemodell berechnet.
       
       ## Die Stadtgesellschaft soll profitieren
       
       Selbstverständlich ist das alles nicht. Stubert macht auch die Erfahrung,
       dass die Daten teils wie „in Silos“ liegen, wie sie sagt. „Ein Austausch
       ist oft schwierig. Und noch immer ist es so, dass eine Abteilung Daten
       erhebt, von denen andere Verwaltungen gar nichts wissen“, erzählt sie. Ein
       positives Beispiel etwa sei dagegen die [2][Berliner Feuerwehr. Seit Kurzem
       veröffentlicht sie alle ihre Daten zu Einsätzen], zu Fahrzeiten, den
       Leistungen bei Bränden, Unfällen medizinischen Notfällen und
       Katastrophenschutz. „Das ist sehr gut – diese Daten sind nun transparent,
       und sie sind auch für Stadtplaner etwa sehr relevant, weil sie etwas
       darüber aussagen, wie sich die Stadt über die Zeit entwickelt“, sagt
       Stubert. Sie findet: Wenn die Verwaltungen Daten etwa zur Infrastruktur und
       [3][Stadtplanung mehr teilen] würden, wäre das etwa für Politik, Forschung
       und Gesellschaft „sehr spannend“.
       
       Unsere fiktive Person könnte die Karte auch nutzen, wenn sie an einem
       Hochsommerwochenende Besuch von Freunden aus Westdeutschland hat. Nach
       einem Spaziergang unter den Linden wollen sie sich kurz ausruhen, bevor es
       weitergeht Richtung Museumsinsel. Auch hier verrät die Karte, wo es in
       einer Nebenstraße schattige Sitzgelegenheiten oder kühlende Räume gibt.
       Falls Kinder dabei sind und diese quengeln, könnte die Karte den Weg zum
       nächstgelegenen Wasserspielplatz weisen. Unsere Person könnte auch, falls
       sie einen Umzug plant, dank der Karte herausfinden, wann die Küche oder der
       Balkon in der neuen Wohnung Sonne abkriegen. „Nutzer*innen haben uns
       zurückgemeldet, dass sie die Karte auch dafür herangezogen haben“, sagt
       Stubert.
       
       Nicht nur die Zivilgesellschaft, auch die Verwaltung könne von solchen
       Anwendungen profitieren, sagt Stubert. So will der Bezirk Mitte etwa anhand
       der Erfrischungskarte überprüfen, wann wo Schatten fällt, um zu überlegen,
       wo sie neue Parkbänke aufstellt. „Es ist anhand der Daten auch möglich zu
       berechnen, wie sich eine Randbebauung des Tempelhofer Felds auswirken
       könnte“, sagt Stubert. Auch für die Forschung sei die Karte relevant.
       „Darüber ist ersichtlich, wo sich Hitzeinseln stauen und wo
       Frischluftschneisen verlaufen“, sagt sie. „Das hilft auch der Wissenschaft
       bei der Frage, [4][was es für die klimaresiliente Stadt] oder den Umbau
       dahin braucht.“
       
       Wenn Stubert und ihre Mitarbeiter*innen neue Daten erheben wollen,
       fangen sie meistens damit an, dass sie bei Fachämtern anfragen. „Welche
       Daten über die Stadt besitzt ihr, und kann man Daten als Open Data
       herausgeben?“ Einige seien bei solchen Anfragen noch zurückhaltend. „Unsere
       Anliegen bedeuten ja, dass Leute sich mit Abläufen auseinandersetzen
       müssen“, sagt Stubert. Auch wenn das langfristige Ziel ist, Prozesse zu
       vereinfachen und die aufbereiteten Daten später viele Vorteile bringen,
       erfodert es erst mal einen zusätzlichen Einsatz.
       
       ## Für die Forschung sei die Karte relevant
       
       Andere Odis-Projekte sind etwa [5][die Kiezcolours]: eine Karte zur
       Flächengerechtigkeit. Sie zeigt an, wie viel Platz in einer Gegend ist für
       Straßenverkehr, Wohnen, Wirtschaft, Natur, Freizeit oder Wasser. Auch die
       [6][Berliner Badestellenkarte] kommt von Odis. Noch recht neu und auf
       Initiative der Bezirksbibliothek in Pankow entstanden ist eine
       [7][Anwendung zu Büchern, die Berliner*innen ausleihen]. Diese soll
       wahrscheinlich auf ganz Berlin ausgeweitet werden. Auch daraus könnten sich
       wertvolle Rückschlüsse über Bedürfnisse der Menschen in bestimmten Gegenden
       ergeben, sagt Stubert.
       
       Besonders deutlich zeigt sich die Notwendigkeit, Daten zu teilen, bei der
       Barrierefreiheit. Für die von [8][den Sozialhelden erstellte Wheelmap] sind
       Nutzer*innen weltweit aufgerufen, einzutragen, welche Orte mit Rollstuhl
       zugänglich sind. In der Karte sind die Stellen anhand eines Ampelsystems
       markiert. Der Unterschied zu Anwendungen wie der Erfrischungskarte:
       Entwickler*innen und Nutzer*innen haben die Daten selbst eingefügt.
       „Die Verwaltung sollte ja wissen, welche öffentlichen Gebäude barrierefrei
       zugänglich sind“, sagt Stubert, und fordert: „Es wäre gut, wenn sie die
       Daten in den richtigen Formaten auch zur Verfügung stellt, damit Projekte
       wie die Wheelmap diese leicht nutzen können.“
       
       Es wird Abend. Unsere fiktive Berlinerin ist für 20 Uhr mit einer Freundin
       verabredet. Als Treffpunkt hat die Freundin das Südkreuz vorgeschlagen, von
       dort könnten sie in den Park am Priesterweg gehen, den Natur Park
       Südgelände. „Vielleicht kriegen wir da noch ein bisschen Abendsonne ab“,
       schreibt die Freundin.
       
       Es ist die Zeit, zu der die Sonne nicht mehr knallt, sondern angenehm
       samtig wird. Doch unsere fiktive Berlinerin weiß es nach einem Blick auf
       die Erfrischungskarte besser. Um 20 Uhr nämlich liegen die meisten Teile
       der Stadt bereits im Schatten. Jetzt zieht es die Berliner*innen zu den
       Stellen, die am wenigsten von Häusern oder Bäumen umgeben sind. „Für
       Abendsonne müssten wir zum Mauerpark, zum Weinbergspark oder zum
       Tempelhofer Feld“, antwortet sie. „Dann lass uns Feld machen“, schreibt die
       Freundin. Dort fände sich sicher noch eine freie Stelle, die die Abendsonne
       nun in goldenes Licht taucht.
       
       21 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Hitze-im-Sommer/!6011416
   DIR [2] https://www.berliner-feuerwehr.de/service/open-data/
   DIR [3] /Bundesweiter-Hitzeaktionstag/!6012870
   DIR [4] /Folgen-der-Klimakrise/!6005690
   DIR [5] https://kiezcolors.odis-berlin.de/#11.76/52.4655/13.4574
   DIR [6] https://odis-berlin.de/projekte/2019-11-berliner-badestellen/
   DIR [7] https://bibliotheksdaten.odis-berlin.de/
   DIR [8] https://wheelmap.org/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uta Schleiermacher
       
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