URI: 
       # taz.de -- Machtkampf in der AfD Thüringen: Führerprinzip greift nicht mehr
       
       > Björn Höckes Landesvorstand hat zwei Kandidaten für die Landtagswahl
       > gecancelt. Seitdem kracht es – Beteiligte werfen sich Sabotage und
       > Intrigen vor.
       
   IMG Bild: Thüringens AfD-Vorsitzender Björn Höcke
       
       Berlin taz | Es ist ein Lehrstück über autoritäre Machtpolitik: Der
       Thüringer AfD-Chef Björn Höcke hat im Westen Thüringens gezeigt, was er von
       seiner Parteibasis hält, wenn sie nicht nach seiner Pfeife tanzt. Sein
       Landesvorstand hat dort kurzerhand zwei missliebigen Direktkandidaten die
       notwendige Unterschrift verweigert und so dafür gesorgt, dass zwei
       AfD-Politiker im Wartburgkreis [1][nicht zur Landtagswahl im September
       antreten können]. Die Wahlkreise dürften nun an die CDU gehen.
       
       Das mag auf den ersten Blick zwar unlogisch erscheinen, ergibt aber
       wahltaktisch durchaus Sinn für Höcke: Denn der ist zwar die Nummer 1 auf
       der Thüringer AfD-Liste, aber ob ihm das auch einen Platz im Landtag
       sichert, ist nicht hundertprozentig gewiss. Denn angesichts hoher
       Umfragewerte in Thüringen könnte es sein, dass so viele Direktkandidaten
       für die AfD ins Landesparlament einziehen, dass die Landesliste der extrem
       rechten Partei gar nicht erst zieht. Weil Höcke selbst bei vielen
       Wähler*innen vergleichsweise unbeliebt ist, könnte also ausgerechnet der
       Landesvorsitzende in die Röhre gucken. Höcke hatte sogar extra [2][den
       Wahlkreis gewechselt, um bessere Chancen zu haben].
       
       Das Risiko besteht auch für den Zweitplatzierten der Landesliste, den
       Co-Chef des Landesverbands Thüringen, Stefan Möller. Der betrieb ebenfalls
       Wahlkreis-Hopping und wechselte von Erfurt ins ländliche Unstrut-Hainich.
       Würden beide nicht direkt gewählt, müssten in diesem Szenario andere
       Direktkandidat*innen der AfD verzichten.
       
       Mit der verweigerten Unterschrift haben Höcke und Möller nun dafür gesorgt,
       dass schon mal zwei Direktkandidaten weniger für die AfD antreten. Zuvor
       hatten sie bereits mit anderen Mitteln erfolglos versucht, deren
       Nominierung zu verhindern: Höcke und Möller hatten ihre Wahl angefochten
       und sogar vor dem Landesschiedsgericht eine Neuaufstellung erwirkt. Dagegen
       jedoch klagten wiederum die bereits gewählten Direktkandidaten erfolgreich.
       Danach konnten Höcke und Möller nichts mehr gegen ihre Aufstellung machen –
       außer ihre laut Wahlgesetz nötige Unterschrift zu verweigern.
       
       ## Merkel-Vorwurf gegen Höcke
       
       Groß jedenfalls ist nun die innerparteiliche Kritik an Höcke – und zwar
       nicht nur als Grummeln an der Basis, sondern auch beim Wartburger
       Bundestagsabgeordneten Klaus Stöber. Der kritisierte seinen Landeschef
       öffentlich und wütend auf Facebook – ein Kanzlerinnen-Vergleich darf dabei
       natürlich nicht fehlen. Stöber schreibt: „Wer im Stil von Angela Merkel
       eine ordnungsgemäße Wahl rückgängig macht, weil ihm die gewählten
       Kandidaten nicht passen, der hat jede Bodenhaftung verloren und
       disqualifiziert sich nicht nur als Landesvorsitzender, sondern auch als
       möglicher Ministerpräsident!“
       
       Natürlich hat Merkel keine Wahl rückgängig gemacht und ebenso wenig hat
       Höcke derzeit reale Machtoptionen auf das Ministeramt – aber die Kritik
       dürfte in der AfD dennoch verfänglich sein. Höcke habe so die
       Basisdemokratie mit Füßen getreten, schimpft Stöber. Wegen der
       „niederträchtigen Art“ des Vorstands droht er gar mit einem rechtlichen
       Nachspiel. Ebenso fordert Stöber das Eingreifen des Bundesvorstands um
       Alice Weidel und Tino Chrupalla: Der müsse die Reißleine ziehen. Man dürfe
       sich den Erfolg nicht „von Egozentrikern wie Björn Höcke kaputt machen
       lassen“, so Stöber.
       
       Auch er hält den möglichen Misserfolg bei einer Direktkandidatur für das
       Motiv des Landesvorstands. Höcke habe bei der Aufstellungsversammlung
       eigene Kandidaten durchdrücken wollen, wegen des Risikos, dass er und
       Möller nicht in den neuen Landtag einzögen, schreibt Stöber. Der Vorstand
       habe einen „regelrechten Kandidatentourismus organisiert, mit dem Ziel,
       Mitglieder des Landesvorstands inklusive enger Mitarbeiter und Vertrauter
       auf aussichtsreiche Wahlkreise zu verteilen“. Stöber schreibt gar von rund
       einem Dutzend Vertrauten der Landesvorsitzenden, die vom Vorstand verteilt
       worden seien. Das habe nicht nur im Wartburgkreis, sondern auch anderswo
       für Verärgerung gesorgt.
       
       Tatsächlich treten auch enge Mitarbeiter von Höcke und Möller in neuen
       Wahlkreisen an – etwa Höckes rechte Hand und Büroleiter Robert Teske, der
       direkt im Kyffhäuserkreis antritt, wo die AfD bei der Europawahl 35 Prozent
       holte. Genau so viel erhielt die Partei in Sömmerda/Gotha, wo sicher nur
       zufällig Möllers Mitarbeiter Daniel Haseloff antritt. Beide sind stramm
       völkisch.
       
       ## „Seilschaften, Intrigen, Verschwörungen“
       
       Die Antwort von Höcke und Möller ließ nach der Kritik nicht lange auf sich
       warten. Sie verschickten am Samstag ein sperrig formuliertes dreiseitiges
       Mitgliederrundschreiben zu den Vorwürfen von Stöber. Es liegt der taz vor.
       Darin spricht der Vorstand von Falschbehauptungen und sieht trotz des
       gegenteiligen Gerichtsurteils weiter angebliche Formfehler bei der
       Aufstellung. Stöber und den übrigen Beteiligten attestiert er „unfaires und
       intrigantes Vorgehen“ sowie „Seilschaften, Intrigen, Verschwörungen“.
       
       So richtig konkret wird das Schreiben aber nicht: die vom Landesvorstand
       favorisierten Kandidaten seien mit „verdeckten Aktivitäten“ diffamiert und
       demontiert. Es habe eine „Kampagne gegen sämtliche Mitbewerber“ gegeben –
       hinter der wiederum Stöber und einer der Kandidaten gesteckt hätten. Weil
       es dann bei der Aufstellungsversammlung nur drei Minuten Redezeit zur
       Vorstellung gegeben hätte, hätten etwaige Vorwürfe nicht ausgeräumt werden
       können – „die Aufstellungsversammlung verkam zur Farce“, so das
       Rundschreiben.
       
       Der Rundbrief endet mit einer Drohung: Der Landesvorstand werde alle
       Bestrebungen „mit den geeigneten und zur Verfügung stehenden Möglichkeiten“
       bekämpfen, mitten im Wahlkampf öffentliche Konflikte vom Zaun zu brechen,
       „wie es bedauerlicherweise unser Bundestagsabgeordneter Klaus Stöber nun
       getan hat“.
       
       ## Bröckelt Höckes Macht?
       
       Die Episode zeigt, wie angreifbar Höcke momentan ist: Bereits bei den
       Kommunalwahlen vor ein paar Wochen wurde Höcke offen von
       [3][innerparteilicher Konkurrenz heftig kritisiert]. In Saalfeld-Rudolstadt
       hatten ihm die Kandidaten für den Kreistag nicht gepasst. Höcke hatte
       dreimal erfolglos gegen die AfD-Liste geklagt, belegte seine Gegner mit
       Parteiausschlussverfahren und entzog ihnen die Mitgliedsrechte. Danach ließ
       Höcke kurzerhand seine Leute mit einer eigenen Liste gegen die offizielle
       AfD antreten – der „Alternative für den Landkreis“, die mit seinem
       Konterfei warb. Am Ende nahmen sich beide Alternativen gegenseitig die
       Stimmen weg.
       
       Einer der beteiligten, der Landtagsabgeordnete Karlheinz Frosch, ist
       mittlerweile aus der AfD ausgetreten – nicht ohne Höcke dabei als
       „Narzissten“ und „Gernegroß“ zu beschimpfen, der mit demokratischen
       Gepflogenheiten wenig am Hut habe und sich mit „Ja-Sagern“ umgebe, die
       „morgens mit Bier an der Tankstelle stehen“. Der Landesvorstand um Höcke
       ficht [4][die Wahl in Rudolstadt an], der Ausgang ist offen.
       
       Höcke weilt unterdessen im Urlaub. Aber nicht nur deswegen dürfte die
       Quittung für seinen autoritären Führungsstil damit ungelegen kommen. Denn
       obwohl sich sein Lager wegen der anstehenden Landtagswahlen auf dem letzten
       Parteitag sichtlich zusammengerissen hatte, um schwelende Konflikte nicht
       offen auszutragen, wirkte Höcke zuletzt angeschlagen.
       
       Dafür sorgt nicht nur die offene Kritik in Thüringen, sondern zuletzt auch
       öffentlich ausgetragene [5][Konflikte mit Maximilian Krah] sowie dem
       Bundesvorstand. Hinzu kommen die [6][beiden Verurteilungen wegen der
       wiederholten Verwendung einer SA-Parole]. Ein weiterer Prozess wegen
       Volksverhetzung steht Höcke noch bevor.
       
       Der Bundesvorstand um Weidel und Chrupalla indes hielt sich fein heraus.
       Sie wollten sich auf taz-Anfrage nicht zur Angelegenheit äußern.
       
       9 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.wartburgkreis.de/leben-im-wartburgkreis/news-detailseite/landtagswahl-kreiswahlausschuss-hat-ueber-zulassung-der-direktkandidaten-der-wahlkreise-im-wartburgkreis-entschieden
   DIR [2] /Landtagswahl-in-Thueringen/!5994897
   DIR [3] /Rechtsruck-bei-Kommunalwahl-in-Thueringen/!6010295
   DIR [4] https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/ost-thueringen/saalfeld-rudolstadt/afd-kreistagswahl-anfechtung-100.html
   DIR [5] /Streit-nach-Ausschuss-aus-EU-Fraktion/!6017020
   DIR [6] /Zweites-Urteil-gegen-AfD-Politiker/!6017922
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gareth Joswig
       
       ## TAGS
       
   DIR Wahlen in Ostdeutschland 2024
   DIR Schwerpunkt AfD
   DIR Thüringen
   DIR Björn Höcke
   DIR Rechtsextremismus
   DIR GNS
   DIR GNS
   DIR Social-Auswahl
   DIR Wahlen in Ostdeutschland 2024
   DIR Schwerpunkt Europawahl
   DIR Schwerpunkt AfD
   DIR Schwerpunkt AfD
   DIR Schwerpunkt AfD
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Strafanzeige gegen Höcke: Nationalsozialist zitiert
       
       Im Programm der AfD Thüringen steht der Liedtext eines bekennenden
       Nationalsozialisten. Das könnte Volksverhetzung sein.
       
   DIR Machtkampf in AfD Thüringen: Neuer Affront gegen Höcke
       
       Der Machtkampf in der AfD Thüringen eskaliert. Ein Landespolitiker fordert,
       gegen den eigenen Kandidaten zu stimmen. Höcke droht mit Parteiausschluss.
       
   DIR Neue AfD-Fraktion in Brüssel: Rechtsextreme Resterampe
       
       Am Mittwoch hat die AfD im EU-Parlament die Fraktion „Europa der souveränen
       Nationen“ gegründet. Dafür paktiert sie mit rechtsextremen
       Schmuddelkindern.
       
   DIR AfD nach dem Parteitag in Essen: Anti-Melonisierung der AfD
       
       Organisatorisch gleicht sich die AfD den anderen Parteien an.
       Machtpolitisch gesehen ist sie aber zunehmend isoliert.
       
   DIR Zweites Urteil gegen AfD-Politiker: Erneut Geldstrafe für Höcke
       
       Das Landgericht Halle hat Björn Höcke verurteilt, weil er die SA-Parole
       wiederholt hat. Diesmal konnte er nicht behaupten, nichts gewusst zu haben.
       
   DIR Proteste gegen AfD-Bundesparteitag: 70.000 gegen die extrem Rechten
       
       In Essen demonstrieren weit mehr Menschen gegen die AfD, als diese
       Mitglieder hat. Bei ihrem Bundesparteitag herrscht dennoch Disziplin.