URI: 
       # taz.de -- Ladenprojekt in Leipzig: Das bange Warten aufs Geschäft
       
       > Das Ladenprojekt ConHanHop in der Leipziger Eisenbahnstraße ist eines der
       > letzten seiner Art. Es liegt in mittlerweile begehrter Lage. Es ist
       > bedroht.
       
   IMG Bild: Am und ums Haus, die Spuren einer bewegten Zeit
       
       Leipzig taz | Die [1][Eisenbahnstraße in Leipzig] bietet eigentlich zu
       jeder Tageszeit die komplette Reizüberflutung: Motoren heulen auf, Leute
       unterhalten sich laut von einem Gehsteig zum anderen, die Straßenbahn
       kommt. Der verlockende Geruch aus den Imbissen mischt sich mit dem Gestank
       aus Gullys. Mittendrin steht ein altes Haus, das ausschaut, als hätte es
       sich verpuppt.
       
       Es ist eingehüllt in ein weißes feinmaschiges Netz, ähnlich wie
       Fliegengitter. Kämpft man sich unter das Baugerüst, kommt eine weitere
       Schicht des Kokons zum Vorschein: Die unteren zweieinhalb Meter des Hauses
       sind Schicht über Schicht mit Plakaten für Solikonzerte und Demos beklebt,
       wie eine antifaschistische Litfaßsäule. Die Eisenbahnstraße 97, im Viertel
       E97 genannt, beherbergt 9 Mietparteien und dazu das linke Ladenprojekt
       ConHanHop und die Kneipe Goldhorn.
       
       ## Ein Wohnzimmer zur Straße hin
       
       Als die E97 vor mehr als 10 Jahren aus dem Leerstandsschlaf erweckt wurde,
       klebten am Schaufenster noch die Buchstaben eines einstigen
       Secondhand-Shops. Genauer gesagt stand dort: „con han hop“. So wurde der
       Name der Räumlichkeiten geboren, die zuerst dem Haus als Wohnzimmer
       dienten, dann aber immer mehr zur Straße geöffnet wurde, erzählen Rita und
       Nathalie, die in WGs über dem Ladenprojekt wohnen. Heute ist das ConHanHop
       ein öffentlicher Ort und in ganz Leipzig bekannt.
       
       Durch den Eingang kommt man in einen Raum mit zerkratztem Holzboden, in
       einer Ecke ist er von einem ausgetretenen Teppich bedeckt. Dahinter findet
       sich ein kleinerer Raum mit selbstgebauter Theke. Die Wände haben
       Wasserflecken, sind zugestickert und vollgetaggt. An einer Wand steht
       gesprayt: „There is no business like no business“.
       
       Der Spruch ist Programm: „Wir sind unkommerziell und wollen niederschwellig
       zugänglich sein“, sagt Rita. Nathalie ergänzt: „Hier im Viertel treffen
       sehr unterschiedliche Gruppen von Menschen aufeinander. Viele Leute haben
       aber gemeinsam, dass sie nicht so viel Geld haben.“ Alle Veranstaltungen
       finden deshalb auf Spendenbasis statt. „Immer wieder kommen Leute aus der
       Nachbarschaft und sagen, dass es ein großer Verlust für sie wäre, wenn das
       ConHanHop hier rausmüsste“, sagt Rita.
       
       Die Mieter:innen der E97 kämpfen nämlich seit fast einem Jahr für ihr
       Zuhause. Dabei haben sie eigentlich ziemlich günstige Staffelmietverträge,
       festgelegt bis 2040.
       
       Begonnen hat es vergangenen Sommer mit Gerüchten, dass das Haus den
       Eigentümer gewechselt habe. „Unsere günstigen Mieten scheinen dem neuen
       Vermieter ein Dorn im Auge zu sein, er will uns hier rausekeln“, meint
       Nathalie. Rita erklärt, wie die vorteilhaften Mietverträge einst zustande
       kamen: „Jetzt ist die Gegend um die Eisenbahnstraße sehr beliebt. Aber noch
       vor 15 Jahren war es hier wie eine Geisterstadt.“ Damals waren
       Hauseigentümer:innen froh, wenn sie ihre Wohnungen überhaupt
       vermieten konnten.
       
       Die WG, in der wir uns zum Gespräch treffen, hat hohe Decken, die löchrigen
       Wände sind untapeziert. Die Bewohner:innen des Hauses haben sich nach
       dem Einzug 2013 die runtergerockten Wohnungen größtenteils selbst
       zurechtgemacht. Aus den Fenstern sieht man die Straße seit Wochen nur durch
       das weiße Netz am Baugerüst. Informiert über Baumaßnahmen werden die
       Mieter:innen nicht. Aber: „Manche Fenster sind von großen Werbebannern
       komplett verdunkelt“, sagt Rita.
       
       ## Kein warmes Wasser mehr
       
       Im Badezimmer steht ein Wäscheständer in der Wanne, sie wurde seit drei
       Jahren nicht genutzt. Die Fugen sind nicht dicht, das Wasser würde in die
       Wand laufen. Weder der alte noch der neue Vermieter wollte sich darum
       kümmern. Duschen ist in der E97 sowieso gerade ein schwieriges Thema. Seit
       Ende Mai haben die Bewohner:innen des Hauses kein warmes Wasser, kochen
       können sie auch nicht. Die Gasversorgung wurde ohne nachvollziehbaren Grund
       unterbrochen, anscheinend wurde im Keller ein Hauptgashebel umgelegt, nun
       müsste der Vermieter die Leitungen überprüfen lassen. Aber nichts passiert.
       Den Vorwurf eines Einwirkens von Vermieterseite weist diese gegenüber der
       taz zurück.
       
       Nathalie empört sich: „Wir werden hier schikaniert.“ Die Hausgemeinschaft
       ist zunehmend beunruhigt, denn der Hausverwalter, der Bruder des
       Eigentümers, sei cholerisch aufgetreten und baue Bedrohungsszenarien auf.
       
       [2][Wie überall sterben Ladenprojekte auch um die Eisenbahnstraße aus]. Das
       ConHanHop ist eines der letzten im Viertel. Die Kneipe Goldhorn steht
       bereits vor dem Ende. Nach Auslaufen des alten Vertrags war die neue Miete
       zu teuer, im September ist Schluss. Bleibt nur zu hoffen, dass aus dem
       Kokon der E97 nicht dereinst eine schillernde Luxusimmobilie schlüpft.
       
       20 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Eisenbahnstra%C3%9Fe_(Leipzig)
   DIR [2] /Linkes-Pflaster-Connewitz/!5977486
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rosa Budde
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR wochentaz
   DIR Leipzig
   DIR Gentrifizierung
   DIR Linke Szene
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Schwerpunkt Stadtland
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Hitler-Attentat von Stauffenberg 1944: Nachmittags in der Stauffenbergstraße
       
       Am 20. Juli 1944 scheiterte Stauffenberg beim Versuch, Hitler durch eine
       Bombe zu töten. Ein Besuch in der nach ihm benannten Straße in Hamburg.
       
   DIR Ein Tag im Columbiabad Neukölln: Hauptsache, Rutsche
       
       Das Berliner Columbiabad ist mehr als Massenschlägereien. Es ist auch ein
       Ort der Erholung und ein Treffpunkt für sehr verschiedene Menschen.
       
   DIR Bedrohter Punkertreff in Hannover: Wieder mal No future
       
       Die Kopernikus entstand nach den Chaostagen der 90er. Erstaunlicherweise
       gibt es den Treff immer noch, nun droht das Aus für den sehr speziellen
       Ort.