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       # taz.de -- Umgang mit Hitler-Attentätern: Sie haben es gewusst
       
       > 80 Jahre nach dem Attentat dekonstruiert die Historikerin Ruth Hoffmann
       > in ihrem Buch die Instrumentalisierung von Stauffenberg und seinen
       > Mitstreitern.
       
   IMG Bild: 20. Juli 1944: Hermann Göring und Martin Bormann begutachten die Zerstörung in der „Wolfsschanze“
       
       Alljährlich findet im Berliner Bendlerblock eine Gedenkfeier statt, um an
       die Männer zu erinnern, die dort in der Nacht des 20. Juli 1944 als
       Widerstandskämpfer erschossen wurden, darunter General Friedrich Olbricht
       und Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Hinter den Offizieren, die
       Hitler stürzen wollten, so die Autorin Ruth Hoffmann, stand ein breites
       Bündnis aus Militärs und Zivilisten.
       
       Die Hamburger Historikerin Ruth Hoffmann versucht den Mythos
       „Stauffenberg-Attentat“ zu dekonstruieren. Dies gelingt ihr in einer
       anschaulich geschriebenen Darstellung vorzüglich. Dabei geht es ihr nicht
       um das Attentat selbst, auch andere Widerstandsgruppen wie die Weiße Rose
       oder [1][die sogenannte Rote Kapelle] erwähnt sie nur am Rande. Sie
       beschreibt stattdessen detailliert, wie der 20. Juli nach dem Krieg
       „verklärt und politisch instrumentalisiert“ wurde.
       
       Nach 1945 vergingen zunächst viele Jahre, bis die Verschwörer als
       Widerstandskämpfer überhaupt anerkannt und geehrt wurden, weil der 20. Juli
       „immer ein schwieriges Datum und ein Stachel im Fleisch deutscher
       Selbstgewissheit war – weil er das Märchen vom verführten Volk entlarvte,
       das von nichts gewusst habe“.
       
       Mit zunehmender zeitlicher Distanz zum Nationalsozialismus erschienen die
       Widerständler, allen voran Graf Stauffenberg, in einem hellen Licht, sie
       verkörperten nunmehr das „andere Deutschland“, ihr Handeln galt als
       „Aufstand des Gewissens“. Dabei waren viele Militärs, auch Stauffenberg,
       zunächst überzeugte Nationalsozialisten gewesen.
       
       ## Mitläufer in Amt und Würden
       
       Während Ruth Hoffmann den Umgang der Ostdeutschen mit dem
       nationalsozialistischen Erbe nur am Rande erwähnt, beleuchtet sie
       ausführlich die Entwicklung im Westen, [2][wo der Widerstand von
       Kommunisten und Sozialisten, Gewerkschaftern und Deserteuren missachtet und
       diffamiert wurde]. Zugleich kamen Träger und Mitläufer des NS-Regimes
       wieder in Amt und Würden.
       
       Ein Fall unter vielen: „Marion Freisler bekam ihre Rente schon seit 1955 –
       die der Witwe eines Staatssekretärs wohlgemerkt, denn als solcher war ihr
       Mann im Reichsjustizministerium tätig gewesen, bevor er Präsident des
       Volksgerichtshofes wurde. Ab 1974 konnte sie sich über eine deutliche
       Rentenerhöhung als ‚Schadensausgleich‘ freuen, die ihr das Versorgungsamt
       mit dem Argument gewährte, ihr Mann hätte nach dem Krieg in der
       Privatwirtschaft Karriere machen können.“
       
       Überlebende NS-Opfer mussten dagegen jahrelang um Renten und Entschädigung
       kämpfen, zum Teil vergeblich. Ein weiteres Beispiel, das Ruth Hoffmann in
       ihrer lesenswerten Darstellung anführt: Im Berliner Bendlerblock, dem Sitz
       der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, dort, wo unter anderen Stauffenberg
       erschossen wurde, steht seit 1953 die überlebensgroße Bronzestatue eines an
       den Händen gefesselten nackten Mannes, ein Werk des Künstlers Richard
       Scheibe.
       
       Nach 1933 war er regelmäßig auf NS-Kunstausstellungen präsent, Hitler und
       Goebbels kauften seine Werke, der Propagandaminister setzte ihn auf die
       Liste der sogenannten gottbegnadeten Künstler, aber bereits 1953 erhielt er
       das Große Bundesverdienstkreuz. Eine deutsche Karriere.
       
       ## Breites Bündnis
       
       In ihrem Buch verweist Ruth Hoffmann gegen Ende auf einen Aspekt, der ihr
       bedeutsam erscheint: Im Kampf gegen das NS-Regime strebten die Verschwörer
       des 20. Juli ein breites Bündnis an. Menschen mit sehr unterschiedlichen
       Einstellungen – Konservative und Kommunisten, Militärs und Pazifisten,
       Christen und Gewerkschafter – stellten für ein gemeinsames Ziel ihre
       Differenzen zurück.
       
       Die Bereitschaft zu Toleranz und Kompromiss, so Hoffmanns Fazit, könnte
       angesichts zunehmender rechtsextremer Tendenzen ein Beispiel für heute
       sein.
       
       20 Jul 2024
       
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