URI: 
       # taz.de -- Soziale Folgen der Klimapolitik: „Wir planen für alle“
       
       > Haushalte mit niedrigen Einkommen bräuchten mehr finanzielle Hilfen für
       > Klima-Maßnahmen, sagt Ines Verspohl vom neuen Institut für
       > Klimasozialpolitik.
       
   IMG Bild: Eingeschneite Häuser in Frechen bei Köln. Nicht jeder Mensch mit Wohneigentum kann sich eine energetische Sanierung leisten
       
       taz: Klimapolitik ist eine teure Angelegenheit, nicht nur für den Staat,
       sondern auch für die Bürger*innen. Richtig, Frau Verspohl? 
       
       Ines Verspohl: Die Klimapolitik kostet die Privathaushalte und Unternehmen
       einerseits deshalb Geld, weil der Kohlendioxidpreis auf den Marktpreis
       fossiler Energie aufgeschlagen wird. Andererseits müssen die Bürger, die
       Firmen und der Staat die Investitionen für die Umstellung auf klimaneutrale
       Energie finanzieren. Keine Klimapolitik zu machen wäre aber ebenfalls teuer
       – etwa wegen der zu erwartenden Umwelt- und Gesundheitsschäden.
       
       Der Preis für Kohle, Öl und Gas wird permanent zunehmen – so will es die
       Bundesregierung. Eine gute Idee? 
       
       Die Bundesregierung plant, den Kohlendioxidpreis von heute 45 Euro pro
       Tonne auf maximal 65 Euro 2026 anzuheben. Wie es danach weitergeht, wissen
       wir nicht. Diese Unsicherheit ist ein Riesenproblem für die Haushalte. Die
       fragen sich, ob es langfristig günstiger ist, eine Wärmepumpe einzubauen
       oder eine Gasheizung.
       
       Die Tendenz scheint klar: Fossile Energie, die wir heute noch alle
       brauchen, wird massiv teurer. 
       
       Wenn der CO₂-Preis ab 2027 in ganz Europa eingeführt wird, soll ihn der
       freie Markt bestimmen. Für die vermutliche Höhe gibt es verschiedene
       Szenarien. Sie liegen zwischen 45 und 300 Euro pro Tonne. Letzteres wäre
       für Haushalte, die dann noch fossil heizen müssen, eine zu große Belastung.
       Deshalb sollte die Politik heute dafür sorgen, dass die Leute in zehn
       Jahren kein Gas mehr brauchen. Wir müssen allen Privathaushalten
       ermöglichen, von den fossilen Energien wegzukommen.
       
       Sie haben das private Institut Zukunft KlimaSozial gegründet. Warum ist das
       nötig? 
       
       Wir wollen die Politik in dem Sinne beraten, dass sie Klimapolitik und
       Sozialpolitik zusammendenkt. Heute passiert das noch zu wenig. Es geht
       unter anderem darum, wie sich die sozialen Folgen der Klimapolitik abfedern
       lassen.
       
       In Frankreich erhalten Besitzer*innen von Wohneigentum bis zu 90
       Prozent der Kosten der Energiesanierung als Zuschuss vom Staat. Ist das
       nicht eine übertriebene Großzügigkeit? 
       
       Das ist eine politische Antwort darauf, dass manche Haushalte kaum Geld auf
       dem Konto haben und gleichzeitig nur niedrige Einkommen oder Renten.
       Deshalb können sie die Energiesanierung ihrer Immobilien – Dämmung der
       Fassaden, neue Fenster und Heizungen – nicht selbst bezahlen. Hierzulande
       war das eine Motivation für den öffentlichen Aufschrei gegen das
       Heizungsgesetz im vergangenen Jahr. Denn 26 Prozent aller armutsgefährdeten
       Personen in Deutschland leben in Häusern oder Wohnungen, die ihnen selbst
       gehören. Wenn wir wollen, dass diese Leute ihr Eigentum sanieren und nicht
       irgendwann 300 Euro CO₂-Preis zahlen, müssen wir sie unterstützen. Aber die
       Bedingungen in Deutschland und Frankreich unterscheiden sich. Eine
       90-Prozent-Förderung für Hausbesitzer wäre in dieser Höhe hierzulande nicht
       angemessen. Schließlich wohnt die Hälfte der Bundesbevölkerung zur Miete
       und kann nicht selbst entscheiden, ob und wie das Haus saniert wird. Für
       Mieter ist daher ebenfalls eine spezielle Förderung erforderlich.
       
       Welche Bevölkerungsgruppen sind außerdem von steigenden Energiekosten
       betroffen? 
       
       Es geht auch um diejenigen, die ihre Autos weiter brauchen, weil das
       Angebot des öffentlichen Nahverkehrs zu gering ausfällt. Wir beim Institut
       planen für alle Bevölkerungsgruppen mit unteren und mittleren Einkommen.
       
       In Frankreich gab es vorübergehend eine besondere Förderung für
       Elektroautos. Für wen galt diese und wie sah sie genau aus? 
       
       Die Idee war, dass Leute mit wenig Einkommen und langen Pendelwegen zur
       Arbeit ein E-Auto vergünstigt leasen konnten. Die Kosten betrugen nur 50
       bis 150 Euro monatlich, der Staat übernahm den Rest. So half die
       französische Regierung ihren Bürgern, von Benzin auf Strom zu wechseln und
       den Absatz von kleinen Elektrofahrzeugen aus heimischer Produktion zu
       erhöhen. Allerdings wurde das Programm wegen unerwartet hoher Nachfrage
       zunächst gestoppt.
       
       Österreich bietet Pendlerinnen und Pendlern ebenfalls eine außergewöhnliche
       Förderung an. 
       
       Wer in abgelegenen Gegenden ohne ausreichenden öffentlichen Nahverkehr
       wohnt, erhält einen höheren Klimabonus. Der geht grundsätzlich an alle, um
       der Bevölkerung die Einnahmen aus dem dortigen CO₂-Preis zurückzuerstatten.
       
       Haben wir in Deutschland ähnliche Programme, die nach sozialen Lagen
       unterscheiden? 
       
       Bisher bloß in einem Fall: Wer weniger als 40.000 Euro zu versteuerndes
       Einkommen hat, das entspricht ungefähr dem Durchschnittseinkommen für zwei
       Vollzeitjobs, bekommt einen höheren Zuschuss beim Austausch der Heizung.
       
       Sie argumentieren: Das Klimageld, das hierzulande gefordert, diskutiert und
       vorbereitet wird, reiche nicht. Warum? 
       
       Das Klimageld ist dafür gedacht, die finanziellen Belastungen
       auszugleichen, die den Privathaushalten durch den CO₂-Preis entstehen. Es
       würde aber zu gering ausfallen, als dass man sich damit eine Wärmepumpe
       kaufen könnte. Um die Investitionen in klimafreundliche Heizsysteme und
       Fahrzeuge zu ermöglichen, sind zusätzliche Instrumente der
       Klimasozialpolitik nötig.
       
       Und woher sollen die Mittel kommen, mit denen der Staat das alles bezahlt? 
       
       Die Haushalte werden sich an den Investitionen beteiligen müssen. Was den
       Staat betrifft, haben wir bisher keinen Vorschlag formuliert. Grundsätzlich
       gäbe es aber die Möglichkeit, solche Ausgaben mit einer höheren
       Staatsverschuldung zu finanzieren. Ein zweiter Weg bestünde darin, höhere
       Steuern beispielsweise auf Erbschaften und Vermögen zu erheben. Das ist
       eine politische Entscheidung – ebenso wie der Verzicht auf eine zusätzliche
       Klimasozialpolitik. Dann aber müssten die Haushalte alles selbst bezahlen –
       in Gestalt der hohen CO₂-Preise, der Investitionen und auch der Schäden,
       die durch die unterlassene Klimapolitik entstehen.
       
       22 Jul 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hannes Koch
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Soziale Gerechtigkeit
   DIR Energie
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Österreich
   DIR Robert Habeck
   DIR Steuerpolitik
   DIR Bosch
   DIR US-Wahl 2024
   DIR CDU
   DIR Schwerpunkt Klimaproteste
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Förderung klimafreundlicher Heizungen: Neuer Antragsschub erwartet
       
       Die Zahl der Anträge für Zuschüsse beim Einbau klimafreundlicher Heizungen
       zieht an. Ab sofort sind alle Eigentümer:innen förderberechtigt.
       
   DIR EU-Klimaziele: Österreich hat seinen Klimaplan
       
       Weniger Vorteile für Dienstautos, mehr Wärmepumpen und unterirdisches
       Verpressen von Treibhausgas: So will Österreich die EU-Klimaziele
       erreichen.
       
   DIR Robert Habeck wirbt für Wärmepumpen: Auf Pumpentour
       
       Weil der Absatz von Wärmepumpen sinkt, sind Jobs und Energiewende in
       Gefahr. Wirtschaftsminister Robert Habeck will mit Vorurteilen aufräumen.
       
   DIR Klimagerechte Steuern: Schon 30 Jahre zu spät
       
       Ökonomen mahnen: Der Staat hätte längst steuerpolitisch für den Klimaschutz
       tätig werden müssen. Doch das Klimageld lässt weiter auf sich warten.
       
   DIR Bosch setzt auf Klimatechnik: Weltweit führende Marktposition
       
       Das Traditionsunternehmen kauft das Heiz- und Kühlgeschäft des US-Konzerns
       Johnson Controls. Das ist die größte Übernahme der Firmengeschichte.
       
   DIR US-Wahl und die Klimafolgen: Stoppen kann Trump die Wende nicht
       
       Gewinnt Trump die US-Wahl, könnte das dramatische Folgen für die
       Klimapolitik haben. Auch die Rivalität mit China könnte weiter zunehmen.
       
   DIR CDU-Politiker über Sozialpolitik: „CDU wählen nicht die Reichsten“
       
       Karl-Josef Laumann, ist Vorsitzender des Sozialflügels der CDU. Ein
       Gespräch über Bürgergeld, Rente und darüber, ob die CDU eine soziale Partei
       ist.
       
   DIR Harte Strafen für Klimaprotest: Britische Aktivisten müssen in Haft
       
       Die bisher längsten Haftstrafen für friedlichen Protest: Britische
       Klimaaktivist*innen müssen für bis zu fünf Jahre ins Gefängnis.