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       # taz.de -- Selbstbedienung im Amt: Der Betrüger ist immer der Gärtner
       
       > Im Grünflächenamt Hannover soll im großen Stil betrogen worden sein.
       > Jetzt beginnt die Suche nach Schuldigen und Blockwarten.
       
   IMG Bild: Tankkarten, Materialien, Arbeitsgeräte: Die Mitarbeiter haben wohl nicht nur im öffentlichen Raum großzügig gedüngt und gegossen
       
       Der Nachbar fuchtelt mit seinem Stock einem Kleinlaster hinterher: „Da!“,
       schnauft er. „Auch so Kleptomanen!“ „Die vom Grünflächenamt?“, frage ich.
       „Ja! Haste auch gelesen, 'ne?“
       
       Vor ein paar Tagen hatte die Hannoversche Allgemeine Zeitung berichtet,
       dass es beim Grünflächenamt der Stadt Hannover offenbar ein Problem gibt:
       An mehreren Standorten sollen sich Mitarbeiter großzügig an Tankkarten,
       Fahrzeugen, Gerätschaften und Materialien bedient haben.
       
       Das gab dann wohl eine Krisensitzung auf Leitungsebene, in der über das
       weitere Vorgehen und bessere Kontrollen beratschlagt wurde. Letztere
       wiederum finden nun einzelne Mitarbeiter unangenehm, die sich selbst gar
       nichts zuschulden kommen lassen haben.
       
       Und zwar so unangenehm, dass sie sich – so steht es jedenfalls in dem
       Bericht – mit dem Protokoll dieser Krisensitzung an die Zeitung gewandt und
       die Sache damit erst öffentlich gemacht haben. Eine zumindest mal
       interessante Strategie.
       
       ## Es fängt ganz harmlos an
       
       Die SPD-Ratsfraktion hat dazu jedenfalls gleich eine Pressemitteilung
       rausgeschoben, in der sie fordert, die – höchstwahrscheinlich auch
       strafrechtlich relevanten – Vorwürfe konsequent aufzuklären, aber bitte
       ohne städtische Beschäftigte unter Generalverdacht zu stellen.
       
       Aber in der Partei weiß man natürlich auch ziemlich genau, wie sich das
       anfühlt. Ohne die Selbstbedienungsmentalität unter gewissen Spitzenkräften
       [1][würde man ja vielleicht immer noch den Oberbürgermeister stellen].
       
       Jetzt sind ja noch gar nicht genug Details bekannt, um sich ein klares Bild
       zu machen, das wird wohl noch ein Weilchen dauern. Was ich faszinierend
       finde: Es gibt solche Geschichten ja tausendfach. [2][Bauhöfe und
       Grünflächenämter sind dafür anfällig, aber mit dem Problem längst nicht
       allein.]
       
       Das ist doch organisationspsychologisch hochinteressant. Was braucht es
       eigentlich um so ein System zum Kippen zu bringen? Es fängt ja meist ganz
       harmlos an: Klar, kannst du dir den Laster für den Umzug deiner Tochter
       ausleihen. Oder den Rüttler, um daheim die Garagenauffahrt zu machen. Steht
       doch am Wochenende eh nur herum, das Zeug.
       
       Und irgendwann zieht es dann Kreise. Aus Gefälligkeiten für Nachbarn,
       Freunde und Bekannte wird ein kleiner Nebenerwerb, aus Tätigkeiten am
       Wochenende welche, die Arbeitszeit in Anspruch nehmen, aus den Bestellungen
       für den Betrieb fallen ein paar in den eigenen Kofferraum …
       
       ## Wie viele Gierschlünde braucht man, bis es kippt?
       
       Irgendwann kommt immer mindestens einer, der den Hals nie voll kriegt.
       Merkt doch keiner, machen die anderen doch auch, tut doch keinem weh,
       dieser Laden hat es ja. Und dann nimmt das Ganze Ausmaße an, die zu
       Krisensitzungen führen. Und zu umständlichen Kontrollmaßnahmen, die
       Dutzende von Arbeitsstunden kosten.
       
       Wie viele Gierschlünde braucht man, bis es kippt? Wie muss ein Laden
       ticken, dass die soziale Kontrolle versagt, dass Kollegen sich gegenseitig
       hochschaukeln, statt sich im Zaum zu halten? Oder frage ich mich das bloß,
       weil es in meinem Job allenfalls Kugelschreiber und Druckerpapier zu klauen
       gibt, die Versuchung also nicht so wahnsinnig groß ist?
       
       Mein Nachbar hat allerdings noch ein anderes Problem. In dem
       durchgestochenen Protokoll ist von einer „Kronzeugenregelung“ die Rede.
       „Mann, das ist das Grünflächenamt und nicht die Mafia!“, echauffiert er
       sich, „das ist doch deren verdammte Pflicht, das anzuzeigen, wenn das nicht
       korrekt läuft!“
       
       Mir ist da ja etwas anderes sauer aufgestoßen. Da wird über eine neue
       Aufsichtsebene „in Anlehnung an 'Blockwarte’ der neuen Bundesländer“
       nachgedacht, heißt es in dem Text. Das soll wohl ein Zitat aus dem
       Sitzungsprotokoll sein.
       
       Rätselhaft. Kommen Blockwarte nicht eigentlich aus der Nazi-Zeit? Aber mit
       „neue Bundesländer“ kann ja auch nicht die DDR gemeint sein. Geht es hier
       um die nicht mehr ganz so neuen Bundesländer, in die wir die Alt-Nazis
       verklappt haben? Seltsam alles. Da wird wohl noch eine Menge aufzuklären
       sein.
       
       28 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Rathausaffaere/!t5591930
   DIR [2] https://www.transparency.de/publikationen/detail/article/was-ist-alltagskorruption
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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