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       # taz.de -- Die Kunst der Woche: Nicht in Schönheit zu sterben
       
       > Ellen Berkenblits kecke Frauen bei CFA, Gallis ungestüme Malerei im
       > Palais Populaire und Ikonen der Zeitgeschichte im Volkswagen Forum.
       
   IMG Bild: Kecke Nasen: Ellen Berkenblit bei CFA, Installationsansicht
       
       Ein weiblicher Akt hält triumphierend seinen abgetrennten Kopf in die Höhe,
       das ist vielleicht besonders krass, aber es gibt auch abgeschlagene Hände
       und Hufe, die auf dem Boden liegen, durchbohrte, aufgespießte Körper und
       abgetrennte Arme.
       
       Es geht grausam zu, in den Zeichnungen und Gemälden von Galli. Aber nicht
       nur. Es gibt auch leidenschaftliche Umarmungen, so innig, dass die Körper
       miteinander verschmelzen, wunderbare Tiere und fantastische Fabelwesen,
       wobei die einen von den anderen oft kaum zu unterscheiden sind, und Pilze,
       vor allem aber Hocker, auch zu den lebendigen Wesen zählen.
       
       Es braucht die Grausamkeit, die mit der entschiedenen Geste korrespondiert,
       mit der die Künstlerin ihre Figuren und ihre Farben auf die Leinwand setzt.
       Denn Bilder können wie Galli sagt, „entsetzlich schön“, also perfekt sein –
       und dagegen muss etwas getan werden. Für Anna-Gabriele Müller wie Galli mit
       bürgerlichem Namen heißt, ist Kunst eine viel zu vitale Angelegenheit, um
       in Schönheit zu sterben – oder in Schrecken. Die Malerei hält alle Mittel
       bereit, auf des Messers Schneide zu agieren.
       
       „Je schräger die Farbgebung ist, umso reizvoller ist es … sporadisch geht
       das in Geschmacklosigkeit über“, wird sie an der Wand im Palais Populaire
       zitiert. Dort ehrt die Kunstabteilung der Deutschen Bank die in diesem Jahr
       80 Jahre alt gewordene Künstlerin mit der Ausstellung „[1][Seht zu, wie ihr
       zurechtkommt].“
       
       Die im Saarland geborene Galli kam 1969 zum Studium an die HdK nach Berlin.
       Schon in dieser Zeit entwickelte sie ihren expressiven, ungestümen
       Malerstil, mit dem sie später zu den Neuen Wilden gezählt wurde, deren
       rasanter Aufstieg Ende der 70er Jahre mit ihren ersten Ausstellungen und
       Erfolgen zusammenfiel.
       
       Dann wurde sie aber, wie bei Künstlerinnen die Regel, vergessen. Um im
       hohen Alter als Pionierin auf ganz eigenen Wegen erkannt zu werden, Maria
       Lassnig viel näherstehend als Rainer Fettig oder Salomé. Oft wird die
       radikale Körperlichkeit ihrer Figuren mit ihrer Kleinwüchsigkeit in
       Verbindung gebracht, wozu sie sagt: „Das ist klar, aber es ist zu kurz
       gegriffen, wenn man es zu sehr auf die Kleinwüchsigkeit bezieht. Der Körper
       als Schlachtfeld, das betrifft jeden.“
       
       Und wie man in einem ihrer von Videos begleiteten Künstlerbüchern sehen
       kann, skizziert Galli eben auch das genüssliche Wannenbad. Allein die
       laufende Waschmaschine und der beladene Wäscheständer wären in
       feministischer Lesart als eine erweiterte Kampfzone auszumachen. Gallis
       Kunst ist vielschichtig, das zeigt die zentrale Arbeit der Ausstellung. Auf
       den rund 80 „Index Cards“ (2002–06), Karteikarten mit Zeichnungen auf der
       Vorder- und Rückseite, erhält dieser häusliche Alltag künstlerische Größe
       und aus den blutigen Fragmenten erwächst die Zärtlichkeit der Farben und
       der Zauber der Dinge (bis 7. Oktober, [2][Palais Populaire], unter den
       Linden 5, Mi-Mo11-18 Uhr, Do 11-21 Uhr).
       
       Junge Frauen mit kecken Nasen bevölkern die Leinwände von Ellen Berkenblit,
       [3][deren erste Einzelausstellung in Deutschland bei CFA läuft]. Oft
       bewegen sie sich in die eine Richtung, schauen aber in die andere. Was für
       eine geniale Zustandsbeschreibung! Die jungen Frauen, jungen Mütter und
       Mädchen, die neben der spitzen Nase durch große, schwarz umrandete
       Kulleraugen und einen winzigen, gerne skeptisch geschürzten Strichmund
       charakterisier sind, sie sind hin- und hergerissen, unsicher und zugleich
       neugierig auf das Leben und offen für die Welt.
       
       Sie schauen und sie staunen. So wie das rothaarige Mädchen, das in „Moon
       Garden“ (2024) andächtig zum Vollmond aufschaut, der hochromantisch hinter
       schmalen Wolkenbändern hervorlugt, während sich am linken Bildrand eine
       riesige Katze mit entsprechend riesigen Augen anschleicht.
       
       Und auch wir schauen und staunen. Wie Berkenblit mit wenigen Linien und
       Farben ein ganzes Repertoire von Affekten sichtbar macht: Verwunderung,
       Belustigung, Ratlosigkeit, Andacht oder Verärgerung. Dass ihre Bilder den
       Charme alter Cartoons haben, es fällt einem Charlie Brown und sein
       gekringelter Mund ein, liegt an dieser Evokation von Gefühlen, nicht an der
       Stereotypisierung ihrer Figuren.
       
       Berkenblits Dramaturgie der malerischen Mittel ist großartig. Man muss es
       sehen, wie sie die Farben setzt, wie sie etwa in „Time Outside“ (2023) die
       über die Schulter fallenden Haare mit quer liegenden Rechtecken ausstattet,
       wie sie der Goldkette der Mutter mit ein wenig Weiß einen Glanz verleiht,
       wie wir ihn von den alten Meistern kennen; wie sie mit dem Maßstab spielt
       und ihre Stubentiger in einer Vergrößerung zeigt als wären sie wirkliche
       welche.
       
       Und dann, wenn man nahe an die Bilder herantritt, entdeckt man die
       abstrakte Komposition. Die Figur verschwindet, die mögliche Erzählung, und
       es bleibt die faszinierende Sprache der Farben (bis 30. August,
       [4][Contemporary Fine Arts], Grolmanstr. 32/33, Mo-Fr 10-18 Uhr, Sa 11-17
       Uhr). 
       
       Ein Tipp noch am Rande. Wer an heißen Tagen Unter den Linden unterwegs ist
       und Abkühlung sucht, sollte sich ins gut klimatisierte Volkswagen Forum
       begeben. Dort wird er oder sie zudem von der Ausstellung „[5][ICONIC – A
       Timeless Journey of Culture, Society and Mobilität]“ angenehm überrascht
       sein. Gezeigt werden, wie der Titel schon besagt, Ikonen der Zeitgeschichte
       von 1950 bis heute, also legendäre Autos im Kontext nicht minder legendärer
       Produkte aus Musik, Mode, Kunst, Design und Architektur. Die Auswahl ist
       dem Begriff der Ikone entsprechend klein, aber fein, schließlich gibt es
       Ikonen ja nicht wie Sand am Meer.
       
       Vor allem aber überzeugt das Ausstellungsdesign. Betritt man das Drive, wie
       das Forum genannt wird, von der Friedrichstraße aus, wird der Blick und
       letztlich auch die Bewegung durch eine in schönster 70er-Jahre-Pop-Art
       gestaltete Röhre direkt auf den ersten VW-Bus gelenkt. Das Pathos der
       Situation rührt ganz klar von der Erinnerung an den Kirchenraum und seiner
       Blickführung auf den Hochaltar her. Seitlich dieses Parcours finden sich
       weitere Ausstellungskabinette mit den jeweiligen profanen Heiligtümern
       eines Jahrzehnts.
       
       Setzt man sich in eines der offenen, stoffbespannten, U-förmigen
       Wandelemente, hört man die Playlist der Zeit und findet dann beispielsweise
       neben dem knallgelben Lamborghini Countach die 1972 von Richrad Sapper
       entorfene Schreibtischlampe Tizio, den 1974 entstandenen Zauberwürfel von
       Ernō Rubik, die Polaroid SX-70 Sofortkamera und schließlich das perfekte
       Modell der Oper von Sidney des dänischen Architekten Jørn Utzon, mit
       Hingabe gebaut von der VW-Modellbauwerkstatt. Das Schönste (jedenfalls für
       mich) ist der Bildschirm, auf dem der Rumble in the Jungle, also der Kampf
       zwischen Muhammad Ali und George Foreman am 30. Oktober 1974 in Kinshasa
       läuft.
       
       Ja, es lässt sich unser heutiges Lebensgefühl ganz gut aus diesen
       vergangenen gestalterischen Leitideen und folgenreichen zeitgeschichtlichen
       Ereignissen in Kunst und Kultur ableiten. Unsere anhaltende Faszination für
       das Auto und unsere Probleme mit ihm und unserer erdölbasierten
       Industriegesellschaft. Das zeigen nicht zuletzt die immer seltener
       werdenden Ikonen und ihr immer weniger gegenständliches Design. Ganz kühl,
       vielleicht sogar cool, wird es dann am Ende im interaktiven multimedialen
       „Icon’s World“-Raum, der einen Blick in die Zukunft wirft ([6][DRIVE.
       Volkswagen Group Forum], Friedrichstr. 84, Mo–So 10–19 Uhr).
       
       24 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.photo-files.de/db-palaispopulaire/index.php?id=1539#c1417
   DIR [2] https://palaispopulaire.db.com/exhibitions/current-exhibition/galli-see-how-you-get-on
   DIR [3] https://cfa-gallery.com/exhibitions/flugelhorns/
   DIR [4] https://cfa-gallery.com/exhibitions/flugelhorns/
   DIR [5] https://drive-volkswagen-group.com/de/ausstellung/copy-iconic-1/
   DIR [6] https://drive-volkswagen-group.com/de/ausstellung/copy-iconic-1/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Brigitte Werneburg
       
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