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       # taz.de -- Labour-Partei in Großbritannien: Linker Aufstand gegen Starmer
       
       > Sieben Labour-Abgeordnete fliegen aus der Fraktion, weil sie gegen die
       > Regierung stimmten. Die Linke außerhalb Labours ist begeistert.
       
   IMG Bild: Nun Hinterbänkler: Jeremy Corbyn und Rebecca Long-Bailey
       
       Berlin taz | Großbritanniens neuer Premierminister Keir Starmer hat die
       erste parlamentarische Revolte in seiner Labour-Partei seit der
       Regierungsübernahme mit unüblich harten Mitteln niedergeschlagen. Am späten
       Dienstagabend suspendierte Starmer sieben Abgeordnete aus der
       Labour-Fraktion im Unterhaus. Sie hatten dafür gestimmt, die geltende
       Deckelung der Kindergrundsicherung auf zwei Kinder aufzuheben.
       
       In Großbritannien ist seit 2017 der Bezug von Kindergrundsicherung [1][im
       Rahmen von Sozialhilfe] sowie die Inanspruchnahme von Kinderfreibeträgen
       auf zwei Kinder begrenzt. Die Regierung spart damit umgerechnet vier
       Milliarden Euro im Jahr.
       
       Nicht betroffen ist das wöchentlich ausgezahlte Kindergeld.
       Sozialhilfeverbände fordern dennoch die [2][Rücknahme der Deckelung als
       Maßnahme gegen Kinderarmut]. Jahrelang tat das auch die Labour-Opposition –
       im Wahlkampf 2024 ließ Labour diese Forderung jedoch fallen, zum Ärger des
       linken Parteiflügels.
       
       Die oppositionelle SNP (Schottische Nationalpartei) sah in diesem Thema nun
       einen Hebel, um die neue Regierung vorzuführen. In der üblicherweise rein
       symbolischen Parlamentsabstimmung zur Billigung der königlichen
       Regierungserklärung von vergangener Woche brachte sie einen Änderungsantrag
       ein, wonach die Regierung auch die Kinderdeckelung aufheben möge.
       
       Der SNP-Antrag scheiterte mit 103 zu 363 Stimmen – aber Labour hat im
       650-köpfigen Unterhaus 411 Abgeordnete, und unter den 103 Ja-Stimmen kamen
       sieben aus der Labour-Fraktion.
       
       ## Fraktionszugehörigkeit für ein halbes Jahr verloren
       
       Sie alle verlieren nun für sechs Monate den Fraktionsstatus und müssen als
       Fraktionslose auf den hinteren Bänken Platz nehmen, neben Gleichgesinnten
       wie Jeremy Corbyn. Zu den sieben gehören Corbyns ehemalige rechte Hand John
       McDonnell und die [3][2020 beim Kampf um Corbyns Nachfolge gegen Starmer
       unterlegene Rebecca Long-Bailey].
       
       Die harte Maßnahme überrascht, denn Abweichlern im Parlament droht
       normalerweise nur dann der Rauswurf, wenn mit der Abstimmung die
       Vertrauensfrage verknüpft ist. Das war hier nicht der Fall. Als 2019 der
       konservative Premierminister Boris Johnson [4][im Streit um den Brexit eine
       Reihe von Parteikollegen aus der Fraktion warf], gab es einen Aufschrei und
       man warf Johnson diktatorisches Verhalten vor. Jetzt reagiert Starmer
       ähnlich bei einer viel unwichtigeren Abstimmung.
       
       ## Hinter eigenen Erwartungen zurückgeblieben
       
       Kommentatoren werten das als Warnschuss: Starmer habe bei der ersten
       Gelegenheit seine Autorität klargemacht. [5][Labour holte bei den Wahlen
       vom 4. Juli zwar eine gigantische Mehrheit an Sitzen im Unterhaus], aber
       blieb mit unter 34 Prozent der Stimmen weit hinter den eigenen Erwartungen
       zurück. Mehrere Labour-Sitze gingen an linke Unabhängige wegen Differenzen
       zum Nahostkonflikt, und auch die links zu verortenden britischen Grünen
       legten deutlich an Stimmen zu.
       
       Die britische Linke ist dabei, sich außerhalb Labours neu zu sortieren, und
       Starmer hat diesen Prozess mit seiner Suspendierung befördert. Corbyn und
       die vier anderen parteilosen Linken im Parlament veröffentlichten am
       Mittwoch einen lobenden Brief an die sieben Labour-Abweichler und luden sie
       zur Zusammenarbeit ein.
       
       Inhaltlich ist der Streit eher bedeutungslos. Bisher fährt die neue
       Regierung einen sehr vorsichtigen Kurs in Sachen Staatsausgaben. Es wurde
       aber damit gerechnet, dass im nächsten Staatshaushalt im Herbst die
       umstrittene Kinderdeckelung zumindest aufgeweicht wird. Am Mittwoch wich
       Starmer in der wöchentlichen Fragestunde im Parlament Fragen danach
       allerdings aus und warnte, die Krise der Staatsfinanzen sei „ernster als
       wir dachten“.
       
       24 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
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