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       # taz.de -- Biden und der Nato-Gipfel in Washington: Besuch bei der alten Dame
       
       > Beim Nato-Gipfel steht ein Thema nicht auf der Agenda, aber im
       > Mittelpunkt: Meistert US-Präsident Biden unfallfrei das Treffen des
       > Militärbündnisses?
       
   IMG Bild: Gibt sich kämpferisch: US-Präsident Joe Biden beim Eröffnungsabend des Nato-Gipfels in Washington
       
       Washington taz | Als sich 32 Staats- und Regierungschef:innen und 64
       Außen- und Verteidigungsminister:innen am Dienstagabend in
       Washington, D.C., treffen stehen zwei ältere Herrschaften im Mittelpunkt.
       Die eine, die Nato, wird [1][in diesem Jahr 75]. Sie ist trotz mancher
       Zipperlein lebendiger denn je, konnte gerade zwei neue Mitglieder begrüßen
       und hat sich damit seit 1949 fast verdreifacht.
       
       Der andere ist 81 und Gastgeber des Treffens: US-Präsident Joe Biden. Im
       Vergleich zur Jubilarin wirkte er zuletzt deutlich gebrechlicher. Und die
       Frage lautet, ob Biden im November wiedergewählt wird oder ob die
       Führungsmacht des Westens, die Kommandozentrale der Nato, künftig in der
       Hand eines Mannes liegt, der die Nato für verzichtbar hält: Donald Trump.
       Biden muss seinen Gästen und den Demokraten an diesem Abend beweisen, dass
       er es kann.
       
       Was Biden ankündigt, ist für den Auftakt des Treffens nicht schlecht: Die
       Ukraine werde ein weiteres Luftverteidigungssystem erhalten. Damit sind es
       nun fünf Patriotsysteme, die das Land im Krieg von den Verbündeten erhalten
       hat. Eigentlich hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj um
       sieben solcher Systeme gebeten.
       
       Aber: „Wir arbeiten an weiteren Zusagen in diesem Jahr“, heißt es in einer
       gemeinsamen Erklärung Bidens mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und den
       Staats- und Regierungschefs Rumäniens, der Niederlande und Italiens.
       „Unsere Botschaft an Moskau und die Welt ist klar: Unsere Unterstützung für
       die Ukraine ist stark und standhaft.“
       
       ## „Die Ukraine kann Russland stoppen“
       
       Nachdem Russland am Montag Kyjiw bombardiert und [2][auch ein
       Kinderkrankenhaus getroffen hatte], war eine deutliche Antwort der Nato
       unausweichlich. Biden versucht Zuversicht auszustrahlen: „Die Ukraine kann
       und wird Putin stoppen.“ Und er lobt die Nato: Die USA verdankten ihren
       ganzen Fortschritt diesem gemeinsamen Sicherheitsschild. Offenbar ein Wink
       an seinen Herausforderer, der das bekanntlich nicht so sieht.
       
       Aber was Biden sagt, ist eigentlich nicht so wichtig, entscheidend ist, wie
       er es sagt. Stolpert er beim Gang auf die Bühne? Nein, er erklimmt die
       Stufen, ohne zu stolpern. Verhaspelt er sich? Er spricht einigermaßen laut
       und klar auch dank der Hilfe zweier Teleprompter. Schafft er es, dem
       scheidenden Generalsekretär Jens Stoltenberg die Freiheitsmedaille
       umzuhängen, ohne dass diese herunterfällt? Ja, klappt.
       
       Die Fitness des amtierenden US-Präsidenten steht zwar nicht auf der
       offiziellen Gipfelagenda. Aber sie schwingt im Hintergrund ständig mit.
       
       ## Scholz zweifelt nicht an Biden
       
       Ob er Sorge habe, dass der Gastgeber von den Strapazen des Gipfels
       überfordert sein könnte, wurde der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz vor
       seinem Abflug nach Washington am Dienstag gefragt. „Nein diese Sorge habe
       ich nicht“, sagte Scholz mit fester Stimme. „Aus den vielen Gesprächen mit
       dem amerikanischen Präsidenten weiß ich, dass er diesen Gipfel sehr gut und
       sehr präzise mit uns zusammen vorbereitet hat.“ Das werde ein sehr
       erfolgreicher Gipfel sein.
       
       Drei Topthemen stehen auf der offiziellen Tagesordnung. Zum einen die
       russische Bedrohung und die weitere Unterstützung der Ukraine. Dies
       besprechen die Nato-Mitglieder sowohl bei ihrer Arbeitssitzung am
       Mittwochnachmittag, die nach mitteleuropäischer Zeit um Mitternacht endet,
       als auch beim Treffen des Nato-Ukraine-Rats am Donnerstag.
       
       Eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine, [3][wie sie auf dem Gipfel in Litauen
       im vergangen Jahr kontrovers diskutiert worden war,] stehe diesmal nicht
       zur Debatte, heißt es aus deutschen Regierungskreisen. Es werde kein
       Beitrittsangebot an die Ukraine geben. Ein so tiefgestapeltes
       Erwartungsmanagement verhindert Enttäuschungen und Zerwürfnisse wie beim
       Gipfel in Vilnius im vergangenen Jahr.
       
       ## Wie stellt sich die Nato künftig auf
       
       Die Lage im Asien-Pazifik-Raum und der Umgang mit der stänkernden Großmacht
       China werden Hauptthema auf der zweiten Arbeitssitzung am Donnerstag sein.
       Dazu hat die Nato auch die verbündeten Anrainerstaaten Japan, Südkorea,
       Australien und Neuseeland nach Washington eingeladen.
       
       Das dritte Topthema ist die Nato selbst. Von dem Gipfel soll ein Bild der
       Geschlossenheit ausgehen, trotz oder gerade wegen der Alleingänge mancher
       Nato-Mitglieder. [4][Die Friedensmission des ungarischen
       Ministerpräsidenten Viktor Orbán] in Moskau sorgte unter EU-Ländern und
       Nato-Partnern für Stirnrunzeln. Die Frage ist, wie sich die Nato, gegründet
       als Bündnis zur Abschreckung und Verteidigung im Kalten Krieg, für oben
       genannte Herausforderungen aufstellt. Und das ungeachtet eines möglichen
       Machtwechsels im Weißen Haus.
       
       Keine einfache Aufgabe. „Die USA sind unverzichtbar für die Nato“, sagt
       Claudia Major, Forschungsguppenleiterin für Sicherheit bei der Stiftung
       Wissenschaft und Politik, im Gespräch mit der taz. Die Amerikaner hielten
       den Laden zusammen, stellten die meisten kritischen Fähigkeiten – sprich
       Waffen und Ausrüstung – und sorgten mit ihrem Atomwaffenarsenal für die
       nukleare Abschreckung. „Diese uneingeschränkte Führungsrolle kann keiner
       ersetzen.“
       
       Major glaubt zwar nicht an einen Austritt der USA aus der Nato. „Aber Trump
       könnte die Nato auch schwächen, ohne auszutreten.“ Und die USA könnten nur
       noch bei bei Bedarf auf die Nato zurückgreifen. „Für dieses Szenario muss
       sich Europa wappnen. „Es geht darum, die Nato Trump-proof zu machen.“ Also
       die europäische Verteidigung so zu organisieren, dass sie auch mit weniger
       USA auskommt.
       
       ## Nato will unabhängiger von USA werden
       
       Das passiert bereits. So wird die militärische Hilfe und die Ausbildung für
       die Ukraine künftig nicht mehr in Washington, sondern bei der Nato
       koordiniert. Dafür wird eine Koordinierungsstelle mit Sitz in Wiesbaden
       geschaffen. Und auf dem Natogipfel werden sich die Verbündeten
       voraussichtlich auch darauf einigen, dass das Bündnis auch im nächsten Jahr
       mindestens 40 Milliarden Dollar an militärischer Unterstützung für die
       Ukraine bereitstellt und diese damit unabhängig vom Ausgang der US-Wahlen
       fließt. Eine Initiative, die Stoltenberg angestoßen hatte und deren
       Fortsetzung er den Gipfelgästen als ein Vermächtnis mitgibt. „Wenn Russland
       gewinnt, werden die Kosten am höchsten sein.“
       
       Auch der [5][Beschluss der G7-Länder, der Ukraine 50 Milliarden Dollar] an
       Militärhilfen aus den Zinsen eingefrorenen russischen Vermögens zur
       Verfügung zu stellen, dient dem Ziel, die Unterstützung der Ukraine nicht
       mehr zum Großteil vom politischen Willen im Weißen Haus abhängig zu machen.
       Eine laut Scholz „bemerkenswerte“ Entscheidung.
       
       Deutschland komme dabei eine zentrale Rolle zu, so Major. „Mit
       Verteidigungsausgaben von rund 72 Milliarden Euro in diesem Jahr will
       Deutschland das konventionelle Rückgrat in Europa sein. Viele andere Länder
       orientieren sich an Berlin.“ Und mit der Lage in der Mitte Europas sei
       Deutschland die Drehscheibe für Truppenverlegungen. „Wenn etwa Verstärkung
       aus den USA kommt und nach Osten verlegt wird.“
       
       Eine militärische Führungsrolle in Europa hatte auch der polnische
       Ministerpräsident Donald Tusk dem Bundeskanzler angetragen, [6][als dieser
       ihn in der Woche zuvor in Warschau besuchte.] Doch Scholz drängt sich nicht
       vor. „Deutschland wird in dieser Situation eine wichtige Rolle zukommen als
       großes Land mit sehr viel Mitteln, die wir für Verteidigung zur Verfügung
       stellen“, sagte Scholz – fast bescheiden – vor seiner Abreise.
       
       Vielleicht wird Scholz schneller als gedacht aus Bidens Schatten
       heraustreten müssen. Alles hängt davon ab, wie dieser den Gipfel meistert
       und ob er sich, den Demokraten und seinen Gästen beweisen kann, dass er
       noch immer imstande ist, der Führer der größten Wirtschaftsmacht und des
       größten Militärbündnis von demokratisch verfassten Staaten zu sein.
       
       10 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Lehmann
       
       ## TAGS
       
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