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       # taz.de -- Hamburger Klimabeirat gibt Empfehlungen: „Wir brauchen einen Mitmachstrom“
       
       > Klimabeirat fordert Hamburg auf, in Politik, Planung und Praxis
       > systematischer vorzugehen. Dazu gehört auch, keine Flächen mehr zu
       > versiegeln.
       
   IMG Bild: Fraglich, ob das in Zukunft noch ausreicht: Mischwasserrückhaltebecken in Hamburg
       
       Hamburg taz | Das Hamburger Chilehaus enthält ein erstaunliches und
       aufschlussreiches Detail. Im Keller des vor 100 Jahren fertig gestellten
       expressionistischen Gebäudes gibt es Pontons, auf denen die elektrischen
       Anlagen stehen. Sollte ein Hochwasser in den Keller drücken, schwimmen sie
       auf und die Elektrik bleibt trocken.
       
       Diese Geschichte erzählt Daniela Jacob, die Vorsitzende des Hamburger
       Klimabeirats, als Beleg dafür, dass Hamburg Erfahrung mit wechselnden
       Umweltbedingungen hat. Jacob, im Hauptberuf Direktorin des Climate Service
       Centers Germany (Gerics), führte damit am Donnerstag den Bericht des
       Beirats zur Klimaanpassung ein. Darin stehen Empfehlungen, wie Senat und
       Bürgerschaft mit den Folgen des Klimawandels umgehen sollten.
       
       Auch in Hamburg wird der Klimawandel nach Einschätzung des Klimabeirats in
       den kommenden Jahrzehnten massiv zuschlagen. Dem müsse die Stadt in
       Politik, Planung und Praxis systematischer als bisher begegnen. „Wir
       brauchen eine klimaresiliente Entwicklung“, sagt Jacob. Im Mittelpunkt
       stehen dabei das Wasser und die Hitze.
       
       Beim Thema Wasser muss die Stadt mit Dürren einerseits, und mit Hochwasser,
       Wolkenbrüchen und Dauerregen andererseits umgehen. Einerseits muss ein
       Zuviel an Wasser abgeführt werden, andererseits verhindert werden, dass das
       Stadtgrün verdorrt, das so wichtig ist, um die Temperaturen in den
       Häuserschluchten zu dämpfen und Hitzetote zu vermeiden.
       
       ## Eine Riesen-Herausforderung
       
       Als Schlüsselfaktor hierfür hat Jacobs Beiratskollege Jörg Knieling, Leiter
       des Fachgebiets Stadtentwicklung und Regionalplanung an der
       Hafencity-Universität Hamburg (HCU), den Flächenverbrauch ausgemacht.
       Bisher unversiegelte Grundstücke dürften deshalb künftig „nur unter der
       Maßgabe des Netto-Null-Flächenverbrauchs“ genehmigt werden. Das würde
       bedeuten, dass genauso an einem Orte genausoviel entsiegelt wird, wie an
       einer anderen Stelle bebaut.
       
       Die EU hat in ihrem Green Deal vereinbart, den Flächenverbrauch bis 2050
       netto auf Null zu bringen. Dieses Ziel hat die Bundesregierung in ihrer
       Nachhaltigkeitsstrategie verankert. „Das könnte ein Gamechanger in der
       Entwicklung von Flächen werden“, sagt Knieling.
       
       Allerdings will sich der Klimabeirat zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu
       einzelnen Projekten äußern, wie dem [1][neuen Stadtteil Oberbillwerder],
       der zwischen der Innenstadt und Bergedorf auf der grünen Wiese entstehen
       soll oder die Autobahn A26 Ost, die zwischen den Stadtteilen Wilhelmsburg
       und Harburg hindurchführen soll. Was für derart große Flächen anderswo
       entsiegelt werden sollte, dafür bleibt der Beirat die Antwort schuldig.
       
       Nicht ganz einfach ist das schon bei kleineren Projekten, das ist dem
       Klimabeirat klar. „Das stellt die Bezirke vor Riesen-Herausforderungen“,
       räumt Knieling ein. Ein Lösung könnte sein, mehr „im Bestand zu bauen“,
       also etwa leerstehende Büros in Wohnungen umzuwandeln.
       
       ## Bürgerini als Vorreiter
       
       Den Zielkonflikt zwischen Wohnungsbau- sowie Gewerbeansiedlung einerseits
       und Freiflächenschutz andererseits hat der rot-grüne Senat fürs Erste
       befriedet. Er einigte sich mit der vor allem vom Nabu getragenen
       Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“ und wandte damit einen
       Volksentscheid ab: 30 Prozent der Landesfläche sind seitdem vertraglich für
       die Natur geschützt.
       
       Eine weitere [2][Initiative, die die Ausweisung neuer Baugebiete auf Grün-
       und Landwirtschaftsflächen verbieten wollte], stoppte das Hamburgische
       Verfassungsgericht: Sie sei zu einseitig und nicht geeignet die
       verschiedenen privaten und öffentlichen Belange gegeneinander abzuwägen.
       Dazu gehören neben dem Umwelt- und Naturschutz das Wohnen ebenso wie
       Soziales, Kultur, Wirtschaft, Verkehrsanbindung und Infrastruktur.
       
       Dabei ist der Wert von Freiflächen unstrittig: Sie fördern die
       Artenvielfalt, dienen als Puffer gegen Überschwemmungen und tragen als
       Versickerungsflächen tragen dazu bei, den Wasserhaushalt zu stabilisieren.
       
       Wasserknappheit spiele mittlerweile durchaus auch in Norddeutschland eine
       Rolle, wo man jahrhundertlang damit beschäftigt gewesen sei, den Boden
       trocken zu legen, sagt Peter Fröhle, Leiter des Instituts für Wasserbau an
       der Technischen Universität Hamburg. Er nennt das Beispiel eines
       Wasserwerks in den Vier- und Marschlanden, dem heute schon Wasser aus dem
       Flüsschen Bille zugeführt werden müsse.
       
       ## Alle müssen mitziehen
       
       Die Wasser Ver- und Entsorgung oder der Hochwasserschutz beruhen auf einer
       Infrastruktur, die auf lange Sicht angelegt ist. Das gilt aber auch für den
       Wohnungsbau. „Vieles, was wir jetzt in der Stadt neu bauen, steht für
       Jahrzehnte“, sagt Knieling. Seine Kollegin Jacob drängt deshalb darauf,
       beim Bauen „schneller und mit höherer Priorität“ den Klimawandel zur
       berücksichtigen.
       
       „Dafür brauchen wir die Bürger“, sagt Jacob. Es sei nötig, schon im
       Kindergarten ein Bewusstsein für die nötige Anpassung zu schaffen. „Es
       braucht einen Mitmachstrom“, findet Jacob.
       
       Ihr Kollege Martin Wickel, Leiter des Arbeitsgebiets Recht und Verwaltung
       an der HCU, setzt seine Hoffnung in den verbesserten rechtlichen Rahmen. Am
       1. Juni ist das [3][Klimaanpassungsgesetz des Bundes in Kraft getreten]. Es
       verpflichtet alle Bundesländer, bis zum 31. Januar 2027 eine
       Klimaanpassungsstrategie zu entwickeln – alles natürlich nur ergänzend zum
       [4][Klimaschutz, der auch auf der Ebene des Stadtstaates schon längst
       gesetzlich verankert] ist.
       
       Auf diese Klimaschutzgesetze können sich Kläger schon jetzt berufen.
       [5][Ergänzend empfiehlt der Klimabeirat] ein Hamburger
       Klimaanpassungsgesetz, das etwa die Bezirke verpflichten würde,
       entsprechende Konzepte zur erstellen, und die Anpassung öffentlicher
       Liegenschaften vorsehen sollte. Angesichts des Bewusstseinswandels in der
       öffentlichen Verwaltung gebe es jetzt die Chance, einen institutionellen
       Rahmen für die Klimaanpassung zu schaffen. „Das Thema geht nicht wieder
       weg“, sagt Wickel.
       
       12 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Neuer-Hamburger-Stadtteil-Oberbillwerder/!6019652
   DIR [2] /Verfassungsgericht-stoppt-Volksbegehren/!5978760
   DIR [3] https://www.bmuv.de/themen/klimaanpassung/das-klimaanpassungsgesetz-kang
   DIR [4] /Hamburgs-neues-Klimaschutzgesetz/!5964821
   DIR [5] https://www.klimabeirat.hamburg/mitglieder
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gernot Knödler
       
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