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       # taz.de -- Antidiskriminierungsarbeit auf dem Land: Ohne Geld und Gewissheit
       
       > Die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman hat vor den
       > Landtagswahlen Beratungsstellen besucht. Diese stehen künftig vor großen
       > Fragen.
       
   IMG Bild: Ferda Ataman bei ihrer Reise im brandenburgischen Spremberg
       
       Dresden, Eisenberg, Görlitz taz | Iman Ahmadi sagt mit Nachdruck: „Man kann
       in Dresden alles machen, egal welche Nationalität man hat.“ Im Erzgebirge
       sei das schon ein bisschen schwieriger. Ahmadi stammt aus dem Iran und
       erlernte dort seinen Beruf als Elektriker. Mittlerweile wohnt er im
       Dresdner Stadtteil Reick und arbeitet dort seit 2020 bei einer Firma, die
       Technik herstellt, die etwa in der Halbleiterproduktion zum Einsatz kommt.
       
       Ahmadi steht in der gut gekühlten Werkshalle der Firma DAS und erzählt der
       unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, von
       seinen Erfahrungen in Sachsens Hauptstadt. Erlebt er dort wirklich keine
       Diskriminierung? Kaum, bekräftigt er. „Wichtig ist, dass ich die Sprache
       kann. Sächsisch kann ich“, sagt Ahmadi und grinst schelmisch, „und auch ein
       bisschen Deutsch.“ Da lacht Ataman.
       
       Die Bundesbeauftragte bereiste vergangene Woche in Begleitung mehrerer
       Medienvertreter:innen Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Bevor dort
       im September die Landtagswahlen anstehen, habe sie wissen wollen, wie es um
       die Antidiskriminierungsberatung in den drei Bundesländern stehe.
       [1][Obwohl die bundesweite Nachfrage nach den Beratungen 2023 ein
       Rekordhoch erreicht habe,] höre sie, dass es zunehmend schwieriger werde,
       sich für ein Zusammenleben in Vielfalt zu engagieren.
       
       ## Auf dem Land sieht es dünn aus bei den Beratungen
       
       Ein Grund dafür könnte die AfD sein. In Umfragen verlor die Partei zwar
       zuletzt ein paar Prozentpunkte, steht aber in allen drei Bundesländern mit
       25 bis 30 Prozent an erster Stelle. Bei den Kommunalwahlen vor etwas mehr
       als einem Monat hatte sie hier an vielen Orten den höchsten Stimmanteil
       erzielt.
       
       Wie die AfD zur Antidiskriminierung steht, zeigten etwa Äußerungen des
       AfD-Politikers [2][Stephan Brandner,] als Ataman im vergangenen Jahr eine
       Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) forderte – der
       rechtlichen Grundlage für Antidiskriminierung in Deutschland. Das sei
       „völlig überflüssig“, sagte Brandner, Bundestagsabgeordneter mit
       Direktmandat aus Thüringen. Es erinnere ihn „an die Machenschaften der
       Stasi“. Worauf stellen sich also die Antidiskriminierungsberater:innen
       für die Zeit nach den Landtagswahlen ein?
       
       Bisher beraten in allen drei Bundesländern entsprechende Stellen
       Diskriminierte auf der Grundlage des AGG. Das trat 2006 in Kraft und greift
       etwa, wenn Firmen Menschen ab 50 Jahren nicht einstellen, weil sie zu alt
       seien, Vermieter Wohnungsinteressent:innen wegen ihres Nachnamens
       abweisen oder Menschen wegen ihrer Behinderung ausgeschlossen werden.
       
       Fühlen sich Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrem Geschlecht, der
       Weltanschauung, einer Behinderung, dem Alter oder der sexuellen Identität
       benachteiligt, können sie bei den Beratungsstellen Unterstützung bekommen.
       Deutschlandweit gibt es etwa hundert Planstellen für Berater:innen, die in
       Vollzeit in der Antidiskriminierngsberatung arbeiten.
       
       Allerdings: Die meisten Stellen befinden sich in großen Städten oder
       Ballungsgebieten, erklärt Noureddine Menacher, ein
       Antidiskriminierungsberater im Saale-Holzland-Kreis. Das soll in Thüringen
       das Projekt „Raus aufs Land“ ändern, welches zum Landesnetzwerk der
       Migrant:innenorganisatoren (Migranetz) gehört. Menacher
       präsentierte am Montag mit Leinwand und Beamer vor Ataman und den
       anwesenden Journalist:innen in der thüringischen Kreisstadt Eisenberg
       im Saale-Holzland-Kreis, wie die Hilfsstrukturen auf dem Land gestärkt
       werden können.
       
       ## AfD macht Beratungsstellen das Leben schwer
       
       Von Diskriminierung Betroffene können sich online bei „Raus aufs Land“
       melden, die Berater:innen fahren dann zu ihnen. Schlechte Anbindung
       soll durch ein digitales Angebot kompensiert werden.
       
       Doch noch befindet sich das Angebot im Aufbau und richtet sich an nur vier
       Kreise: Weimar, das Weimarer Land, den Ilm-Kreis und den
       Saale-Holzland-Kreis. Und selbst da seien die Berater:innen nur
       begrenzt flexibel. „Wir haben leider noch kein Auto“, fügt Menacher an und
       wirkt etwas verlegen.
       
       Etwa 200 Kilometer weiter östlich versucht das Antidiskriminierungsbüro in
       Sachsen (ADB) Ähnliches. Bisher finanzierte die Initiative mit kommunalen
       und Landesmitteln sowie Eigenanteilen des Vereins drei Standorte: je einen
       in Dresden, Leipzig und Chemnitz sowie eine Online-Beratung. Insgesamt gebe
       es zehn Berater*innenstellen, berichtet Jan Diebold, Fachleitung der
       Antidiskriminierungsberatung. Über die Projektfinanzierung der
       Antidiskriminierungsstelle des Bundes sollen zudem zwei weitere Personen
       für die Beratung an einem geplanten Standort in Görlitz eingestellt werden.
       
       Beide neuen Projekte arbeiten derzeit daran, sich das Vertrauen von
       Diskriminierten zu erarbeiten und bei ihnen bekannt zu werden. Hilfreich
       dabei sei, dass in den vergangenen Jahren die Netzwerke zu ähnlichen
       Institutionen gewachsen seien, etwa zu Migrant:innenorganisationen
       in Thüringen (Migranetz) oder der Beratungsstelle für Betroffene rechter
       Gewalt in Sachsen (RAA).
       
       Allerdings mache die AfD den Beratungsstellen schon jetzt das Leben
       schwerer, berichtet Elisa Calzolari, Geschäftsführerin des Migranetzes in
       Thüringen. Zum Beispiel, indem sie Kleine Anfragen im Landtag stelle, das
       binde die Arbeitskraft der Berater:innen. Zwar sei das ein „wichtiges
       parlamentarisches Werkzeug, um Politik transparent zu gestalten“, sagt
       Calzolari, aber die AfD stelle bei der Veröffentlichung der Anfragen die
       Legitimität der Projekte infrage. Die Initiativen würden etwa „als
       linksextremistisch motiviert eingeordnet, wenngleich sie gängigen
       Förderrichtlinien folgen“, sagt Calzolari.
       
       ## Unternehmen profitieren von Antidiskriminierungsarbeit
       
       Aber wie hilft das, wenn die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes mit
       Medien aus dem Westen nach Thüringen, Sachsen oder Brandenburg in die
       Provinz fährt, um zu schauen, wie schlimm die Verhältnisse im Osten
       wirklich sind? Ataman hört zwar den Initiativen vor Ort zu, springt dann
       aber wieder unter Zeitdruck in den Bus und fährt weiter. Bestätigt das
       nicht nur Vorurteile? Es komme darauf an, sagt Jan Diebold vom ADB Sachsen.
       „Es ist wichtig, das Problem nicht kleinzureden: Es gibt in sächsischen
       Orten ein rechtes Klima und das bedroht Menschen. Aber es ist auch wichtig,
       zu zeigen, dass nicht alle so sind und wer sich vor Ort für Demokratie und
       Vielfalt einsetzt“, erklärt er der taz.
       
       In den Gesprächen zwischen Ferda Ataman und den Akteuren vor Ort wiederholt
       sich die Kritik, dass von der Bundesregierung zu wenig Unterstützung komme.
       Doch Ataman kann sich dem nur anschließen.
       
       Als unabhängige Beauftragte hat sie selbst kein Budget, mit dem sie
       Antidiskriminierungsstellen unterstützen könnte. [3][Ataman fordert zudem
       seit mehr als einem Jahr, dass die Regierung das Antidiskriminierungsgesetz
       reformieren soll] – wie es im Koalitionsvertrag festgelegt ist. Bisher ist
       nichts passiert. „Das ist aus meiner Sicht eine falsche
       Prioritätensetzung“, kommentiert Ataman. Antidiskriminierung helfe nicht
       nur dabei, die Folgen von verrohenden Debatten zu bekämpfen. Auch
       wirtschaftliche Argumente sprächen dafür, wie sich bei dem Unternehmen DAS
       in Dresden zeigt, bei dem der Elektriker Iman Ahmadi arbeitet.
       
       Bevor er sich bei der Firma bewarb, arbeitete er für ein
       Leiharbeitsunternehmen. Auch wenn er sagt, man könne alles in Dresden
       machen – bei dieser Firma habe er Rassismus erlebt, erzählt er ein wenig
       später. Bei DAS sei das anders gewesen. Dorthin wurde er zunächst nur als
       Zeitarbeiter verliehen. Aber weil es ihm so gut gefiel, bewarb er sich 2020
       dort und ist nun fest angestellt.
       
       DAS engagiert sich auch an anderen Stellen gegen Diskriminierung, setzt
       etwa ein Programm um, das Menschen mit Beeinträchtigung in den Betrieb
       integrieren soll. Außerdem gibt es betriebsintern eine
       Antidiskriminierungsstelle, bei der es heißt, man freue sich über
       Meldungen. Nichts sei schlimmer als ein Mantel des Schweigens. Ein gutes
       Betriebsklima sei ein starkes Argument im Kampf um die Fachkräfte – auch
       aus dem Ausland.
       
       ## Den rassistischen Ruf Sachsens überwinden
       
       Wie geht es dann dem Unternehmen mit den starken Umfragewerten für die AfD?
       „Es ist Tradition, als Wirtschaft neutral zu bleiben. Wir müssen in der
       aktuellen Situation die Sinnfälligkeit prüfen, um potentiellen Schaden zu
       vermeiden“, sagt Ute Mareck, die Qualitätsmanagerin des Unternehmens.
       Allerdings ist DAS eins von mehr als 550 Mitgliedern im Lobbyverein
       Silicon Saxony – ja, angelehnt an den Hightech-Industriestandort in
       Kalifornien.
       
       Mit Verweis auf den demografischen Wandel warnt der Verein vor einem weiter
       zunehmenden Fachkräftemangel. „Die Fachkräftesicherung mithilfe von
       qualifizierter Zuwanderung ist deshalb in den kommenden Jahren eine
       zentrale politische und gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, heißt es dazu in
       einem öffentlichen Strategiepapier. Ein wichtiges Instrument dabei sei, den
       rassistischen Ruf Sachsens zu überwinden. Weltoffen sein, damit die
       Fachkräfte kommen.
       
       Reduziert das Menschen nicht auf ihre Arbeitskraft? Nur wer leistet, ist
       willkommen? Ferda Ataman sagt, sie fände es nachvollziehbar, dass
       Unternehmen gewinn- und auch zielorientiert denken. Der Einsatz für
       Diskriminierungsschutz lohne sich eben auch wirtschaftlich. „Solange es
       Menschen hilft, ehrlich gemeint und gut umgesetzt ist, finde ich das nicht
       verwerflich“, sagt sie. Ein wenig Pragmatik kann mit Blick auf die
       Landtagswahlen zumindest nicht schaden.
       
       16 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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