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       # taz.de -- Nibelungen-Festspiele: Siegfrieds Blut wird nicht gerinnen
       
       > Regisseur Roger Vontobel inszeniert in Worms mit Wucht „Der Diplomat“.
       > Antworten auf Fragen unserer Zeit gibt er nicht.
       
   IMG Bild: Sie versinken im Schlamm, Franz Pätzold als Dietrich von Bern (oben) und ein Nebendarsteller in „Der Diplomat“
       
       Es ist kompliziert – wie immer eigentlich bei den Nibelungen, wo eine
       Intrige auf die nächste folgt. Und zwar so lange, bis sich all die
       aufgestaute Wut in einer martialischen Mordorgie entlädt. In dieser Saison
       sollte alles anders werden. Denn beim Eröffnungsstück der diesjährigen
       Nibelungenfestspiele, die vom 12. bis 28. Juli in Worms stattfinden, mit
       dem Titel „Der Diplomat“ [1][von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel], steht
       ein Friedensbotschafter im Zentrum: Dietrich von Bern (Franz Pätzold). Um
       die Spirale des Tötens zu durchbrechen, hatte er einst auf sämtliche Ämter
       und Würden verzichtet.
       
       Ein perfekter Unterhändler, hat sich nun der berüchtigte Hunnenkönig Etzel
       gedacht, und ihn mit einem Angebot zum Burgundenhof geschickt. Wenn er, so
       dessen Offerte, Kriemhild (Jasna Fritzi Bauer) ehelichen dürfe, wolle er
       von einem zerstörerischen Feldzug absehen.
       
       Und warum auch nicht?, fragt sich der Männerbund um König Gunther (Marcel
       Heuperman) in Roger Vontobels Inszenierung, zumal die mit altbekanntem
       Schuldballast einhergehende Chose längst gelaufen ist: Siegfried hat
       Brunhild aus machtpolitischen Zwecken vergewaltigt und ist sodann dem üblen
       Spiel Hagens zum Opfer gefallen. Seither liegt sein Leichnam als
       bedrückendes Mahnmal auf einem gigantischen Betonaltar. Gern würde man am
       Hof alle Schmach vergessen machen.
       
       Doch der erstochene Drachentöter, er blutet unaufhörlich. Auch wenn man den
       rotgetränkten Boden immer wieder reinigt, lässt sich die Wunde nicht
       schließen. Manche versuchen zu verdrängen. Gunter gibt zum Beispiel den
       Grillmeister, die abgewirtschaftete Brunhild ertränkt ihren Unmut im
       Schnaps.
       
       ## Nach und nach rollen die Köpfe
       
       Derweil wächst der Schmerz ins Unermessliche. Heikel wird die Situation,
       als noch weitere Gesandte am Hof eintreffen. Sie teilen mit, dass der
       Gotenkönig den Kopf Dietrichs verlangt und dem Adelsgeschlecht im Gegenzug
       militärischen Schutz gewährt – ein Dilemma für die Wormser Regenten, das
       alles andere als Ruhe schafft. Nach und nach rollen nun die Köpfe, bis die
       Übriggebliebenen am Ende in den finsteren Abgrund blicken.
       
       Da das Trio Zaimoglu, Senkel und Vontobel schon mit „Siegfrieds Erben“ im
       Jahr 2018 eine archaische Überschreibung des Stoffs mit Wucht und Tiefgang
       auf die Bühne brachte, waren nun die Erwartungen hoch. Und tatsächlich
       macht sich von Anfang an die inszenatorische Signatur von damals bemerkbar.
       Wiederum ist eine Band präsent, die mit Percussion, Bass und Streichern mal
       für emotionale Aufwallung, mal für eine düstere Atmosphäre sorgt. Auch hat
       sich der Regisseur erneut für eine starke Sängerfigur entschieden, nämlich
       Drud, die verstorbene und ebenso auf Vergeltung sinnende Gattin Etzels.
       [2][Sie ist der unstillbare Geist, die rockige Stimme], die das falsche
       Schweigen durchbricht.
       
       Vontobel stellt damit zweifelsohne sein besonderes Gespür für Stimmung und
       Timbre eines Textes unter Beweis. Man mag sich daher kaum einen
       beklemmenderen Ort als diesjährige Bühne (Kulisse: Palle Steen Christensen)
       ausdenken. Mäandert der Gesang zwischen elegischen und brachialen
       Intonationen, steigt von den Seiten permanent Rauch auf. Die Welt gleicht
       einem Drecksloch, um den Aufgebahrten herum versinkt man im Schlamm.
       
       Ein wirkungsstarkes Setting ist das also. Gleichwohl überzeugt der Abend
       nur begrenzt, was allen voran mit der Textvorlage zusammenhängt. Ihr fehlt
       die Dynamik genauso wie die tragende Idee. Zu redundant kreist sie um den
       ewigen Jammer und Schauder der Figuren, japst (bar eines roten Fadens) von
       Auslöschung zu Auslöschung. Dadurch köchelt das Arrangement über drei
       Stunden im eigenen Saft und erinnert im buchstäblichen Sinne an eine zähe
       Blutsuppe.
       
       ## Die Verweigerung des Schwerts
       
       Dabei hätte das Thema einiges hergegeben. Während die westlichen
       Gesellschaften gegenwärtig darum ringen, wie viele Waffen oder wie viel
       Verhandlungsinitiativen vonnöten sein werden, um Putin in die Schranken zu
       weisen, erscheint hier ein Dietrich von Bern als pazifistische Ikone. Auf
       die zu Beginn einmal erwähnte Devise „Gewalt brichst du mit Gewalt“
       reagiert er mit der Verweigerung des Schwerts. Ebenso trifft die Rede vom
       „gerechten Krieg“, einer uns mitunter aus George W. Bushs Begründung für
       den Irakkrieg vertrauten Formel, bei dem Protagonisten auf wenig Resonanz.
       
       Abgesehen von einem anfänglichen Dialog zu diesen hochbrisanten Fragen
       verliert sich „Der Diplomat“ recht schnell im besagten Reigen der Affekte,
       die zumindest noch ihre Wirkung entfalten. Denn mit äonenweitem Abstand zu
       [3][Pınar Karabuluts Pop- und Comic-Desaster] der letzten Saison fängt
       dieses Bühnenwerk immerhin die Düsternis der Saga ein, die dadurch als
       Spiegel unserer schreckensgeplagten Epoche fungiert. Siegfrieds „Blut ist
       überall“, heißt es an einer Stelle. Solange eben die Kriege dieser Welt
       toben, wird es auch nicht gerinnen.
       
       15 Jul 2024
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Björn Hayer
       
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