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       # taz.de -- Rundgang durch ein Plattenbauviertel: Meer aus Hochhäusern mit Zukunft
       
       > Kurze Wege, Infrastruktur und Grünanlagen: Das DDR-Hochhausquartier im
       > Ortsteil Fennpfuhl erfüllt die Ansprüche an modernen Städtebau.
       
   IMG Bild: Hier gibt es eine tolle Eisdiele und einen coolen Springbrunnen: am Anton-Saefkow-Platz im Zentrum von Fennpfuhl
       
       Das Quartier am [1][Fennpfuhl] in Lichtenberg ist vielen
       (West-)Berliner*innen kein Begriff. Dabei handelt es sich bei dem Ortsteil
       zwischen dem S-Bahnhof Storkower Straße und dem Jüdischen Friedhof
       Weißensee um einen der am dichtesten besiedelten Berlins. Das kann man an
       den Wochenenden sehen, wenn man auf dem [2][Anton-Saefkow-Platz], einem
       zentralen Ort im Karree, unterwegs ist.
       
       In der gut besuchten Eisdiele gönnen sich Passant*innen ein Softeis, im
       populären wie alteingesessenen Bäckerei-Café Plötners ein Stück Kuchen. Es
       gibt ein indisches und ein vietnamesisches Restaurant, kleine und größere
       Läden, einen Supermarkt, eine Sparkassen-Filiale, die Lichtenberger
       Stadtbibliothek. Und einen Springbrunnen, in dem sich an heißen Tagen
       Kinder vergnügen. Der Anton-Saefkow-Platz ist von bis zu 25 Stockwerken
       hohen Plattenbauten geradezu umzingelt.
       
       Der im Wesentlichen in den 1970er Jahren hochgezogene Wohnkomplex Fennpfuhl
       war die erste zusammenhängende Plattenbau-Großsiedlung der DDR und
       Vorläufer der großen Wohngebiete in Marzahn und Hellersdorf. Mit seiner
       Kombination aus Wohnhäusern, sozialer Infrastruktur und öffentlichem Raum
       könnte der Fennpfuhl auch ein Beispiel für die städtebaulichen
       Herausforderungen der Gegenwart sein.
       
       Von 1972 an entstanden hier über 15.000 Wohnungen. Dazu kamen Schulen,
       Kitas, Gaststätten, eine Poliklinik, zwei Schwimmhallen, ein Kaufhaus – und
       eine große Parkanlage. Ursprünglich sollten mal 50.000 Menschen hier
       wohnen. Die Zahl wurde nie erreicht. Heute zählt der Ortsteil rund 35.000
       Bewohner:innen.
       
       ## Auf Rundgang mit Katrin Lompscher & Co
       
       „Man hatte zu DDR-Zeiten alles“, fasst es Stadtplaner Georg Balzer
       zusammen, der gemeinsam mit der Diplomingenieurin für Städtebau und
       ehemaligen Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) auf
       Einladung des Bildungsvereins Helle Panke gut 40 Interessierte an einem
       schwülheißen Samstagnachmittag kenntnisreich durch das Wohnquartier führt.
       
       Das Kaufhaus hieß zu DDR-Zeiten [3][„Konsument Warenhaus“] und überlebte
       die Wende bis 2008, als die Kaufhof AG das Ring-Center am S-Bahnhof
       Frankfurter Allee bezog. Nach einem langen Ausverkauf stand der
       Viergeschosser zwei Jahre leer, bis er zu einem Wohnhaus mit 85 Wohnungen
       umgebaut wurde: ein durchaus gelungenes Beispiel für die Nachnutzung eines
       ehemaligen Kaufhauses. Ironie der Geschichte: Derzeit findet der Ausverkauf
       im Galeria-Kaufhaus im Ring-Center statt, die Filiale wird im August
       schließen.
       
       Das Besondere an dem Quartier ist die nach innen gerichtete Bauweise. Die
       einzelnen Wohnviertel wirken wie eine frühe Form heutiger Kiezblocks,
       zwischen ihnen gibt es nur wenige kleine Durchgangsstraßen, die
       weitläufigen Innenhöfe sollten den Bewohner*innen vorbehalten bleiben.
       Tatsächlich sind sie zumindest heute teilweise menschenleer. Abgesehen
       natürlich von der 40-köpfigen Truppe, die mit praktischen Headsets
       ausgestattet den Referent*innen hinterherläuft.
       
       Vor der Bebauung in den 1970er Jahren befand sich hier ein
       Kleingartengebiet, in dem sich der Jude Hans Rosenthal vor den Nazis
       versteckt hielt. Der junge Rosenthal entkam so dem Holocaust. Heute weist
       eine ebenfalls versteckte Infotafel auf den späteren Fernsehmoderator und
       seine drei mutigen Helferinnen hin.
       
       ## „Fennpfuhl war mein Baby“
       
       Balzer und Lompscher wechseln sich in kurzen Abständen ab, immer öfter
       melden sich auch Zeitzeugen wie Dieter Rühle zu Wort. „Fennpfuhl war mein
       Baby“, sagt der Zeitzeuge. Rühle war als verantwortlicher
       „Komplexarchitekt“ im Volkseigenen Wohnungsbaukombinat Berlin an der
       Planung und Umsetzung des Wohnkomplexes Fennpfuhl beteiligt.
       
       Der DDR-Jargon zieht sich auch durch die gesamte Führung, die einer
       Zeitreise gleicht. Balzer, Lompscher und Rühle fachsimpeln über
       [4][Plattenbauten vom Typ WBS 70], Kinderkombinationen und Betonformsteine.
       Die Versorgung mit Kindereinrichtungen „war üppig bei uns“, sagt Rühle
       nostalgisch. Kinder konnten zu Fuß in die Kita gehen, ohne große Straßen
       überqueren zu müssen. Alles sollte in 15 Minuten zu Fuß erreichbar sein.
       
       Der Fennpfuhlpark ist das Herzstück des Viertels. 1.200 Bäume stehen hier,
       die DDR hat damals zudem 2,5 Millionen Mark in Kunst im öffentlichen Raum
       investiert. Ob diese immer gelungen ist, darüber lässt sich streiten. Der
       Park inklusive eines prägnanten überdimensionalen Kunstwerks ist ein
       Handlungsort in der TV-Serie „Nackt über Berlin“ von 2023, eine
       Coming-out-Geschichte von Axel Ranisch, der in Lichtenberg in einem
       Plattenbau groß wurde.
       
       Die Grünanlage mit See und großer Wasserfontäne – hier werden im Winter,
       wenn es denn möglich ist, Eishockey gespielt oder Pirouetten gedreht – ist
       ein beliebtes Naherholungsgebiet, auch für Flaneur*innen aus dem
       benachbarten Friedrichshain. Parkranger*innen sind so gut wie immer im
       Park unterwegs. Und handzahme Eichhörnchen lassen sich mit Nüssen füttern,
       ein Spaß für Jung und Alt.
       
       ## „Vollkomfortwohnung“ statt „Bretterbuden“
       
       Zu Beginn der Bebauung seien die Leute froh gewesen, aus den „Bretterbuden“
       in eine „Vollkomfortwohnung“ zu kommen, sagt Balzer. „Kontingentträger“
       hätten die Wohnungen an verschiedene Bevölkerungsgruppen vergeben und nicht
       etwa nur an Funktionär*innen, dadurch habe es eine soziale Durchmischung
       gegeben. Andere Zeitzeug*innen wissen sich gleichwohl zu erinnern, dass
       der Anteil von Mitarbeiter*innen der „Organe“ – Volkspolizei, NVA,
       Ministerium des Innern und Ministerium für Staatssicherheit – in der
       Nachbarschaft exorbitant hoch war. Aber gut, Erinnerungen.
       
       Ein Nachteil war die lange Bauzeit, was hauptsächlich am morastigen
       Baugrund lag. Rund 90 Prozent der Wohnungen wurden zwar bis Ende der 1970er
       Jahre bezogen, das Zentrum am Anton-Saefkow-Platz mit Kaufhaus, Kaufhalle &
       Co konnte aber erst Mitte der 1980er Jahre fertiggestellt werden.
       
       Zum Ende der Führung beginnt es zu regnen. „Der Fennpfuhl ist ein
       innenstadtnahes, hervorragendes Wohngebiet“, sagt Lompscher zum Abschluss,
       es gebe mehr Grün und mehr Kunst als in anderen Ostberliner Vierteln. Das
       wünscht sich Lompscher auch für die Zukunft, denn „Berlin trägt 15
       Stadtquartiere vor sich her“. Jedes geplante Quartier bräuchte eine eigene
       Taskforce, findet Lompscher, die projektbezogen und fachübergreifend
       arbeitet und die wichtigsten Schritte priorisiert, von der Verkehrsplanung
       über Infrastruktur und Begrünung bis zum Wohnungsbau.
       
       Apropos Verkehrsplanung: Ursprünglich sollte das Wohngebiet am nördlichen
       und östlichen Rand mit einer Stadtautobahn beglückt werden. Weiter südlich
       wäre die sogenannte C-Tangente direkt am Ministerium für Staatssicherheit
       vorbeigeführt worden. Ein No-Go für Erich Mielke. Der Stasi-Minister
       persönlich soll interveniert haben. Teile der freigehaltenen Trasse wurden
       dann mit Wohnblöcken bebaut. Das hält Lompscher auch für eine gute Idee mit
       Blick auf die Fläche, auf der eigentlich die A100 verlängert werden soll.
       Der 17. Bauabschnitt der A100 soll übrigens ausgerechnet in Fennpfuhl
       enden, die Storkower Straße würde dann zur Schnellstraße werden.
       
       30 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Berlin-Fennpfuhl
   DIR [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Anton-Saefkow-Platz
   DIR [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Konsument_(Warenhaus)
   DIR [4] https://de.wikipedia.org/wiki/WBS_70
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Darius Ossami
   DIR Andreas Hergeth
       
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