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       # taz.de -- Neues Album der Band Hiatus Kaiyote: Melonen neben Rasierklingen
       
       > Der Sound der australischen Band klingt virtuos und dynamisch, aber nie
       > verkopft. Ihr Album ist eine großartige Einladung.
       
   IMG Bild: Die australische Band Hiatus Kaiyote
       
       Wer möchte da nicht einkaufen? [1][Vor dem neu eröffneten Supermarkt LHCC
       tanzt jemand als lebendes Artwork in violettem Plüschoutfit]. Drinnen wird
       neben meterweise Ananas noch mehr versprochen: Gemeinschaft! Kundenservice!
       Freundschaft! „LHCC is so much more than your local supermarket!“ grinst
       „CEO“ Simon Marvin neben seinen Bandkolleg:innen Naomi „Nai Palm“
       Saalfield, Paul Bender und Perrin Moss in dem augenzwinkernden Werbespot,
       getränkt von der Ästhetik der 1990er Jahre.
       
       So also könnte er aussehen, der Supermarkt für die ganze Familie. Einer
       solchen Fiktion gibt sich die australische Band Hiatus Kaiyote zumindest in
       ihrem Videoclip hin. Der Name LHCC ist ein Akronym für „Love Heart Cheat
       Code“, Titel [2][des vierten Studioalbums] der stark jazz-, soul- und
       funkaffizierten Combo aus Melbourne, die schon von Popgiganten wie der
       Beyoncé-Jay-Z-Fusion The Carters und [3][den HipHop-Streithähnen Kendrick
       Lamar und Drake] gesampelt wurde.
       
       Ironisch ist der Videoclip vor allem auch, weil das Quartett um Sängerin
       Nai Palm nie auch nur ansatzweise konfektioniert klingt. Tempowechsel,
       vertrackte Rhythmen, abrupte Ab- und Ausbrüche, grazile Harmoniken, dazu
       Nai Palms unverwechselbarer Gesang: Alles am Sound von Hiatus Kaiyote
       klingt virtuos, dynamisch und breit, dabei aber nie verkopft. Seit
       Bandgründung 2011 hat die Band die konzentrierte Epik für sich gepachtet.
       
       ## Verträumt, witzig, fluide
       
       Los geht es auf „LHCC“ mit dem [4][Auftaktsong „Dreamboat“]: „Here I am /
       Dreamboat, take me home“, singt Nai Palm fast opernhaft über einen
       verträumten Soundteppich. Die musikalische Heimat der Band muss irgendwo
       zwischen dem Pazifischen Ozean und jenem Ort hinter dem Licht der
       Zwillingsgalaxien liegen, die im [5][dahingroovenden „Telescope“] besungen
       werden.
       
       Die vier wissen sehr wohl, dass sie fantastische Mucker sind, sublimieren
       das aber eher selten in instrumenteller Prahlerei. Meist ergehen sie sich
       in so komplexen wie eingängigen Kompositionen – und in Humor. „Longcat, he
       is the longest cat in the world“ singt Nai Palm und beamt damit die
       Vorstellung eines schlauchartigen Comic-Vierbeiners in den Kopf.
       
       Zwei Songs später dann, bei „Cinnamon Temple“, fällt einem die Kinnlade
       herunter. Was sind das für Sounds? System of a Down im Nujazz-Krawallmodus?
       Der musikalische Bogen, den Hiatus Kaiyote auf „LHCC“ aufmachen, ist breit.
       Vieles geht direkt in den Kopf und in die Hüfte, eine Zeile bleibt
       besonders hängen: „You don’t make friends, you recognize them“, ein Zitat
       aus dem Songtext „Make Friends“.
       
       Aus den Worten eines Freundes ist ein Song gewachsen, dem das Fluide
       eingeschrieben ist. Nai Palm wiederholt die Strophe als
       geschlechterwandelndes lyrisches Ich aus weiblicher, männlicher und
       nicht-binärer Perspektive: die (platonische) Liebe zu Freund:innen aller
       Gesinnungen als Verbindendes.
       
       Hiatus Kaiyote zelebrieren in ihrer Musik einen produktiven Kollektivismus.
       Die elf Songs sind wieder gemeinsam entstanden. Komplementiert wird der
       Freimut des Quartetts durch Gäste aus der Melbourner Musikszene, wie dem
       Flötisten Nikodemos und Taylor „Chip“ Crawford, der ein Frello spielt, ein
       von ihm selbst erfundenes Cello mit Bünden und Federhall.
       
       Die Regale in dem Supermarkt, die die vier Musiker:innen befüllen, kann
       man sich als improvisiert geordnetes Chaos vorstellen. Melonen neben
       Rasierklingen, Bier in der Fleischtheke.
       
       Dass das Album mit einer herrlich verspulten, psychedelisch potenzierten,
       industrial angehauchten Version von Jefferson Airplanes musikalischem
       LSD-Trip „White Rabbit“ endet, bestätigt final: ein quietschbunter
       Supermarkt für alle!
       
       7 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=Fd1dZoIuNQY
   DIR [2] https://hiatuskaiyote.bandcamp.com/album/love-heart-cheat-code
   DIR [3] /Beef-zwischen-Drake-und-Kendrick/!6006973
   DIR [4] https://hiatuskaiyote.bandcamp.com/track/dreamboat
   DIR [5] https://hiatuskaiyote.bandcamp.com/track/telescope
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Balkenborg
       
       ## TAGS
       
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