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       # taz.de -- Fotoschau in Rostock: Sozialistisches Partyvolk
       
       > Die Ausstellung „Der große Schwof“ verweist auf kleine Fluchten. Die
       > Fotos über die Feierkultur in der DDR zeigen den Alltag jenseits der
       > Staatsdoktrin.
       
   IMG Bild: „Tanztee im Pratergarten“, Berlin, 1990
       
       Das Bild sorgt für heitere Diskussionen. Um das schwarz-weiße Foto von
       Harald Hauswald hat sich ein Grüppchen versammelt und überlegt laut, wen
       man da denn bitteschön beim „Tanztee im Pratergarten“ (so der Titel der
       Fotografie von 1990) exaltiert tanzen sieht? Die Person mit schlohweißen
       Haar ist nur von hinten zu sehen, die weiße Unterhose ebenso, der Rock
       frivol gelüftet. Ist das ein Mann oder eine Frau? Am Ende ist es egal,
       einigt man sich in der Gruppe friedlich und lacht und tauscht, von Foto zu
       Foto wandernd, weitere Erinnerungen an damals in der DDR aus.
       
       Zu sehen ist das Foto in der Ausstellung „Der große Schwof – Feste feiern
       im Osten“. Im Frühjahr lief die bereits im Brandenburgischen
       [1][Landesmuseum für moderne Kunst] an den beiden Standorten Frankfurt
       (Oder) und Cottbus mit großem Erfolg. In beiden Städten waren
       unterschiedliche Fotoarbeiten ausgestellt, das wollten insgesamt knapp
       11.000 Besucher*innen sehen. Nun sind alle Bilder an einem Ort vereint:
       In der [2][Kunsthalle Rostock] – übrigens der einzige Neubau eines
       Kunstmuseums der DDR – sind die über 300 Fotografien von 31
       Künstler:innen bis zum 8. September zu sehen.
       
       Zum Beispiel Fotos von Ludwig Rauch aus dem legendären „Café Nord“ in der
       Schönhauser Allee in Berlin aus dem Jahr 1987. Zu DDR-Zeiten stand man hier
       Schlange, um in die Disco zu kommen. Die kleine Serie von schwarz-weißen
       Fotos zeigt verschwitzte junge Leute beim Tanzen, Rauchen, Flirten, Posen –
       „frohes Jugendleben“ eben, wie man so was im DDR-Jargon nannte. In der
       Disco spielten Staat und Partei mal keine Rolle (außer bei der
       Musikauswahl: Die durfte eigentlich nur zu 40 Prozent aus dem Westen
       kommen). Spaß und Frohsinn standen im Vordergrund.
       
       Das ist auch bei den Fotos von Claus Bach zu sehen, der am Rosenmontag 1980
       seine Kamera im Café Resi in Weimar dabei hatte. Es ist proppenvoll, die
       Gaststätte ist geschmückt, das Personal hat alle Hände voll zu tun – am
       Ende kam man mit den Gläsern nicht mehr hinterher und verkaufte einfach nur
       noch Sektflaschen, wie man im Begleittext erfährt. „Feste feiern im Osten“
       (so der Untertitel der Ausstellung) hieß ja auch: feste trinken. Der große
       Rausch gehörte dazu. Eigentlich immer. Und überall. Egal, ob in Berlin oder
       Weimar oder eben auf dem Land.
       
       ## Flucht aus dem drögen Alltag
       
       Thomas Kläber hat 1978/79 in einer Dorfdisco in Beyern in Südbrandenburg
       fotografiert. Seine Bilder vom regen Treiben rund um den Tresen dürften
       Erinnerungen bei jedem ehemaligen DDR-Bürger wecken – Erinnerungen der
       angenehmen Art. Denn so ein geselliger, feucht-fröhlicher Abend bot eine
       kleine Flucht aus dem drögen Alltag voller sozialistischer Phrasen. „Zu
       allen Zeiten galt Schwofen als willkommenes Ventil für aufgestaute
       Energien, die aus dem Diktat von Meinungen, Redeverboten und einer
       Bevorteilung opportunistischer Verhaltensweisen erwachsen sind“, heißt es
       dazu im Ankündigungstext zur Ausstellung.
       
       In vielen Landgaststätten mit angeschlossenem Saal wurde landauf, landab
       regelmäßig zur Disco, zu Tanz- und anderen Veranstaltungen eingeladen. Dazu
       gehörten auch die Shows der Musik- und Tanzgruppe der Sowjetischen
       Streitkräfte, die auf hohem künstlerischen Niveau durchaus Sinn für Humor
       bewies, wie sich am Bildbeispiel aus Grimma in Sachsen mit der Ballettszene
       ablesen lässt. Wodka wird es da auch gegeben haben …
       
       All die unangenehmen Seiten des DDR-Alltags spielten beim Feiern und Tanzen
       – eben dem Schwof – kaum eine Rolle. Außer wenn es um Versorgungsengpässe
       ging, die die Feierlaune trüben konnten. Wenn am späten Abend zunächst Cola
       oder Faßbrause ausgingen, dann der Sekt, später das Bier – aber komisch:
       Schnaps gab es eigentlich immer. Das lag daran, das war schon uns
       Kirschlikör-verwöhnten Dorfjugendlichen klar, dass Vater Staat seine
       Untertanen ruhig stellen wollte. Wer genug Stoff hat, rebelliert seltener.
       
       ## Spielräume der Möglichkeiten
       
       Das ging so bis ins hohe Alter, siehe das Foto aus dem Rentnertreff der
       Volkssolidarität in Dresden-Neustadt aus dem Jahr 1980. Statt Wodka gab es
       dort dann eben Eierlikör und Kaffee und Kuchen.
       
       Apropos anders: Die Bilder zeigen eine DDR jenseits der Klischees und eine
       erstaunliche Bandbreite von Alltag und Feierkultur. Denn nicht nur vom
       Staat organisierte Veranstaltungen wie Betriebsfeiern oder Faschingspartys
       sind zu sehen. Fotos der urbanen Partyszene Ende der 1980er Jahre in
       Ostberlin, privat organisierte Modenschauen oder Happenings machen
       deutlich, dass es auch in der DDR Spielräume der (auch musikalischen)
       Möglichkeiten gab.
       
       Die Ausstellung – es ist ein umfangreicher Katalog erschienen – bietet
       mithin ein breites, vor allem humorvolles Spektrum des Erinnerns. Das tut
       der ostdeutschen Seele gut. Der westdeutschen würde sie unerwartete
       Einblicke in die Alltagskultur der DDR bieten.
       
       30 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.blmk.de/
   DIR [2] https://www.kunsthallerostock.de/de/kunsthalle-rostock/ueber-uns
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Hergeth
       
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