URI: 
       # taz.de -- Anfeindungen gegen Kommunalpolitiker: Mit vereinter Kraft gegen den Hass
       
       > Gaulands 2017 ankündigte „Jagd“ bringt der AfD fette Beute. Rechte Hetze
       > führt dazu, dass Kandidaten und Kandidatinnen, aus dem Wahlkampf
       > aussteigen.
       
   IMG Bild: „Ich gebe auf, weil da draußen mir zu viele den Mund halten“, sagt Dirk Neubauer
       
       Jetzt also Dirk Neubauer. Der Landrat aus Mittelsachsen hat seinen
       Rücktritt angekündigt, nach nur zwei Jahren im Amt, in das er als
       Hoffnungsträger gestartet ist. Nun sagen manche, der Mann hat sich eben
       überschätzt. Dem ehemaligen Sozialdemokraten, der als Parteiloser antrat,
       habe deshalb der Rückhalt im Kreistag gefehlt. Man kann ihm sein forsches
       Auftreten ankreiden und einige Fehler anführen. Das alles mag stimmen. Aber
       es geht am Kern der Sache vorbei.
       
       Und ohnehin geht es hier um weit mehr als das Scheitern eines Landrats in
       Sachsen. Neubauers Rücktritt ist ein Lehrstück darüber, wie erfolgreich die
       [1][Strategie der Rechtsextremen] inzwischen ist,
       Kommunalpolitiker*innen so lange aufzureiben, bis sie hinschmeißen.
       Und wie Demokrat*innen versagen, dies zu verhindern. Alle, die es gut
       mit der Demokratie meinen, sollten jetzt kurz auf die Bremse treten. Und
       sich fragen: Fördert mein Tun diesen Prozess? Oder setzt er ihm etwas
       entgegen?
       
       Das gilt nicht nur, aber auch in den Wahlkämpfen derzeit in [2][Sachsen],
       Thüringen und [3][Brandenburg]. Der Landrat aus Mittelsachsen ist
       schließlich nicht der Einzige, der hinwirft. Die Bürgermeisterin von
       Arnsdorf (Sachsen) und der Ortsbürgermeister von Tröglitz (Sachsen-Anhalt)
       traten schon vor vielen Jahren zurück, weil sie über lange Zeit bedroht
       wurden.
       
       Der SPD-Bundestagsabgeordnete [4][Karamba Diaby] aus Halle und
       Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas, Christdemokratin aus dem
       sächsischen Vogtland, haben gerade angekündigt, nicht wieder zu kandieren.
       Auch sie sind seit Jahren im Visier von Rechtsextremisten. Neubauer hat
       [5][ein Video] aufgenommen, in dem er seinen Rücktritt erklärt.
       Mandatsträger, sagt er, seien quasi zu Freiwild geworden.
       
       ## Gefragt ist Engagement
       
       „Wir werden sie jagen“, hat Ex-AfD-Chef Alexander Gauland schon 2017
       angekündigt, als seine Partei erstmals in den Bundestag einzog. Er hat
       nicht nur die ihm so verhasste Ex-Kanzlerin Angela Merkel gemeint.
       Inzwischen ist der Druck, den Rechtsextremisten auf Politiker*innen
       ausüben, in manchen Kommunen so groß, dass er die Demokratie gefährdet. Das
       gilt besonders in Ostdeutschland, aber nicht nur dort. Es war der Kasseler
       Regierungspräsident [6][Walter Lübcke], gegen den erst gehetzt und der dann
       von einem Rechtsextremisten ermordet wurde.
       
       Neubauer wurde von Rechtsextremisten bedroht, die Freien Sachsen
       demonstrierten vor seinem Wohnhaus. Er zog weg und versuchte die neue
       Adresse geheim zu halten. Die Rechtsextremisten riefen dazu auf, diese
       herauszufinden. Hass und Hetze, sagt der Landrat, richteten sich nicht nur
       gegen ihn, auch gegen Familie und Freunde.
       
       Demokratie gelingt nur, wenn Menschen bereit sind, sich zu engagieren,
       zuallererst vor Ort: die, die für den Stadtrat oder das Bürgermeisteramt
       kandidieren, Lösungen suchen und Kompromisse schließen. In manchen Regionen
       kann das inzwischen zum persönlichen Risiko werden. Wer bereit ist, sich
       dem auszusetzen, muss sich der Solidarität der Demokrat*innen sicher
       sein. Neubauer war es nicht.
       
       „Ich gebe auf, weil da draußen mir zu viele den Mund halten“, sagt er in
       seinem Video. Ganz ähnlich hat es Magwas formuliert: „Ich habe viel an
       Beleidigungen, Bedrohungen, aber leider auch viel Gleichgültigkeit erlebt.
       Das raubt Kraft.“ Das richtet sich an alle Bürger*innen, an uns, die wir
       viel zu häufig die Klappe halten, sei es auch „nur“ nach einer hetzerischen
       Äußerung im Supermarkt oder auf dem Familienfest, wenn alles gerade so
       anstrengend ist. An uns, die zuschauen, wie die Demokratie Schaden nimmt.
       
       ## Zu wenig Solidarität aus den eigenen Reihen
       
       Bei Magwas dürfte sich die Kritik auch an die eigene Partei richten, die
       die liberale Christdemokratin oft im Regen stehen ließ. Neubauer hat sich
       offen über die mangelnde Unterstützung der CDU beklagt, die im Kreistag
       wohl auch mehrmals mit der AfD stimmte. Während sich sächsische
       Spitzenpolitiker*innen von SPD und Grünen nach der
       Rücktrittsankündigung solidarisierten, herrschte bei der CDU zunächst
       weitgehend Stille.
       
       Ein Landesvorstandsmitglied aus Mittelsachsen lehnte auf X Gewalt gegen
       Politiker kurz ab und schrieb dann gehässig (bis er es wieder löschte):
       „Parteilos, planlos, ratlos … und nun sein Amt los.“ So setzt man
       Rechtsextremisten keine Grenzen. Wer die Demokratie verteidigen will, muss
       im Zweifelsfall bei den Demokrat*innen stehen – das gilt für links wie
       rechts. Also für die, die gerne mal vorschnell rechts und rechtsextrem
       gleichsetzen und bezweifeln, dass man mit der CDU für die Demokratie
       demonstrieren kann.
       
       Und für jene, die Linke und Grüne als Feind darstellen und denen vor lauter
       Wokeness das Wesentliche aus dem Blick gerät. Das mit der Demokratie, das
       bekommen wir nur gemeinsam hin.
       
       28 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Anfeindungen-gegen-Kommunalpolitiker/!6025967
   DIR [2] /Schwerpunkt-Landtagswahl-Sachsen-2024/!t5993922
   DIR [3] /Landtagswahl-in-Brandenburg-2024/!5942469
   DIR [4] /Nach-Schuessen-aufs-Buero/!5659205
   DIR [5] https://www.youtube.com/watch?v=k97gDJGtGKI
   DIR [6] /Untersuchungsausschuss-Walter-Luebcke/!5944879
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sabine am Orde
       
       ## TAGS
       
   DIR Wahlkampf
   DIR Rechtspopulismus
   DIR Hetze
   DIR Krise der Demokratie
   DIR GNS
   DIR wochentaz
   DIR Landtagswahl Brandenburg
   DIR Wahlen in Ostdeutschland 2024
   DIR Katrin Göring-Eckardt
   DIR AfD Sachsen
   DIR Schwerpunkt AfD
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Angriff auf Kommunalpolitiker: „Viele sind innerlich härter geworden“
       
       Bürgermeister Markus Nierth trat 2015 zurück, weil die NPD vor seinem Haus
       aufmarschieren wollte. Nun will er sein Dorf in Sachsen-Anhalt verlassen.
       
   DIR Schwuler Bürgermeister tritt zurück: „Eine Menge Druck“
       
       In Neubrandenburg verbietet der Stadtrat, die mehrfach angegriffene
       Regenbogenfahne zu hissen. Der Oberbürgermeister erklärt nun, warum er
       danach zurücktrat.
       
   DIR Vor Landtagswahl in Sachsen: Zermürbte Demokratie
       
       In Dresden treffen sich Kommunalpolitiker, die von Rechten bedroht werden.
       Sie beklagen: Oft würden sie mit ihrem Problem allein gelassen.
       
   DIR Drohungen gegen Politiker*innen: Hass im Wahlkampf
       
       Die Grüne Göring-Eckardt ist in Brandenburg bedroht worden – und fordert
       mehr Schutz durch die Polizei. Auch andernorts häufen sich Angriffe.
       
   DIR Was tun gegen Rechtspopulismus?: Alle Macht den Kommunen
       
       Nach jüngsten Erfolgen der AfD ist das Land in Aufruhr. Rechtspopulismus
       hat dort den größten Erfolg, wo demokratische Parteien auf dem Rückzug
       sind.
       
   DIR Landrat aus Sachsen über Brandmauer zur AfD: „Wir alle entscheiden, wie es ausgeht“
       
       Dirk Neubauer ist seit 2022 Landrat in Mittelsachsen, vorher war er
       Bürgermeister in einer Kleinstadt. Er schafft es, die AfD klein zu halten.
       Was ist sein Erfolgsrezept?