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       # taz.de -- Comicautorin Ika Sperling: „Ich mag das Wort Schwurbler nicht“
       
       > Ika Sperlings Vater driftete in Verschwörungserzählungen ab. Wie sie das
       > an ihre Grenzen brachte, verarbeitete sie in einer Graphic Novel.
       
   IMG Bild: „Das Buch war mein Weg, wieder etwas Selbstwirksamkeit zurückzubekommen“: Ika Sperling in Hamburg
       
       Wir treffen uns an einem sommerlichen Vormittag im Museum für Kunst und
       Gewerbe nahe dem Hamburger Hauptbahnhof. Draußen taumeln Drogenabhängige
       zur nahen Methadonausgabestelle. Drinnen im Museumscafé herrscht gediegene
       Hamburger Gemütlichkeit: holzgetäfeltes Büfett, Schiffsgemälde an der Wand.
       Ika Sperling leuchtet darin mit ihrem regenbogenfarbenen Pulli und den
       bunten Schleifen im Haar wie ein Schmetterling. Sie trinkt starken Tee, es
       war eine kurze Nacht. Gerade hat sie sich den Ort für eine Ausstellung
       angeguckt, im Anschluss folgen ein Arbeitsessen und eine Lesung. 
       
       wochentaz: Frau Sperling, Ihr Vater hat sich während der Coronazeit in
       Verschwörungserzählungen verloren. Wie haben Sie das erlebt? 
       
       Ika Sperling: Es war ein schleichender Prozess. Mein Vater hat schon um
       2014 herum angefangen, viele Narrative der AfD zu glauben. Da war ich
       ungefähr 16, habe angefangen, mich für Politik zu interessieren und dachte:
       Okay, ich diskutiere jetzt mit dem und überzeuge ihn vom Gegenteil. Relativ
       schnell habe ich gemerkt, dass das nichts bringt. Schließlich habe ich
       einen Kompromiss gefunden. Ich habe zu ihm gesagt: Wenn du was
       Rassistisches sagst oder menschenfeindliche Aussagen machst, kriegst du
       eine Verwarnung. Wenn du nicht aufhörst, dann gehe ich. Das hat insofern
       geklappt, als ich mit meinem Vater noch reden konnte. Aber es belastete
       trotzdem unser Verhältnis, wir mussten immer mehr Themen ausklammern.
       
       Was waren das für Themen? 
       
       Zuerst ging es vor allem um Flüchtlingspolitik: dass zu viele Ausländer ins
       Land kämen, dass die Regierung besser steuern müsste. Ich komme aus einer
       Familie, die Politiker*innen, Institutionen und Ämtern skeptisch
       gegenübersteht. Bei meinem Vater wurde daraus die Überzeugung, dass der
       Staat böse ist und ihm alles wegnehmen will. Während der Coronazeit ist das
       Ganze krass eskaliert. Am Anfang habe ich viele Diskussionen geführt, Links
       rausgesucht, um seine Behauptungen zu widerlegen. Irgendwann musste ich
       realisieren: Selbst wenn ich mich jeden Abend hinstellen und einen top
       recherchierten Powerpoint-Vortrag halten würde mit eingeladenen
       Expert*innen – ich komme nicht gegen diese Masse an
       Verschwörungserzählungen an, die er über Youtube, Telegram und andere
       Medien konsumiert.
       
       Die Erfahrungen mit Ihrem Vater haben Sie in [1][einer Graphic Novel
       verarbeitet]. Darin kommt die Studentin Ika am Wochenende nach Hause und
       erfährt, dass ihr Vater dabei ist, ihr Elternhaus zu verkaufen und sich
       nach Paraguay abzusetzen. Wie viel davon ist tatsächlich so passiert? 
       
       Das möchte ich gerne offenlassen. Ich habe mir ausgesucht, Teil dieses
       Buches zu sein, meine Familie nicht. Deshalb würde ich lieber über die
       Figuren im Buch sprechen: die Protagonistin, die Schwester, die Mutter und
       den Vater. Jede dieser Figuren hat ein Ziel, das sie erreichen möchte in
       diesen drei Tagen, von denen das Buch handelt, und ein Bedürfnis. Das Ziel
       und das Bedürfnis müssen nicht das Gleiche sein.
       
       Zum Beispiel? 
       
       Das Ziel der Protagonistin ist es, herauszufinden, was bei den Eltern, was
       bei dem Vater abgeht. Aber ihr Bedürfnis ist eigentlich, ihn zu retten oder
       zurückzuholen. Die Schwester hat das Ziel, sich abzugrenzen von ihren
       Eltern, und das Bedürfnis, wieder ein eigenes Leben zu haben. Sie hat
       während der Pandemie ihren Job in der Gastronomie verloren und ist wieder
       zu Hause eingezogen. Die Mutter hat das Ziel, dass die Familie
       zusammenbleibt. Ihr Bedürfnis ist Sicherheit, aber auch, sich nicht mit dem
       auseinanderzusetzen, was mit ihrem Mann passiert.
       
       Und der Vater? 
       
       Der will weg aus Deutschland, nach Paraguay, wo man ungeimpft einreisen
       konnte während der Coronazeit, Avocados anbauen oder so. Natürlich gab es
       nicht in Wirklichkeit den einen Wochenendbesuch mit Weinfest, als alles
       eskaliert ist. Im Rückblick habe ich Erlebnisse und Figuren so
       zusammengebastelt, dass es eine gute Geschichte ergibt. Im Lauf der Arbeit
       am Buch wurden die Figuren irgendwann zu eigenständigen grafischen
       Charakteren. Der fiktive Ort „Bad Kaffheim“ steht für die rheinpfälzische
       Provinz. Auch den Hund gibt es wirklich.
       
       Im Buch stirbt der Hund und mit ihm auch der Zusammenhalt der Familie: Der
       Vater ist dabei, alle Brücken abzubrechen. Die beiden Töchter gehen, die
       Mutter bleibt allein zurück in dem Haus, das vermutlich schon verkauft ist. 
       
       Der alte Hund ist eigentlich die tragischste Figur: Er will nur geliebt
       werden, wird aber von keinem beachtet, weil alle in dieses Familiendrama
       involviert sind. Das durchlebt aber jeder allein, ein offenes Gespräch ist
       nicht mehr möglich.
       
       Ihr Buch trägt den Titel „Der Große Reset“. Was bedeutet das? 
       
       Es gibt eine Verschwörungserzählung, die so heißt und die sich zumindest
       dem Namen nach anlehnt [2][an Klaus Schwabs Buch von 2020 über einen
       „großen Neustart“ der Wirtschaft]. Es geht grob gesagt um den globalen
       Finanzmarkt, um Eliten, meist jüdische Familien, die angeblich irgendwelche
       Politiker*innen kontrollieren und Fäden im Hintergrund ziehen. Eine
       typische antisemitische Verschwörungsideologie also. Gleichzeitig klingt
       „Der Große Reset“ aber auch wie eine Geschichte von einem großen Zauberer.
       Die Figuren in der Geschichte streben etwas an: Die Protagonistin möchte,
       dass alles so ist wie früher. Die Schwester will wieder ein eigenes Leben
       haben, und der Vater sehnt sich nach einen Neustart im Ausland.
       
       Die Graphic Novel ist in eher realistischem Stil gezeichnet, bis auf den
       Vater, der als wassergefüllte Blase durch die Geschichte wabert. Wie kamen
       Sie auf die Idee? 
       
       Im Storyboard wusste ich zuerst nicht, wie ich den Vater zeichnen soll. Ich
       wollte nicht, dass er Ähnlichkeit mit meinem echten Vater oder mit anderen
       real existierenden Leuten hat. Als Platzhalter habe ich einen Blob
       gezeichnet, der mir so gut gefallen hat, dass ich ihn behalten habe. Das
       Bild von Wasser und vom Auslaufen hat sich stimmig angefühlt: Die Person
       ist dann nicht mehr ganz greifbar. Manchmal ist er oder sie noch komplett
       der Alte. Und im nächsten Moment erkennt man die Person nicht mehr wieder,
       wenn er oder sie darüber redet, Politiker*innen Gewalt anzutun. Fünf
       Minuten später ist alles wieder wie vorher, aber die Wahrnehmung der Person
       hat sich trotzdem verändert.
       
       Der Vater läuft aus, er verdünnisiert sich sozusagen. 
       
       Nehmen Sie mal Wasser in die Hände. Egal, wie fest Sie es zusammendrücken,
       es läuft trotzdem aus. Das fand ich passend für meine Gedanken damals:
       Egal, wie sehr ich es versuche, egal, wie sehr ich diskutiere, ich kann es
       nicht aufhalten. Am Anfang hatte die Vaterfigur auch Löcher und Risse und
       splitterte. Das habe ich verworfen, weil es implizieren würde, dass es eine
       Ursache oder ein Loch gibt, das man stopfen müsste, und dann ist alles
       wieder gut. Aber dem ist ja nicht so. Risse kann man kitten, aber was
       ausgelaufen ist, lässt sich nicht wieder zurückholen.
       
       Wenn der Vater im Buch einen seiner Verschwörungsmonologe hält, sind
       Schlüsselwörter wie „Gender-Gaga“ oder „Impfdiktatur“ abgeschnitten, die
       Sätze sind unlesbar. Warum? 
       
       Mir war es wichtig, diesen Erzählungen keine Bühne zu geben. Und es ist
       eigentlich auch egal, was da steht. Er könnte an Chemtrails glauben, an den
       Great Reset oder an QAnon, die Inhalte sind quasi austauschbar. Ich nenne
       es das Verschwörungs-Bla.
       
       Auch der Klassenaspekt spielt in „Der Große Reset“ eine Rolle. Die Tochter
       wird zu Hause als „Frau Professor“ angesprochen, man macht sich darüber
       lustig, dass sie Vegetarierin ist. 
       
       Es gibt eine gewisse Entfremdung der Protagonistin von der Dorfkultur und
       ihren Eltern. Man sieht an den Billigpackungen auf dem Frühstückstisch,
       dass das Geld zu Hause knapp ist. Dass Uni auch Arbeit ist, versteht ihre
       Familie nicht. Ich wollte trotzdem die Dorfkultur mit Sympathie
       porträtieren. Denn aus der Perspektive der Heimkehrenden soll bitte zu
       Hause alles bleiben, wie es immer war, während sie selber das Recht für
       sich beansprucht, sich zu verändern. Doch auch im Dorf verändert sich
       vieles.
       
       Wie haben Sie recherchiert für das Buch? 
       
       Ich habe Legasthenie, daher höre ich Informationen lieber, statt Sachbücher
       zu lesen. Ich habe viele Podcasts zum Thema Verschwörungserzählungen und
       Radikalisierung gehört, etwa von Michael Blume, dem
       Antisemitismusbeauftragten von Baden-Württemberg, oder [3][den Podcast
       „Hoaxilla]“, der Mythen und Legenden wissenschaftlich-kritisch untersucht.
       Dazu kamen Erfahrungsberichte von Betroffenen, zum Beispiel in Onlineforen
       wie [4][dem US-amerikanischen Subreddit „QAnon Casualties“].
       
       Dort tauschen sich Menschen darüber aus, dass jemand in ihrem engen Umfeld
       [5][an die QAnon-Verschwörung glaubt]: eine bizarre, seit 2017 in
       US-Internetforen verbreitete Legende, nach der eine Elite das Land
       kontrolliere, um satanistischen oder pädophilen Machenschaften nachzugehen. 
       
       Nach wie vor ist das vor allem ein US-Phänomen, so, wie die
       Reichsbürgerbewegung eine originär deutsche Gruppierung ist. Aber seit
       einiger Zeit gibt es auch in Deutschland Anhänger*innen von QAnon.
       Diese Erzählung verbreitet sich global, leicht verändert passt sie für
       jedes Land.
       
       Im Buch schreit die Protagonistin ein Kabelbündel an: „Was habt ihr mit
       meinem Vater gemacht?“ Jenseits der Hetze im Netz gibt es aber auch reale
       Personen, die den Verschwörungen eine politische Richtung geben. Die gleich
       gesinnten Freunde des Vaters wissen besser über seine Ausreisepläne
       Bescheid als seine Familie. 
       
       Diese Leute gibt es, und sie finden sich an jedem Ort. Man sieht sich als
       verfolgte Minderheit oder als Widerstandskämpfer …
       
       … gegen „die Bobeck“ und „Greta Thunfisch“ und andere „Schoßhündchen von
       Soros“ …
       
       … so sagt es der Mann auf dem Weinfest, genau. In meiner Geschichte feiern
       diese Leute den Vater als Helden, weil er „es“ wirklich tut: auswandern,
       der „Impfdiktatur“ den Rücken kehren, das System verlassen.
       
       Auch wenn nicht ganz klar ist, in welchem Umfang, aber letztlich beruht
       „Der Große Reset“ auf Ihrer Familiengeschichte. Haben Sie Ihre Familie in
       den Entstehungsprozess eingebunden? 
       
       Am Anfang der Arbeit habe ich niemandem von meinem Vorhaben erzählt. Die
       Einzigen, die wussten, woran ich arbeite, waren meine Atelierkolleginnen
       hier in Hamburg. Erst als ich einen Verlag hatte, war mir klar: Jetzt muss
       ich es meiner Familie sagen. Ich habe es ihnen zu lesen gegeben, aber auch
       klargemacht, dass ich keine Meinung von anderen Leuten möchte außer von
       meiner Redakteurin und vom Comicgeheimclub.
       
       Comicgeheimclub? 
       
       Wir treffen uns jeden zweiten Freitagnachmittag hier im Museum für Kunst
       und Gewerbe und besprechen unsere Arbeiten. Leute, die das hobbymäßig
       machen, Studierende, aber auch Professionelle. Unsere Regel ist: Jedes
       Feedback ist gleich viel wert. Allein die betreffende Person entscheidet,
       welchem sie mehr Gewicht geben will.
       
       Hat Ihre Familie das akzeptiert? 
       
       Ja, weil die Figuren gar nicht mehr viel mit meiner Familie zu tun haben.
       Meine echte Schwester arbeitet nicht in der Gastro und meine Mutter nicht
       in der Pflege. Diese Verfremdungen waren für mich wichtig, um Distanz zu
       bekommen. Als ich mit dem Projekt angefangen habe, habe ich Storyboards auf
       kleine Post-its gezeichnet und die Szenen autobiografisch runtergezeichnet;
       alle Situationen mit meiner Familie, mit meinem Vater, die mir so
       eingefallen sind. Das war ein ganzer Karton! Und eigentlich hätte ich schon
       2014 mit dieser Geschichte anfangen müssen, damit man versteht, warum der
       Vater so geworden ist – also in meiner Kindheit.
       
       Wie haben Sie das alles geordnet? 
       
       Ich habe mich gefragt: Will ich ein Buch über meinen Vater und über
       Verschwörungserzählungen machen? Oder will ich ein Buch über mich machen,
       über meine Erfahrungen und Gefühle, wie es ist, einen Angehörigen an eine
       Verschwörungserzählung zu verlieren? Ich habe mich für meine Perspektive
       entschieden, die kann ich am besten erzählen.
       
       Die Protagonistin in Ihrem Buch weint viel. War die Graphic Novel auch ein
       therapeutisches Projekt? 
       
       Das Buch war mein Weg, wieder etwas Selbstwirksamkeit zurückzubekommen. Ich
       habe Mitte 2022 angefangen und das Buch in anderthalb Jahren
       fertiggestellt, was sehr schnell ist für eine Graphic Novel. Das konnte ich
       so nur machen, weil ich zuvor viel in Beratung war, in einer
       Selbsthilfegruppe für Angehörige von Verschwörungsgläubigen. Mit dieser
       Unterstützung und dem Buch wurde aus etwas Schlimmem, das mit mir passiert
       war, etwas, das ich selbst erzählen kann und von dem ich als Autorin sogar
       profitiere.
       
       Wann und wie haben Sie Unterstützung gesucht? 
       
       Das war, als sich die Situation mit meinem Vater immer weiter zugespitzt
       hat. Jedes Gespräch führte zu Diskussionen über das Impfen, über die
       Coronamaßnahmen. War ich mal erkältet, hieß es gleich: Das kommt von der
       Impfung. Irgendwann wusste ich nicht mehr weiter und rief bei der
       Sekteninfo NRW an. Die haben mich an Jörg Pegelow weitergeleitet, das ist
       der Weltanschauungsbeauftragte der evangelischen Nordkirche. Wir hatten
       zwei, drei lange Telefonate, in denen ich von meiner Familie erzählt habe.
       Er verwies mich an eine Selbsthilfegruppe für Angehörige. Wir haben uns
       online getroffen, einmal im Monat. Jede Person hat erzählt, was gerade zu
       Hause los ist. Die meisten waren nur zwei- bis dreimal dabei. Ich blieb
       länger und übernahm irgendwann die Organisation der Meetings.
       
       Was für Menschen kamen da? 
       
       Meist ging es um den Vater oder die Mutter, einmal kam eine Frau, deren
       Kind betroffen war, und eine, wo der Partner abgedriftet war. Auffällig
       war, dass sich viele erstgeborene Töchter aus Familien meldeten, in denen
       der Vater betroffen war. Sie fühlten sich verantwortlich, machten sich
       Sorgen, aber kamen mit Konfrontationen und Diskussionen nicht mehr weiter.
       Da ging es darum, erst mal auf emotionaler Ebene zu sagen: Kenne ich, mir
       geht es auch so. Fachlich verwiesen wir die Leute möglichst schnell weiter,
       etwa zu mobilen Beratungsstellen gegen rechts oder zu [6][entschwoert.de].
       Ich würde mir nie anmaßen, mit Patentrezepten um die Ecke zu kommen. Jeder
       Fall ist anders, und es gibt ganz verschiedene Gründe dafür, warum Menschen
       an Verschwörungserzählungen glauben.
       
       Gibt es Risikofaktoren? 
       
       Was viele der Menschen gemein haben, ist fehlende Medienkompetenz und ein
       Misstrauen gegen Politiker*innen und Institutionen, von denen sie ihre
       Interessen nicht vertreten sehen. Persönliche Unzufriedenheit ist auch ein
       Faktor. Geringer Bildungsstand und materielle Armut spielen aus meiner
       Beobachtung heraus übrigens kaum eine Rolle. Aber die Gründe sind so
       einzigartig wie die Familienkonstellationen.
       
       Der Vater im Buch durchläuft eine klassische Radikalisierung. Zuerst ist er
       Impfskeptiker, seine Empörung findet dann immer neues Futter: Krieg,
       Energiekrise, Inflation … Wie ist Ihre Erfahrung, kommen Menschen da auch
       wieder raus? 
       
       Mir fällt leider niemand ein. Ich kenne aber solche Fälle aus
       Internetforen.
       
       Aus Internetforen – ausgerechnet! 
       
       Ja, auf Reddit gibt es manchmal Berichte von Leuten, bei denen der
       „Ausstieg“ geklappt hat. Aber das sind dann Leute, die noch unentschieden
       sind, wem man was glauben soll. Die lassen sich vielleicht noch mit
       Argumenten erreichen, die meisten aber eben nicht mehr. In der Beratung
       wurde mir gesagt: Eine Faktendiskussion führt nirgendwohin; alles, was ich
       sage, wird dich nicht überzeugen; alles, was du sagst, wird mich nicht
       überzeugen. Man sollte auf der emotionalen Ebene sprechen: Wieso glaubst du
       das? Vor was hast du Angst? Oder: Mich macht das traurig, wenn du solche
       Sachen erzählst, schick mir bitte nie wieder solche Links!
       
       Ihr Vater hat den Ausstieg nicht geschafft. Inzwischen ist er verstorben. 
       
       Ja, aber darüber möchte ich nicht sprechen.
       
       Was würden Sie Menschen raten, die sich in Ihrem Buch wiedererkennen? 
       
       Mein Buch ist kein Ratgeber, ich kann keine Lösungen anbieten, keine
       Techniken zur Gesprächsführung und auch keine Gründe dafür, warum
       Menschen zu Verschwörungsgläubigen werden.
       
       Sie sprechen von Glauben, nicht von Theorien? 
       
       Richtig. Eine Theorie basiert auf wissenschaftlichen Fakten, die man
       widerlegen kann. Aber diese Erzählungen haben eher Züge einer Religion. Es
       gibt inzwischen einige Beratungsstellen speziell für Angehörige von
       Verschwörungsgläubigen. Der Bedarf ist groß. Die Pandemie mag vorbei sein,
       aber die Leute sind noch da. Im Winter 2022 hat man gesehen, dass noch mal
       versucht wurde, die Coronanarrative aufzufrischen mit dem sogenannten
       Wutwinter. Der verlief im Sand, aber es wird weitere Krisen geben. Wenn
       jetzt davon gesprochen wird, die Coronapandemie aufzuarbeiten, muss man
       untersuchen, warum damals so viele verschwörungsgläubig wurden – und wie
       man so etwas in Zukunft verhindern könnte.
       
       Gibt es den Effekt, dass Verschwörungsgläubigkeit auf den Rest der Familie
       übergreift? 
       
       In jedem von uns steckt diese Restunsicherheit von einem Prozent. Was ist,
       wenn es doch stimmt? Genau auf diesem Zweifel basieren ja solche
       Erzählungen, die es übrigens schon lange vor dem Internet gab. Wenn in der
       Familie ein geliebter Mensch solche Inhalte dauernd wiederholt, verstärkt
       sich die Unsicherheit. Das ging auch mir so. Obwohl ich wusste, dass mein
       Vater antisemitische Verschwörungsmythen wiederholt, dachte ich manchmal:
       Was ist, wenn er recht hat? Aber in den meisten Fällen bleiben die
       Betroffenen die Einzigen, die so denken.
       
       Für wie gefährlich halten Sie Menschen wie Ihren Vater? 
       
       Diese Erzählungen stellen eine konkrete Gefahr dar. Deshalb mag ich das
       Wort „Schwurbler“ nicht. Zum einen ist es respektlos, zum anderen auch
       verharmlosend. Es handelt sich um eine antidemokratische Haltung, die
       gefährlich werden kann und auch schon ist. Man sieht das an den häufigeren
       Angriffen auf Asylunterkünfte, auf Politiker*innen, auf queere Menschen und
       an der Leugnung des Klimawandels. In der Selbsthilfegruppe bekam ich den
       Ratschlag, meine Energie nicht in persönlichen Diskussionen zu
       verschwenden, sondern sie in politische Arbeit zu lenken. Ich habe dann
       angefangen, mich ehrenamtlich in der Selbsthilfegruppe zu engagieren. Als
       ich kürzlich in Hamburg zu einer Diskussion zusammen mit Jörg Pegelow
       eingeladen habe, war die Halle voll! Das hat sich viel besser angefühlt,
       als heulend zu Hause zu sitzen.
       
       30 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Comic-zu-Verschwoerungsideologien/!6017616
   DIR [2] https://de.wikipedia.org/wiki/The_Great_Reset
   DIR [3] https://hoaxilla.com/
   DIR [4] https://www.reddit.com/r/QAnonCasualties/?rdt=36453
   DIR [5] /Umgang-mit-Verschwoerungsideologie-QAnon/!5704540
   DIR [6] http://entschwoert.de
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nina Apin
       
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