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       # taz.de -- Öffentliche Toiletten in Berlin: Ein Klo als Mikrokosmos der Probleme
       
       > Der Kreuzberger Wrangelkiez leidet seit Langem unter Drogenkriminalität
       > und Gewalt. Ein Hotspot: die öffentliche Toilette in der
       > Falckensteinstraße.
       
   IMG Bild: Wenn das mal alles wäre: einwandfrei funktionales Pissoir in einer Wall-Toilette
       
       Berlin taz | Der Kiez, der ihn einst wegen des Görlitzer Parks, der vielen
       Cafés und der multikulturellen Nachbarschaft so begeisterte, sei heute nur
       noch eines: voller Dreck und Scherben, Drogen, Spritzen und Nadeln, Dealern
       und Prostituierten. „Wir haben die Nachbarschaft verloren“, sagt Pascal.
       
       Der gebürtige Franzose ist vor sechs Jahren in die Falckensteinstraße im
       Kreuzberger Wrangelkiez gezogen. „Der Kiez hatte schon immer eine
       Drogenszene, aber während Corona ist es eskaliert, zu einem Drogenhotspot
       mit organisierter Drogenkriminalität“, sagt er. Zu der Zeit habe es
       verstärkte Kontrollen im angrenzenden Görlitzer Park gegeben. Die Dealer
       seien dann auf die umliegenden Straßen ausgewichen. Zur „heftigen Zunahme“
       von Gewalt und Drogenkriminalität habe aber auch die öffentliche Toilette
       in der Falckensteinstraße beigetragen.
       
       Die Toilette wurde 2020 von der Firma Wall im Auftrag des Landes Berlin
       aufgestellt. Für den vorhergesehenen Zweck sei sie jedoch nie genutzt
       worden, berichtet Pascal, dessen Wohnhaus sich gegenüber der Toilette
       befindet. „Jede Nacht ist sie ab 10 Uhr abends bis 8 Uhr morgens voll mit
       Drogenabhängigen, Prostituierten und Dealern.“ Es komme zu Streitereien und
       Randalen.
       
       Das bestätigt auch eine Antwort des Senats auf eine parlamentarische
       Anfrage der Linken-Abgeordneten Katalin Gennburg. Viele der
       Toilettenanlagen rund um den Görli werden von Süchtigen für den Verkauf und
       Konsum von Drogen, zum Schlafen und zur Prostitution „fehlgenutzt“, heißt
       es darin.
       
       2022 war die Toilette in der Falckensteinstraße im Rahmen eines stadtweiten
       Pilotprojekts des Senats kostenlos zugänglich gemacht worden – weil die
       Probleme dann aber noch massiver wurden, wurde sie auf Drängen der
       Anwohner*innen Ende 2023 erst einmal ganz geschlossen. Das Bezirksamt
       Friedrichshain-Kreuzberg habe ihnen versichert, die Anlage erst wieder zu
       öffnen, wenn sich die Situation verbessert habe, sagt Pascal. Zuletzt sei
       ihnen sogar die dauerhafte Schließung in Aussicht gestellt worden.
       
       ## Und noch ein Pilotprojekt
       
       Passiert ist vorerst das Gegenteil: [1][Vergangene Woche wurde das Klo]
       [2][wieder geöffnet][3][, als eines von 107 öffentlichen Berliner
       Toiletten, die künftig dauerhaft gratis sind.] Für mehr Sauberkeit und
       Sicherheit hier und in den weiteren Toiletten im Görlitzer Park und der
       Umgebung soll nun ein weiteres Pilotprojekt von Bezirk und
       Senatsumweltverwaltung sorgen.
       
       Bei den Anwohner*innen stößt das auf Unverständnis. Die Situation habe
       sich keineswegs gebessert. „Sie dealen überall“, sagt Pascal: auf der
       Straße, in Hauseingängen, Hinterhöfen, Spielplätzen – und eben in der
       Toilette. Die Haustüren würden aufgebrochen und Hauseingänge als
       Drogenumschlagplätze missbraucht. „Wir werden zunehmend in unseren eigenen
       Häusern bedroht“, sagt er. Auf die Polizei könnten die Anwohner*innen
       nicht zählen. „Die Dealer wissen, dass ihr Handeln keine Konsequenzen hat.“
       
       Von den Behörden und der [4][Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann] (Grüne)
       fühlen sie sich im Stich gelassen. „Die wollen sich dem Problem nicht
       stellen“, sagt Pascal. Im vergangenen Monat hatten Anwohner*innen
       Herrmann eine Petition mit 2.000 Unterschriften übergeben, die auf die
       Probleme im Kiez aufmerksam macht. Sie hätten der Rathauschefin gesagt,
       dass sich die Situation verschlimmert, dass sie sich unsicher fühlen.
       Herrmann habe zugehört und sich ansonsten nicht geäußert.
       
       Im Zuge des Pilotprojekts zur mobilen Toilettenbetreuung gehe man die
       Probleme im Kiez ja zusammen mit dem Land und dem Dienstleister Wall an, so
       das Bezirksamt und die Senatsumweltverwaltung. Ziel sei es, „die
       öffentlichen Toiletten in den durch Drogenkonsum belasteten Sozialräumen
       mit hohem Nutzungsdruck wieder für die Allgemeinheit nutzbar zu machen und
       zu halten“.
       
       Das Projekt sieht ein mobiles Toilettenteam vor, das 13 öffentliche
       Toiletten rund um den Görlitzer Park bis hin zum Kottbusser Tor betreut.
       Laut Bezirksamt werden „täglich vier Personen im Zwei-Schicht-System à acht
       Stunden eingesetzt“, um die Standorte regelmäßig aufzusuchen,
       Verunreinigungen zu beseitigen und „Fehlnutzer*innen“ aufzufordern, die
       Toilette unverzüglich zu verlassen. Aus der Anfrage der Linken-Abgeordneten
       Gennburg geht hervor, dass zudem rund 180.000 Euro für
       Sozialarbeiter*innen vorgesehen sind, um „Zerstörungswut,
       Drogenhandel und -konsum und zunehmend aggressivem Verhalten zu begegnen.“
       Bis 2025 sollen für das Pilotprojekt 1,6 Millionen Euro zur Verfügung
       gestellt werden.
       
       ## Die Tasse quillt über
       
       „Es ist abzusehen, dass dieser unfassbar teure Projektversuch zum Scheitern
       verurteilt ist“, kritisiert Pascal. Vergangenen Montag ging das
       Pilotprojekt an den Start, schon am Dienstag sei die Toilette wieder
       demoliert gewesen. Am Freitagmittag ist die Toilettentür kaputt und die
       Toilette verstopft – die Tasse quillt über.
       
       Die eigentlichen Probleme gingen ja erst ab 10 Uhr abends los, nach Ende
       der letzten Schicht der Toilettenteams, sagt der Anwohner. Schließlich
       werde mit dem Projekt die Verantwortung für das Drogenproblem abgeschoben:
       „Die Reinigungskräfte machen jetzt den Job, den eigentlich die Polizei und
       Politiker*innen machen sollte.“
       
       Im Bezirksamt möchte man dafür nicht die alleinige Verantwortung tragen:
       „Es wird immer gern zu unserem Problem gemacht“, sagt eine Sprecherin zur
       taz. Dabei gehöre die Toilette dem Senat und die Firma Wall sei für sie
       zuständig. Da der Dienstleister „anscheinend keine Lösungsansätze für die
       Probleme“ hatte, hätten sich Senat und Bezirk eingeschaltet.
       
       „Wenn Wall dem nicht gewachsen ist, dann muss jemand anderem die
       Dienstleisterschaft gegeben werden“, kritisiert Katalin Gennburg. Das
       Problem sei nicht die Toilette selbst. „Die umfassenden Probleme der
       Politik rund um den Görli manifestieren sich bloß an der Toilette.“
       
       Statt soziale Probleme zu lösen, bekomme nun ein privater Dienstleister
       über eine Million Euro für einen Job, der ohnehin gemacht werden muss. Die
       Linken-Politikerin sagt: „Das Geld sollte man an den Verein Fixpunkt geben,
       an die Sozialbetreuung, an die Obdachlosenübernachtung, für eine Versorgung
       der Menschen, die das brauchen. Wir brauchen nicht noch mehr Zäune und
       Ausgrenzung.“
       
       [5][Auch Pascal glaubt nicht, dass der geplante Zaun um den Görli die
       Probleme mindern wird.] „Wir brauchen Politiker*innen, die entschlossen
       sind, das Problem zu lösen, die uns ernst nehmen und einbinden, um
       gemeinsame Lösungen zu finden“, sagt er. Er wolle das Viertel nicht
       aufgeben, aber er fühle sich oft so unsicher, dass er überlege umzuziehen.
       „Ich habe aufgehört zu lächeln, ich bin immer im Schutzmodus. Ich gehe
       nicht mehr so oft raus.“ Auch Besuche von Freund*innen seien ihm nicht
       recht, „weil ich mich schäme“. Es sei traurig: „Aber ich habe das Gefühl,
       das hier ist der nächste Leopoldplatz.“
       
       28 Jul 2024
       
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