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       # taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Laura Lückemeyer: Freundschaft ist krasser
       
       Berliner Sommer, es regnet. Ich freue mich für die Natur und insgeheim auch
       ein bisschen, dass ich nichts für den Abend geplant habe. So kann ich ohne
       schlechtes Gewissen an einem Freitag zu Hause bleiben. Ich öffne das
       Fenster und setze mich auf mein Fensterbrett, um die Hitze der letzten Tage
       aus meinem Altbauzimmer zu entlassen und den kühlen Wind hereinzubitten.
       
       Ich denke an J. und frage mich, was sie wohl macht. Wir haben lange nicht
       gesprochen. Genauer gesagt, seitdem sie ihren neuen Freund hat. Seinen
       Namen habe ich vergessen. Ich habe Bock zu rauchen, denke ich, und lasse es
       doch und greife stattdessen zu meinem Handy und öffne Instagram. „Was ist
       krasser? Freundschaft oder Liebe?“, fragt eine Reporterin zwei junge Frauen
       in dem Reel. „Freundschaft“, schallt es fast schon ein bisschen hämisch
       synchron ins Mikro. Ich stimme zu.
       
       „Hey, bist du schon da?“ – „Ja, ich warte vorne.“ – „Sicher mal zwei Plätze
       unter den Schirmen, hab keine Regenjacke.“ Es ist Samstagabend und die
       vorletzte Reihe ist unsere. Nicht die geilsten Plätze fürs Freilichtkino,
       aber immerhin trocken, sind wir uns einig. Es schüttet wie aus Eimern. Wir
       lachen und essen die Kirschen, die ich mitgebracht habe. „Mein Mann war nie
       nett zu mir. Sehen Sie, was aus mir geworden ist!“, sagt Thelma, während
       sie den Cop mit ihrer Waffe bedroht und ihn bittet, sich in den Kofferraum
       zu legen. Schnell schießt sie noch zwei Luftlöcher in die Klappe, dann geht
       sie mit dem Bullen drin zu und Thelma und Louise fahren davon.
       
       Louise, das ist die selbstbewusste Kellnerin, die sich von niemandem etwas
       vorschreiben lässt und unabhängig von einem Mann das tut, was sie möchte.
       Thelma ist die gelangweilte Hausfrau, die viel zu jung geheiratet hat, von
       ihrem Ehemann andauernd betrogen und unterdrückt wird und unbedingt aus
       ihrem tristen Hausfrauenleben für ein Wochenende ausbrechen möchte. Zwei
       Frauen mit unterschiedlichen Leben, verbunden durch den Wunsch nach
       Freiheit und der Rebellion gegen alle Scheißmänner, die sie bedrohen,
       belästigen, sexualisieren, unterdrücken. Eine Freundschaft fürs Leben.
       
       Thelma und Louise fliegen in den Horizont, die Leinwand wird schwarz, das
       Publikum klatscht. Ich kann meine Begeisterung für die beiden Charaktere
       noch gar nicht richtig greifen. Irgendwie will ich auch ein bisschen so
       sein wie Thelma und Louise – frei, mutig und unabhängig – denke ich, als
       wir die nassen Straßen entlang Richtung Kotti laufen.
       
       Es ist Sonntag, und eigentlich wäre ich um diese Uhrzeit, zu der ich jetzt
       schon wach bin, immer noch wach und säße mit M. und Ja. auf einer
       versifften Couch, unsere Klamotten und Haare von Rauch umhüllt, unsere
       Pupillen noch leicht geweitet, und ich wäre dabei, die beiden zu
       überzeugen, doch noch ein bisschen zu bleiben. Heute ist es anders.
       
       Ich versuche niemanden zu überzeugen zu bleiben. Stattdessen gehe ich auf
       den Flohmarkt, um Ausschau nach einem Kristallaschenbecher zu halten. Es
       ist viel zu heiß. Die Sonne knallt mir auf den Kopf und der Schweiß läuft
       mir allmählich die Schläfen herunter. Ich begutachte kurz einige
       Aschenbecher, um dann doch keinen zu kaufen. Zurück zu Hause beschließe
       ich, das dadurch gesparte Geld in ein Vintage-Filmposter von Thelma &
       Louise zu investieren. Es war reduziert und mein Zimmer braucht dringend
       noch ein paar Bilder, rede ich mir schön.
       
       Bevor ich losgehe, um mich mit P. zu treffen, tippe ich schnell noch eine
       Geburtstagsnachricht an J. in mein Handy. Die Funkstille verletzt mich.
       Irgendwie habe ich aber auch schon mit uns abgeschlossen. Nicht alle
       Freundschaften sind wie die von Thelma und Louise und generell überrede ich
       nur M. und Ja. auf einer versifften Clubcouch zum Bleiben.
       
       30 Jul 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Laura Lückemeyer
       
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