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       # taz.de -- Todesurteile gegen Frauen in Iran: Sitzstreik und Scheinhinrichtungen
       
       > In Teheran protestieren weibliche Gefangene gegen Todesurteile. Die
       > Amtseinführung des neuen Präsidenten Pezeshkian verspricht wenig
       > Hoffnung.
       
   IMG Bild: Zum Tode verurteilt: Kurdin Pakhshan Azizi
       
       An diesem Dienstag soll Massoud Pezeshkian im Parlament als neuer Präsident
       der Islamischen Republik Iran vereidigt werden. [1][Seine Amtseinführung
       steht im Schatten] einer neu aufkommenden Hinrichtungswelle und Protesten
       in den Gefängnissen. Mindestens 27 Personen wurden laut dem
       persischsprachigen Londoner TV-Sender „Iran International“ innerhalb von
       sechs Tagen hingerichtet.
       
       Immer häufiger sind auch Frauen betroffen. Zum ersten Mal seit 14 Jahren
       wurden nun auch zwei Frauen wegen politischer Anklagepunkte zum Tode
       verurteilt: die Arbeiteraktivistin Sharifeh Mohammadi und die kurdische
       Sozialarbeiterin Pakhshan Azizi, beide wegen angeblichen bewaffneten
       Widerstands.
       
       Azizi, die bereits im November 2009 vier Monate lang inhaftiert war, wurde
       im August 2023 festgenommen und befindet sich nun im Teheraner
       Evin-Gefängnis. Ein Rechtsanwalt ihrer Wahl wurde ihr laut der
       Menschenrechtsorganisation Hengaw verweigert, auch habe das Gericht keine
       Beweise für seine Anschuldigung vorgelegt.
       
       ## Frauen in Evin beginnen Sitzstreik
       
       In einem veröffentlichten Brief Azizis ist die Rede von Folter in Verhören.
       Auch habe sie mehrfach Scheinhinrichtungen durchleben müssen. „Ich wurde
       wiederholt gegen einen Stuhl gestoßen. Beleidigungen, Demütigungen, Verhöre
       und Drohungen erfüllten den Raum unter den schlimmsten geistigen und
       körperlichen Bedingungen“, heißt es in dem Brief.
       
       Das Todesurteil gegen Azizi sorgte für Proteste. Die weiblichen politischen
       Gefangenen des Evin-Gefängnisses begannen in der Nacht vom 24. auf den 25.
       Juli, einen Tag nach Verkündung des Urteils, einen Sitzstreik im
       Gefängnishof. Zu den Streikenden zählen unter anderem die
       [2][Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi] sowie die [3][deutsche
       Staatsbürgerin Nahid Taghavi], die seit 2020 in Iran inhaftiert ist.
       
       „Das Todesurteil gegen Pakhshan Azizi ist ein Stück weit ein Schlag für
       alle dort inhaftierten politischen Gefangenen“, erklärt Mariam Claren, die
       Tochter Taghavis, im Gespräch mit der taz. Für ihre Mutter sei es daher
       eine „Selbstverständlichkeit“, sich am Streik zu beteiligen.
       
       ## Taghavis gesundheitlicher Zustand „katastrophal“
       
       Bei dem Protest weigerten sich die Gefangenen, abends in ihre Zellen
       zurückzukehren, und verweilten stattdessen die Nacht über im Gefängnishof.
       Am Wochenende wiederholten sie diesen Streik. „Es kann sein, dass es
       Bestrafungen gibt, wie Abbruch der Telefonate und des Besuchsrechts, bis
       hin zu neuen Akten, die gegen sie eröffnet werden“, erklärt Claren.
       
       Auch der Gesundheitszustand der fast 70-jährigen Taghavi sei katastrophal.
       Sie leide immer wieder an Infektionskrankheiten, habe Bandscheibenvorfälle,
       könne ihren linken Arm kaum bewegen. „Die knapp vier Jahre Gefängnis und
       davon sieben Monate Isolation haben ihre Spuren hinterlassen“, so Claren.
       
       Der Sitzstreik im Evin-Gefängnis erreichte schließlich auch die politischen
       Gefangenen des Ghezel-Hesar-Gefängnisses, in Karadsch, westlich von
       Teheran, in dem derzeit die meisten Hinrichtungen vollstreckt werden.
       
       ## Gefangene schließen sich „Schwarzen Dienstagen“ an
       
       „Auch wir Gefangene schließen uns den Protesten der politischen Gefangenen
       im Frauentrakt des Evin-Gefängnisses an und verurteilen die Verletzung des
       Rechts auf Leben des iranischen Volkes durch die Hinrichtungsmaschinerie“,
       heißt es in einem veröffentlichten Brief. Die Streikenden fordern darin die
       Abschaffung der Todesstrafe in Iran und rufen die internationale
       Gemeinschaft auf, sich dieser Forderung anzuschließen.
       
       „Der Widerstand, der Kampf und die Freiheitsbewegung gehen auch im
       Gefängnis weiter“, so Claren. Die Todesurteile gegen Mohammadi und Azizi
       erhöhen ihre Sorge vor einer neuen Eskalationsstufe. Für Claren ist es kein
       Zufall, dass ausgerechnet eine Kurdin und eine Arbeiteraktivistin zum Tode
       verurteilt wurden: „Sowohl die Arbeiterbewegung als auch die kurdische
       Bewegung sind die organisiertesten und widerstandsfähigsten.“
       
       Hoffnung auf Verbesserung durch den neuen Präsidenten haben weder die
       Inhaftierten noch Mariam Claren. „Pezeshkian ist einfach nur eine Maske,
       die mal wieder aufgesetzt wird, um dem Westen zu suggerieren, dass sie eine
       legitime Regierung sind“, sagt sie. Inzwischen haben die Frauen im
       Evin-Gefängnis angekündigt, in den Hungerstreik zu treten. Sie schließen
       sich damit der Kampagne der [4][„Schwarzen Dienstage“ an, die Anfang des
       Jahres vom ebenfalls gefangenen Menschenrechtsaktivisten Ahmadreza Haeri]
       und anderen ins Leben gerufen wurde.
       
       30 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Daniela Sepehri
       
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