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       # taz.de -- Justiz und Polizei kuscheln zu viel: Kritische Distanz zur Polizei
       
       > Hamburger Richter*innen hospitieren bei der Polizei, um deren Arbeit
       > besser zu verstehen. Doch Justiz und Polizei sind schon viel zu eng
       > verzahnt.
       
   IMG Bild: Polizist*innen wird vor Gericht oft geglaubt, auch wenn die Indizien das nicht hergeben
       
       Manche hören auch im Ruhestand nicht auf, Unruhe zu stiften. Was durchaus
       positiv sein könnte! Im Fall des pensionierten Hamburger Amtsrichters
       Johann Krieten ist es leider das Gegenteil. [1][Der „Richter Knallhart“ a.
       D.] hat sich ein Projekt überlegt, um „die Arbeit von Justiz und Polizei
       besser zu verzahnen“ – so berichtet es das Hamburger Abendblatt.
       Richter*innen sollen demnach bei der Polizei hospitieren, um die
       Anforderungen und Arbeitsabläufe dort besser zu verstehen.
       
       Das Angebot werde gut angenommen – bereits 80 Mal hätten Richter*innen
       schon Polizist*innen bei Großeinsätzen wie Demonstrationen,
       Fußballspielen oder Razzien begleitet, oder einfach den Beamt*innen der
       Davidwache auf der Reeperbahn über die Schulter geguckt.
       
       Die Idee, die Arbeit von Justiz und Polizei enger zu verzahnen, ist völlig
       irre, denn die Arbeit ist durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaften,
       die auf den Ermittlungen der Polizei basieren, schon viel zu eng verzahnt.
       Die Staatsanwaltschaften sind auf eine enge Kooperation mit der Polizei
       angewiesen, außerdem kennt man sich natürlich, wenn man täglich
       miteinander zu tun hat.
       
       [2][Polizist*innen genießen dadurch einen Vertrauensvorschuss] vor
       Gericht, der ihnen eine Art Immunität verleiht. Sie werden äußerst selten
       für ihre Vergehen angeklagt, geschweige denn verurteilt, selbst wenn die
       Beweise erdrückend, die Aussagen untereinander abgesprochen und hanebüchen
       sind.
       
       ## Bürger*innen werden doppelt bestraft
       
       Im Sinne einer unabhängigen und selbstbewussten Justiz wäre es, sich von
       der Polizei zu emanzipieren und Distanz herzustellen. Dazu würde es auch
       gehören, die Unart zurückzuweisen, dass Polizist*innen immer
       reflexhaft eine Gegenanzeige stellen, wenn jemand sie anzeigt. Durch die
       Gegenanzeigen werden Bürger*innen, die Opfer von Polizeigewalt werden, oft
       doppelt bestraft. Die Justiz macht sich lächerlich, wenn sie dieser
       Machtdemonstration der Polizei weiter folgt und sinnlose Prozesse führt,
       bei denen Opfer von Polizeigewalt des Widerstands und tätlichen Angriffs
       bezichtigt werden.
       
       Wenn Richter*innen das Gefühl haben, nicht gut urteilen zu können, weil
       sie keinen Einblick in die Lebensrealitäten vieler Bürger*innen haben,
       sollten sie dort hospitieren, wo es nötig ist. Sozialrichter*innen
       könnten Menschen [3][zum Jobcenter begleiten],
       Verwaltungsrichter*innen könnten mit Betroffenen zur Ausländerbehörde
       gehen. Sicher würde es nicht schaden, selbst zu erleben, wie willkürlich
       und unwürdig der Umgang mit den Betroffenen dort ist.
       
       Strafrichter*innen könnten, anstatt mit Polizist*innen Kleindealer
       zu jagen, Geflüchtete begleiten, die in Ermangelung einer Arbeitserlaubnis
       auf der Straße Drogen verkaufen. Sie könnten mit Klimaschützer*innen
       mitgehen, die sich ans Flughafenrollfeld kleben, mit Demonstrant*innen
       mitlaufen, die gegen staatliche Repression und Klassenjustiz protestieren.
       So würden sie bestimmt einiges Verständnis dafür entwickeln, wenn Menschen
       hier und da eine Gesetzesüberschreitung begehen, um sich gegen die größeren
       Unzumutbarkeiten des Kapitalismus zu wehren.
       
       ## Praktikum bei der Bahnhofsmission
       
       Vielleicht würde es endlich ein Ende finden, dass Menschen in den Knast
       gesperrt werden, weil sie arm sind und ohne Ticket S-Bahn fahren oder in
       einem Bahnhof schlafen. Die NGO Freiheitsfonds kauft in der kommenden
       Woche die tausendste Person frei, die wegen ticketlosen Fahrens inhaftiert
       wurde. Das ist sehr ehrenvoll. Man könnte das Geld aber auch anders
       verwenden, als es der Staatskasse zu schenken, wenn Richter*innen von
       vornherein darauf verzichten würden, Menschen wegen ihrer Armut zu
       bestrafen.
       
       Ein Praktikum bei der Bahnhofsmission wäre vielleicht auch was für den
       gelangweilten Pensionär Johann Krieten. Da könnte er vielleicht seinen
       Horizont erweitern (es ist nie zu spät!), anstatt der Polizei Geschenke zu
       machen und damit die Klassenjustiz zu zementieren.
       
       30 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Schipkowski
       
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