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       # taz.de -- Bürgermeister über AKW in Saporischschja: „Das sind keine Fachkräfte“
       
       > Das ukrainische AKW werde seit der russischen Besatzung nicht gut
       > betreut, warnt Bürgermeister Orlow. Die Versorgung der Menschen sei
       > schlecht.
       
   IMG Bild: April 2024: Russische Mitarbeiter führen internationale Beobachter über das Kraftwerksgelände
       
       taz: Herr Orlow, wie sieht es [1][im AKW aus]?
       
       Dmitro Orlow: Seit 2022 sind alle sechs Atomreaktoren nicht mehr am Netz.
       Und derzeit befinden sie sich alle im Zustand einer Kaltabschaltung. Das
       ist die sicherste Form einer Abschaltung eines Atomreaktors.
       
       taz: Und wie sieht es mit dem Personal des AKW aus, zu dem Sie als
       Atomingenieur früher auch mal gehörten? 
       
       Orlow: Es fehlt an Personal, insbesondere an hochqualifiziertem Personal.
       Wer von den Mitarbeitern des AKW sich weigert, einen Vertrag mit dem
       Betreiber, einer Firma, die dem russischen Atomkonzern Rosatom gehört, zu
       unterschreiben, darf das Gelände des AKW nicht mehr betreten. Aktuell sind
       es 2.000 Fachkräfte, die einen Vertrag mit der Rosatom-Firma unterschrieben
       haben. Nun suchen die Russen Personal. 2.000 weitere Mitarbeiter haben sie
       inzwischen angestellt. Doch das sind keine Fachkräfte.
       
       taz: Also sind aktuell 2.000 Fachleute im AKW tätig? 
       
       Orlow: Ich tue mich ehrlich gesagt schwer, in diesem Zusammenhang von
       Fachkräften zu sprechen. Fachkräfte sind für mich Mitarbeiter, die sich
       ständig durch erfahrene Kräfte weiterbilden lassen, ständig ihr Wissen
       erweitern. Doch alle die, die das Personal dort unterweisen könnten, haben
       Enerhodar verlassen.
       
       taz: Sind auf dem Gelände des AKW russische Militärs? 
       
       Orlow: Ja, etwa 1.000 Besatzer sind dort. Einschließlich ihrer Waffen. Und
       so befinden sich also hochexplosive Waffen in unmittelbarer Nähe der
       Atomanlagen. Das ist ein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko, das sehr
       schlimme Folgen nach sich ziehen kann.
       
       taz: Im Juni letzten Jahres [2][wurde der Kachowka-Staudamm zerstört]. Und
       mit ihm ein Staudamm, der das AKW mit Kühlwasser versorgte. Was bedeutet
       das für das AKW? 
       
       Orlow: Das Wasser des Staudammes war wichtig für den Betrieb des
       Atomkraftwerkes. Zwar braucht ein abgeschaltetes Atomkraftwerk weniger
       Wasser als ein AKW am Netz. Aber es braucht eben Wasser, unter anderem für
       die Kühlung der Brennelemente in den Abklingbecken. Und in diesem heißen
       Sommer ist viel Wasser verdampft. Der Wasserspiegel im Abklingbecken ist um
       einen Meter gesunken. Langfristig sehe ich hier eine Gefahr.
       
       taz: Es soll dort in diesem Sommer auch Waldbrände gegeben haben. 
       
       Orlow: Nun, die Besatzer haben den Wald um das Gelände weitgehend
       abgeholzt. Gleichwohl brennt es dort immer wieder mal im Sommer. Die
       ukrainische Feuerwehr hatte Brände immer unter Kontrolle gebracht. Die
       Feuerwehr der Besatzer arbeitet hingegen sehr unprofessionell. Es ist auch
       nicht klar, ob die Besatzer noch über die entsprechende Ausrüstung
       verfügen, oder ob sie schon Teile davon verkauft haben.
       
       taz: Wie sieht es aktuell in Ihrer Stadt Enerhodar aus, zu der das AKW
       gehört? 
       
       Orlow: Noch nie war dort die Versorgung so schlecht wie in diesen Tagen.
       [3][Es gibt kaum noch Strom], die zentrale Wasserversorgung und
       Abwasserentsorgung sind weitgehend zusammengebrochen.
       
       taz: Sie mussten durch den russischen Überfall in die nahegelegene Stadt
       Saporischschja fliehen. Was können Sie von dort aus für Enerhodar tun? 
       
       Orlow: Derzeit befindet sich die Stadtverwaltung von Enerhodar in
       Saporischschja. Von Saporischschja aus kann man nur wenig für die tun, die
       in Enerhodar geblieben sind. Hier haben wir von der Universität
       Räumlichkeiten bekommen. In diesen lagern wir humanitäre Hilfspakete, die
       wir an die Geflohenen aus Enerhodar weitergeben. Leider geht in jüngster
       Zeit weniger humanitäre Hilfe aus dem Ausland bei uns ein.
       
       taz: Der Winter steht vor der Tür. Wie bereitet man sich in Enerhodar
       darauf vor? 
       
       Orlow: Aktuell können das AKW und das örtliche Wärmekraftwerk die Stadt
       weder mit Strom noch mit zentraler Wärme versorgen. Von Versorgung mit
       warmem Wasser ganz zu schweigen. Ja, das sind die Folgen des Überfalls auf
       Enerhodar für die Bevölkerung. Es ist jetzt schon abzusehen, dass die
       Menschen dort im Winter in ihren Wohnungen frieren werden.
       
       30 Jul 2024
       
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